Computerspiel "Shadowrun Returns":Baukasten für Rollenspiel-Fans

Fortsetzung nach 17 Jahren: Das Computerspiel "Shadowrun Returns" schickt nach langer Pause erneut Orks und Elfen durch eine düstere Science-Fiction-Welt. Auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter gingen für das Projekt innerhalb eines Monats 1,8 Millionen Dollar ein. Doch auch nach der Veröffentlichung ist das Spiel weiter auf die Hilfe der Shadowrun-Fans angewiesen.

Von Matthias Huber

"Das ist Nichts, was der Doc nicht wieder hinkriegen würde." Madame Kubota zuckt nicht einmal zusammen. Die matronenhafte halb Japanerin, halb Afrikanerin ist Schlimmeres gewöhnt. In ihrer Seamstress Union, einem verruchten Etablissement in den Redmond-Slums von Seattle, treffen sich Diebe, Hacker, Hehler und Söldner; Menschen ebenso wie Elfen, Orks und Trolle. Coyote, ein junges Mädchen aus den Slums, arbeitet für Madame Kubota. Drogendealer hatten sie entführt und gefoltert. Aus dem tiefen Schnitt in ihrem Gesicht rinnt frisches Blut. Coyotes linker Arm hängt nur noch in Fetzen von der Schulter. "Bring sie runter zum Doc und lass' ihr einen neuen geben."

Eine Szene aus dem Computerspiel Shadowrun Returns. 17 Jahre sind seit dem Vorgängerspiel vergangen. 17 Jahre, in denen die Fans Shadowrun, einem klassischen Pen-and-Paper-Rollenspiel, das für die Computerspiele Pate stand, treu geblieben sind. Im April 2012 startete das bis dato unbekannte Entwicklerstudio Harebrained Schemes auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter einen Aufruf: 400.000 Dollar bräuchte man, um ein neues Shadowrun-Computerspiel zu entwickeln. Nach nicht einmal vier Wochen hatten die Unterstützer mehr als 1,8 Millionen Dollar einbezahlt. Jetzt ist Shadowrun Returns für PC und Mac erschienen, Versionen für iPad und Android-Tablets sollen folgen.

Seattle im Jahr 2054. Eine düstere Großstadt zwischen den Noir-Romanen von Raymond Chandler und den Cyberpunk-Visionen eines William Gibson. Seit im Jahr 2012 in dieser Welt die Magie "erwacht" ist, leben dort auch Elfen, Zwerge, Orks, Trolle und Drachen. Die Story, mit der Shadowrun Returns auf den Markt kommt, heißt "The Dead Man's Switch": Ein Trunkenbold namens Sam Watts ist einem Mord zum Opfer gefallen. Per vorab aufgenommener Videobotschaft verspricht er eine Menge Geld: 100.000 Nuyen für denjenigen, der den Mord aufklärt.

Der Spieler schlüpft in die Rolle eines sogenannten Shadowrunners. Als Söldner, Spion, Auftragsmörder, Einbrecher oder Hacker arbeitet er für den Meistbietenden - für undurchschaubare Großkonzerne ebenso wie für skrupellose Verbrecherkartelle. Sechs Charakterklassen - verschiedene Kämpfer, Magier und Techniker - stehen zur Wahl, oder man stellt sich aus den verfügbaren Fähigkeiten kurzerhand eine eigene zusammen. Obwohl es letztlich doch meistens nur ums Kämpfen geht.

Schamanen und Samurais

Reihum befehligt der Spieler seine Figuren auf dem Schlachtfeld, lässt sie hinter Mülltonnen oder Autowracks in Deckung gehen. Ein Schamane ruft Elementarwesen zu Hilfe, ein Straßensamurai verlässt sich dagegen eher auf eine Schrotflinte oder eine sorgsam platzierte Handgranate. Runde um Runde muss der Spieler die unterschiedlichen Fähigkeiten seiner maximal vier Kämpfer möglichst geschickt kombinieren - oder doch einfach nur immer das Feuer auf den nächststehenden Feind konzentrieren.

Computerspiel Shadowrun Returns

Seattle im Jahr 2054

(Foto: dpa)

Nicht auf den Kampf spezialisiert sind die "Decker", wie die Hacker in der Welt von Shadowrun genannt werden. Ihr Schlachtfeld sind nicht die Slums von Seattle, sondern der Cyberspace. Mit Hightech-Implantaten und Programmen infiltrieren sie die Netzwerke der Konzerne. Dargestellt ist das in einer etwas albernen Virtual-Reality-Umgebung, die nicht nur optisch direkt aus "Tron" oder anderen Science-Fiction-Filmen der 1980er Jahre stammen könnte. Was folgt: auch nichts anderes als die normalen Kampfszenen. Rot blinkende Systemprogramme schießen Energieblitze auf den Eindringling, der hinter Dateiblöcken Deckung sucht.

Misstrauen gegenüber der neuen digitalen Technik, und die Sorge, dass jede Großstadt in naher Zukunft ohnehin zu einem unregierbaren kriminellen Moloch verkommt: Shadowrun Returns bleibt auch 2013 ein Produkt der 1980er Jahre. Aber Nostalgie allein ist zu wenig. Die ungeschliffenen Mechaniken von damals werden unreflektiert kopiert, anstatt sie wenigstens behutsam weiterzuentwickeln.

Chance für die Community

Die Möglichkeiten zur Charakterentwicklung sind zwar vielfältig, aber im Endeffekt begrenzt: Hauptsächlich geht es darum, sich auf ein oder zwei Waffengattungen oder Kampfstile zu spezialisieren, mit nur wenigen Ausnahmen. Der Kampf selbst bietet genug Raum für Komplexität, aber erzeugt keinerlei Dynamik. Und die Schauplätze und Figuren sind zwar liebevoll und detailreich gezeichnet, aber es mangelt ihnen an Lebendigkeit.

Shadowrun Returns ist ein Spiel, wie es auch schon vor anderthalb Jahrzehnten hätte erscheinen können. Und dann wäre es vielleicht sogar schnell zwischen besserer, klügerer Konkurrenz in Vergessenheit geraten. Wenn es da nicht das mitgelieferte Editor-Programm gäbe. Es macht das Spiel zum Baukasten, mit dem die Spieler ihre eigenen Stories aus dieser Welt korrupter Hightech-Konzerne und magischer Wesen schreiben, sie in Shadowrun Returns erzählen und so - ganz wie beim Pen-and-Paper-Rollenspiel - zum Spielleiter werden können.

Die eigentliche Stärke des Spiels ist die Chance, die es bietet. "The Dead Man's Switch", die mitgelieferte Geschichte, trifft mit ihrer unterschwelligen rauen Ironie zwar genau den richtigen Ton. Aber die Möglichkeiten des Editors werden kaum ausgereizt. Es gibt Spiele, die viele Jahre lang von einer treuen Community mit neuen Inhalten versorgt werden. Shadowrun Returns hatte diese Fangemeinde schon lange, bevor es überhaupt fertig war. Jetzt muss die Community diese Chance nur noch nutzen.

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