"China verstehen": Isaac Mao:"Das Internet wird das Land dramatisch verändern"

Wie wird Chinas neue Führung mit dem Siegeszug des Internets umgehen? Der chinesische Blogger Isaac Mao erzählt, wie Microblogs den Menschen die Angst davor nehmen, ihre Meinung zu äußern - und warum die Führung längst verstanden hat, dass sie nicht alles kontrollieren kann.

Johannes Kuhn

Chinas kommunistische Partei hat den Austausch ihrer Führungsriege beschlossen. Die Zäsur kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das Land sich geopolitisch längst auf Augenhöhe mit den USA befindet, gleichzeitig aber von vielen inneren und äußeren Konflikten geprägt ist. In einer Reihe von Kurzinterviews spricht Süddeutsche.de mit Landeskennern über die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage in China.

Im letzten Interview dieser Reihe erklärt Isaac Mao, wie das Internet China verändert. Er ist einer der bekanntesten chinesischen Blogger und pendelt meist zwischen den USA und Chinas Westküste. Der Software-Entwickler gilt als eines der Gesichter der chinesischen Blogosphäre.

China Tweet Revolution

Isaac Mao: "Wenn die Masse die Information aufnimmt und weiterverbreitet, kann das massive Konsequenzen haben."

(Foto: dapd)

Süddeutsche.de: In die nun zu Ende gehende Ära Hu Jintao fällt auch der Siegeszug des Internets. Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen chinesischem Volk und Patei?

Isaac Mao: Der Internet-Boom hängt eng mit dem Wirtschaftsboom zusammen und geht doch darüber hinaus: Das Netz hat die soziale Struktur Chinas verändert, sie ist nun weniger hierarchisch, mehr wie ein komplizierter Knoten. Nur das politische System behält seine Form, aber alles andere löst sich auf, weil das Internet größere finanzielle Freiheiten und internationale Kontakte ermöglicht.

Also größere Freiheit...

Theoretisch ja, aber niemand in China würde behaupten, dass das Internet hier frei ist. Das politische System hat die IT-Branche, die Infrastruktur und sogar das Verhalten Einzelner weiter im Griff. Das jüngste Beispiel ist die Störung von Google-Diensten während des Parteitags. Da spielt es keine Rolle, dass sich alle möglichen Nutzer aufregen und das Land mit solchen Aktionen sogar wichtige Geschäftsbeziehung schädigt.

Hat diese Form der Zensur eine Zukunft?

Seitdem man 2009 am öffentlichen Widerstand damit scheiterte, die Spionagesoftware Green Dam auf allen Computern vorzuschreiben, wissen die Behörden: Es funktioniert nicht, das Internet immer und überall zu kontrollieren. Es ist nicht nur so, dass die Werkzeuge für den Einzelnen immer besser werden, auch haben die verschiedenen sozialen Netzwerke neue Beziehungen zwischen Nutzern entstehen lassen. Ob diese neuen Gemeinschaften aus Aktivisten, Gamern, Softwareentwickler oder Unternehmensgründern bestehen: Sie alle leben in einer Welt des Wissensaustauschs, statt sich auf die klassische Informationsverbreitung zu verlassen.

Welche mittelfristigen Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit im Land hat das?

Das Internet wird das Land weiter dramatisch verändern: Die Menschen wissen immer besser über das Internet und desen Nutzung Bescheid. Hinzu kommt, dass Mobilgeräte eine immer größere Rolle spielen. Früher mussten Informationen in großen Einheiten, zum Beispiel in Blogeinträgen, verbreitet werden. Heute kann jeder sie in eine kurzen Satz, eine URL, einen Klick auf einen Re-Sharing-Knopf packen und ins Netzwerk einspeisen.

Was motiviert die Chinesen, dies vermehrt zu tun?

Wenn die Masse die Information aufnimmt und weiterverbreitet, kann das massive Konsequenzen haben. Nehmen wir das erste Augenzeugen-Foto des amerikanischen Konsulats in Chengdu, als es von der chinesischen Polizei umstellt wurde: Weil sich dort ein Vertrauter des hochrangigen KP-Funktionärs Bo Xilai befand, löste es einen riesigen Skandal aus, in dessen Folge Bo zurücktreten musste. Aber der Nutzer, der es veröffentlichte, wurde nicht bestraft: Er hatte ja einfach ein Foto von etwas gepostet, was er zufällig sah. Meinungsfreiheit in China bricht sich häufig beiläufig Bahn - ich nenne das soziale Unbewusstheit ("social unconsciousness", d. Red.).

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