BGH verhandelt über illegales Filesharing:Chaos auf der Ladebahn

Haften Eltern, wenn ihre Kinder im Internet illegal Musik tauschen? Dürfen Konzerne von ihnen Schadenersatz fordern? Der Bundesgerichtshof soll das klären. Es geht um viel Geld - und die Frage, was Aufsichtspflicht heutzutage eigentlich bedeutet.

Titus Arnu und Wolfgang Janisch

BGH verhandelt über illegales Filesharing

Der Bundesgerichtshof muss klären, ob Eltern für illegales Filesharing ihrer Kinder haften.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

"Und der Mensch heißt Mensch/ Weil er vergisst/ Weil er verdrängt", singt Herbert Grönemeyer. Auf ähnliche Weise menschlich verhielt sich ein Jugendlicher, der 132 Titel von Grönemeyer, Metallica, Iron Maiden und anderen Bands aus dem Internet illegal auf seinen Computer lud. Nach dem Download der Dateien über eine Filesharing-Plattform hielt er sich an die Grönemeyer-Songzeile "Nichts ist wirklich wichtig", er vergaß, er verdrängte.

Bis der Brief einer Rechtsanwaltskanzlei im Briefkasten lag: 3000 Euro sollten die Eltern des Jungen bezahlen. So viel verlangte die Kanzlei im Auftrag der Musikindustrie. 3000 Euro für 132 Musiktitel! Man kann von Grönemeyer halten, was man will, aber 22,70 Euro für einen Song wie "Mensch" sind ganz sicher zu viel.

Ähnliche Erfahrungen machten die Eltern eines 13-Jährigen, der Top-Ten-Hits bei einer illegalen Tauschbörse fand und herunterlud. Er betrachtete das sogenannte Filesharing als harmloses Hobby - bis die Polizei an der Haustür klingelte, ein vom Richter unterschriebenes Papier zeigte und den Computer mitnahm. "Ich wusste nicht, dass das so schlimm ist", sagte der Junge hinterher auf der Wache. Er gab auch zu, dass er kein wirklich reines Gewissen hatte, allerdings: "Ich konnte mir auch gar nicht vorstellen, erwischt zu werden."

Aufsichtspflicht der Eltern

Der Junge ist inzwischen erwachsen, und an diesem Donnerstag wird sein Fall vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt. Ein Fall, der wichtig für jugendliche Musikfans ist - und vor allem für ihre Erziehungsberechtigten. Der BGH klärt erstmals, wie es um die Aufsichtspflicht von Eltern bestellt ist, deren Kinder sich an der illegalen Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke beteiligen. Geklagt haben mehrere Musikkonzerne. Sie wollen eine Haftung der Eltern durchsetzen, um damit einen finanziellen Hebel gegen das weit verbreitete Filesharing ansetzen zu können.

Es geht um viel Geld. Einer GfK-Studie zufolge haben im vergangenen Jahr 7,5 Millionen Deutsche einschlägige Internet-Tauschbörsen besucht. Deutschlandweit teilen sich drei große Anwaltskanzleien in Hamburg und München den Markt dieser Urheberrechts-Verletzungen. Die Kanzleien verschicken im Auftrag ihrer Mandanten - etwa Universal, Warner, Sony oder EMI - Massenbriefe mit Abmahnungen. Der Wortlaut ist meist ähnlich: Es seien Musiktitel "illegal zum Download" angeboten worden. Denn wer sich bei Filesharing-Systemen wie "Emule", "Edonkey" oder "Kazaa" anmeldet, um Dateien herunterzuladen, stellt anderen Nutzern automatisch eigene Dateien zur Verfügung. Das Prinzip der Tauschbörsen, bei denen man Musik, Filme oder Computerspiele herunterladen kann, beruht eben auf Gegenseitigkeit.

Beim Hoch- und Runterladen ist es allerdings möglich, die IP-Adresse jedes beteiligten Rechners zu ermitteln. Diese Adresse lässt sich über den Provider zurückverfolgen wie ein Autokennzeichen. Nach Erkenntnissen des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft in Berlin stellen Rechteinhaber pro Monat im Schnitt 300.000 Anfragen bei den Providern, um zu ermitteln, wer zu welchem Zeitpunkt einen Film oder ein Musikstück heruntergeladen und weiterverbreitet hat. Ist die IP-Adresse erst einmal ermittelt, muss die Postadresse des dazugehörigen Nutzers nach einem entsprechenden Beschluss eines Amtsgerichtes vom Provider herausgegeben werden. Dann folgt die Abmahnung.

"Multimediales Schlaraffenland"

Im Fall, der nun Anlass ist für das BGH-Urteil, hatte der Junge - Sohn eines Chefarzts - im Januar 2007 mehr als 1100 Audiodateien in einer Tauschbörse zum kostenlosen Download angeboten. Verklagt wurden die Eltern nur wegen 15 bestimmter Musiktitel - was sich nach dem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln allerdings auf fast 5400 Euro Schadensersatz und Abmahnkosten summierte. Und zwar, weil die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten. Der Vater hatte sich damit verteidigt, nichts gewusst zu haben und nicht einmal einen Computer bedienen zu können. Das Gericht ließ dies nicht gelten. Auch der Vater haftete, da der illegale Tausch über seinen Internetzugang abgewickelt wurde.

Wie sollen Eltern aber im Alltag kontrollieren, was ihr 16-jähriger Sohn im Internet treibt? Und was bedeutet "Aufsichtspflicht" heutzutage? Die Grundsätze der Aufsichtspflicht sind in einer Zeit entwickelt worden, in der es noch kein Internet gab und es um andere Fragen ging: Von welchem Alter an darf man das Kind unbeaufsichtigt spielen lassen? Wie sicher muss man Streichhölzer aufbewahren?

Nach bisheriger Rechtsprechung hängt es vom Alter ab, wie intensiv Eltern ihre Kinder beaufsichtigen müssen - und von den Risiken der konkreten Situation. Wobei die Richter keineswegs auf eine komplette Risikoverhinderung aus sind: So ging etwa das OLG Oldenburg davon aus, dass Eltern einen Achtjährigen allein mit dem Rad zur Schule fahren lassen dürfen, wenn er einigermaßen geübt ist und eindringlich auf die Verkehrsregeln hingewiesen wurde.

Im Internet sind die Regeln allerdings komplizierter und schwerer zu verstehen. Vielen Jugendlichen ist gar nicht bewusst, was es mit Eigentum und Urheberrechten im Netz auf sich hat. "Manche denken, das ist ein multimediales Schlaraffenland, in dem es alles gibt, was man sich wünscht", sagt Sebastian Ring vom JFF-Institut für Medienpädagogik in München, "die laden bedenkenlos alles runter."

Moralische Erziehungsfragen

Ring findet, dass es bei dem Thema nicht nur um juristische Fragen gehen sollte, er hält eine ethische Grundsatzdiskussion für notwendig. Wie gehe ich mit dem Eigentum anderer Leute um? Was ist Urheberrecht? Der Medienpädagoge rät Eltern, dem Problem nicht nur mit Verboten und technischen Sperren beikommen zu wollen, sondern mit Gesprächen: "Eigentlich geht es um klassische moralische Erziehungsfragen."

Klar ist sowieso, dass man Kinder, die in einer Kommunikationsgesellschaft aufwachsen, nicht aus der Welt des Internets aussperren kann. So setzt das Urteil des OLG Köln, das der BGH nun zu überprüfen hat, auf eine Mischung aus technischen Schutzvorkehrungen sowie elterlicher Überwachung und Belehrung. Dem Jugendlichen dürfe die Internet-Nutzung auch in Abwesenheit der Eltern gestattet werden, "solange hinreichende Verhaltensregeln aufgestellt waren und Kontrollen zu deren Einhaltung durchgeführt wurden", schreiben die OLG-Richter.

Technisch anspruchsvoll

Was die Richter konkret fordern, klingt technisch anspruchsvoll. Erstens soll der Computer durch ein Administratorpasswort gesichert werden, um das Aufspielen von Software zu unterbinden. Das hatte der Chefarzt beherzigt - was seinen findigen Sohn trotzdem nicht daran hinderte, zwei Filesharing-Programme zu installieren. Zweitens: Die Eltern müssen zumindest stichprobenartig kontrollieren, wofür die Kinder den Computer nutzen, sagt das OLG. Welche Programme sind installiert? Welche Websites weist das Protokoll des Internetverlaufs aus? Der Blick ins Internetprotokoll reicht laut OLG allerdings nicht aus, weil Filesharing-Vorgänge dort nicht verzeichnet sind. Der BGH wird also Regeln aufstellen müssen: Wie viel Kontrolle ist notwendig, wie viel zumutbar?

Missbrauch mit den Gebühren

Medienpädagoge Ring rät Eltern, den Internet-Zugang je nach Alter unterschiedlich zu beschränken und zu überwachen. Bei Grundschulkindern rät er zu einem Familien-PC im Wohnzimmer, um immer im Blick zu haben, welche Seiten aufgerufen werden. Bei Jugendlichen, die eigene Computer im Zimmer haben, empfiehlt er zum einen technische Maßnahmen wie Passwort-geschütztes Wlan und Filtersoftware, zum anderen eine klare erzieherische Linie. Es sei auf jeden Fall wichtig, deutlich zu machen, wie teuer illegale Downloads werden können.

Die Höhe des Schadens hat das OLG übrigens parallel zu den Lizenzen berechnet, die eine legale Verbreitung der Musiktitel gekostet hätte - und damit auf immerhin 200 Euro pro Song. Ob dies angemessen ist, wird der BGH ebenfalls klären müssen. Was die horrenden Abmahnkosten angeht, dürfen geplagte Eltern zumindest in Zukunft auf Hilfe aus Berlin hoffen.

Die Bundesjustizministerin will den Missbrauch mit den Gebühren eindämmen, indem sie den Streitwert von Urheberrechtsverletzungen auf 500 Euro limitiert - womit der Anwalt für eine Abmahnung nur noch gut 80 Euro berechnen dürfte. Um möglichst gar keine Strafen wegen Urheberrechtsverletzungen bezahlen zu müssen, "sollten Eltern ihren Kindern auch legale Wege aufzeigen, wie man im Internet Musik hören kann", sagt Medienpädagoge Sebastian Ring - etwa über frei zugängliche Video-Portale, Internet-Radio oder andere Streaming-Seiten.

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