Zukunft des Lernens:Ein Leben auf Displays

Das Buch stirbt aus, Informationen werden überall und zu jeder Zeit auf kleinen Bildschirmen zur Verfügung gestellt. Schüler lernen, Wissen einzuordnen und müssen ihre Zeit nicht mehr mit sturem Auswendiglernen verbringen. Der Trendforscher Sven Gábor Jánszky über die Zukunft des Lernens

Ina Kast

Die Lernwelt wird sich in den kommenden Jahren deutlich verändern. Nicht mehr das Auswendiglernen wird Schüler und Studenten beschäftigen, sondern das Einordnen von Wissen. Auch die Tage der Bücher sind gezählt, wie Sven Gábor Jánszky sagt. Er ist Trendforscher, Zukunftstrainer, Redner und Leiter des 2b AHEAD ThinkTanks.

Süddeutsche.de: Herr Jánszky, wie glauben Sie werden wir im Jahr 2022 lernen?

Sven Gábor Jánszky: Der große Unterschied zu heute wird sein: Es wird nicht mehr nötig sein, sich das Wissen in den Kopf zu pauken. Elektronische Systeme werden uns in jeder Lebenssituation virtuelle Informationen einspielen, die dann zu der jeweiligen Situation passen oder nützlich sind. Aus dieser Prognose heraus wird es beim Lernen im Wesentlichen darum gehen, diese Informationen einzuordnen. Eine Kompetenz zu entwickeln, Dinge zu hinterfragen, Quellen zu suchen.

Süddeutsche.de: Schauen wir dann nur noch auf Bildschirme?

Jánszky: Alles um uns herum wird zu einem Display werden. Ich werde oft gefragt, was denn die Zukunft nach den iPads und Tablets sein wird. Das werden dann Displays auf Spiegeln, Tapeten, Tischen, Fensterscheiben, in Autos oder auf ICE-Sitzen sein. Wenn man sich das vor Augen führt, dann funktionieren die im Prinzip alle wie ein iPad schon heute funktioniert. Allerdings werden das vor allem 3-D-Displays sein. Sie spielen uns an jeder Stelle, egal wo wir sind, die passenden Informationen zu.

Süddeutsche.de: Was bedeutet das für das eLearning?

Jánszky: Eine verbesserte technologische Kompetenz. Egal was man lernt oder tut, man hat immer ein elektronisches Hilfsmittel dabei. Und diese Tablets können nach Algorithmen, die heute schon absehbar sind, immer erkennen, in welcher Situation wir gerade sind und welche Information wir dann gerade benötigen.

Süddeutsche.de: Sie sprechen von Bedürfnissen und Situationen, die die Geräte erkennen werden. Werden sich Lehrer und Schüler überhaupt noch gegenübersitzen, der klassische Frontalunterricht?

Jánszky: Ja, das werden sie und zwar nicht zu knapp. Aber wie dieser Frontalunterricht stattfindet, wird sich ändern - es sind eben nicht nur Lehrer und Gruppe miteinander, sondern jeder hat noch einen Computer, der Lehrer hat auch dieses Ding vor sich, an der Wand ist eine Art internetfähiges Whiteboard. Das Neue wird sein, dass die virtuelle Welt in die klassische Präsenzunterrichtsphase integriert wird.

Süddeutsche.de: Also heißt eLearning, dass ein Schüler aus Taiwan mit einem Schüler aus Schleswig-Holstein zusammen lernt?

Jánszky: Auch das wird selbstverständlich passieren. Die Möglichkeit entsteht fast automatisch, wenn man immer ein internetfähiges Gerät bei sich hat, zum Beispiel mit Videotelefonie. Ein Lehrbuch der Zukunft ist nicht dafür da, dass ich darin etwas lese, sondern dass alle die gerade auch darin lesen, miteinander kommunizieren können.

Süddeutsche.de: In vielen Ländern ist Bildung sehr teuer. Ist eLearning eine Chance für ärmere Menschen oder wird die Digital Gap dadurch noch größer?

Jánszky: Ich glaube, es ist eine Chance. Wenn man eigenverantwortlich und kompetent mit den Geräten umgeht, braucht man nicht viel Geld, um einen hohen Bildungsgrad oder Wissen zu erwerben. Wenn man das allerdings nicht tut, wird die Lücke noch viel größer. Es wird Menschen geben, die das nicht mitmachen.

Süddeutsche.de: Wohl auch weil sie sich diese Geräte nicht leisten können. Selbst in Deutschland wirkt die Vision eines internetfähigen Whiteboards anstatt einer Tafel weit weg angesichts der Tatsache, dass die Ausstattung in vielen Schulen eher aus dem letzten Jahrhundert stammt. Wer bezahlt das also: der Staat oder jeder Einzelne?

Jánszky: Ich hoffe sehr, dass das der Staat endlich tut. Allerdings sind die Anzeichen dafür eher schwach. Das Problem daran ist nicht nur die Ausstattung aus dem letzten Jahrhundert, sondern vielmehr die Organisationsstruktur aus dem letzten Jahrtausend. Solange wir in der Mehrheit die Schulen und die Lehrer als Vollstrecker eines Lehrplanes verstehen, so lange wird es keine Zukunftsgewandtheit in den staatlichen Schulen geben. Es gibt natürlich immer lobenswerte Ausnahmen, aber die sind in den staatlichen Schulen in der Minderheit. Das ist der Grund, warum der private Bildungsbereich rasant wächst.

Süddeutsche.de: Wird Bildung stärker in privater Hand liegen?

Jánszky: Ja, der Bildungsbereich wird vermutlich einer der stärksten Wachstumsbereiche der nächsten Jahre sein. Nicht deshalb, weil das staatliche Bildungssystem so sehr ausgebaut wird, sondern weil daneben ein kommerzialisiertes, privates Bildungssystem entstehen wird, das unheimlich lukrativ wird. Und was spricht dagegen, wenn Unternehmen ihre Schulen betreiben, wie Sportklubs ihre Internate betreiben?

Süddeutsche.de: Weil so ein System eine Entschuldigung für den Staat ist? Vielleicht weil es noch stärker in Gewinner und Verlierer aufteilt?

Jánszky: Ohne Frage: Die wünschenswerte Lösung in unserem Gesellschaftsverständnis wäre es, dass der Staat dies tut. Aber er tut es nicht. Wir stehen also vor der Wahl: Tun wir nichts, weil es eine Entschuldigung für den Staat wäre? Damit blieben wir alle zurück, aber wenigstens wäre es gerecht. Oder nehmen wir unsere Zukunft selbst in die Hand, auch wenn es dabei Gewinner gibt, die aufgrund ihres Geldes schneller als andere vorangehen können? Um es klar zu sagen: Der Ruf nach dem Staat führt uns hier nicht weiter.

Süddeutsche.de: Wer ist denn in diesem Fall der Staat?

Jánszky: Es sind die Referenten, Abteilungsleiter und Minister in den Kultusministerien. Waren Sie schon einmal in einem Kultusministerium? Haben Sie das mutlose Schweigen der langen, dunklen Korridore, die bedrückende Enge der Büros und den inspirationslosen Geist der Beratungen erlebt, in denen nie jemand etwas entscheidet und jede Entscheidung zum Nächsthöheren delegiert wird, weil sie ja irgendwem nicht gefallen könnte? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Dieses System wirkt stabilisierend, ausgleichend und bewahrend für den Status quo. Dies ist eine wichtige Leistung und ein Grund, warum es uns in Deutschland so gut geht! Deshalb finanzieren wir es mit unserem Steuergeld. Aber: Wollen wir ernsthaft die wichtigste Frage unserer Zukunft in die Hände jener legen, die sich bewusst dafür entschieden haben, ihr ganzes Arbeitsleben lang jeden Tag mit dem Bewahren der Vergangenheit zu verbringen? Lassen Sie uns hoffen, dass das kommerzielle Bildungssystem möglichst schnell möglichst groß wird! Es ist unsere Zukunft.

Süddeutsche.de: Was ist dabei das Hauptinteresse der Investoren? Geld zu generieren oder gute Leute auszubilden?

Jánszky: Beides. Es gibt Unternehmen, die den kommerzialisierten Bildungsmarkt als lukrativ betrachten. Die meisten Unternehmen reagieren aber mehr auf Fachkräftemangel und möchten ihre eigenen Leute dadurch ausbilden.

Süddeutsche.de: Beim Lernen ist es heute wichtig, viel Wissen in das Gehirn zu bekommen. Werden Kinder im Jahr 2022 mehr wissen, als Kinder in den 1980er Jahren?

Jánszky: Das ist die Frage, wie man Wissen definiert: Das humanistische Bildungsideal der achtziger Jahre, mit all unserem Faktenwissen, wird nicht mehr gültig sein. Wenn wir das als Wissen sehen, werden Kinder in der Zukunft weniger wissen. Doch die Kinder in der Zukunft werden dennoch mehr wissen, weil sie schlicht all die Informationen, die ein Kind früher im Kopf hatte, von Geräten auf Abruf zur Verfügung gestellt bekommen. Und sobald das passiert, müssen sie das nicht mehr im Kopf haben. Was sie dann wissen müssen ist, wie man es verwendet, den kompetenten Umgang damit.

Süddeutsche.de: Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hat bereits in den 1960er Jahren vorausgesagt, dass wir unsere Gehirne immer mehr auf Computer auslagern werden. Wie sehen Sie das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Computer? Wird der PC irgendwann unser Gehirn sein?

Jánszky: Wo der Mensch versucht gegen einen Computer zu gewinnen, hat er bisher immer verloren. Wir versuchen nämlich immer, mit den Spielregeln des Computers zu spielen. Ein Computer kann immer mehr Wissen speichern als ein menschliches Hirn und ein Computer wird immer schneller rechnen können. Was ein Computer allerdings nicht kann, ist fühlen. Damit meine ich nicht nur den Tast- oder Geruchssinn, sondern wirkliche Gefühle entwickeln. Das heißt: Solange wir nach den Spielregeln des Computers - höher, schneller, weiter - konkurrieren, werden wir immer verlieren. Irgendwann werden wir das erkennen und das Verhältnis von Mensch und Computern akzeptieren. Das Wesentliche im Leben ist nicht höher, schneller, weiter, sondern die Gefühlsebene. Die kann ein Computer nicht lernen, sondern nur wir. Wenn wir das verstanden haben, dann werden wir Computer als Assistenten benutzen, als ausgelagertes Hirn. Dann ist alles in Ordnung. Wenn wir das nicht verstehen, dann benutzen die Computer irgendwann uns. Ich bin aber kein Vertreter von Apokalypse-Szenarien.

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