Wissenschaft in Spanien:Abschreiben mit Auszeichnung

Olympiabewerbung Madrid 2020

Prominenter Plagiator? Alejandro Blanco, Vorsitzender des Olympischen Komitees Spaniens (mit Madrids Oberbürgermeisterin Ana Botella, links) steht im Verdacht, seine Doktorarbeit abgekupfert zu haben.

(Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

Im Filz der Vetternwirtschaft an Spaniens Universitäten werden Plagiatoren fürs Abkupfern mitunter sogar noch belohnt. So erhielten zwei des Abschreibens überführte Wissenschaftler Preise für ihre Arbeiten - an einer Hochschule, die das Attribut "Exzellenzuniversität" trägt.

Von Thomas Urban

Den Zeitpunkt für seine Dissertation hatte Alejandro Blanco ausgesprochen schlecht gewählt: Der Vorsitzende des Olympischen Komitees Spaniens reichte die Arbeit vor einem Jahr ein, als die Medien noch mehr als sonst ein Auge auf ihn hatten. Das von der Krise gebeutelte Madrid war gerade in die Endausscheidung für die Olympischen Sommerspiele 2020 gekommen, und Blanco, langjähriger Präsident des Königlich-Spanischen Verbandes für ostasiatischen Kampfsport, war zum Chef des Bewerbungskomitees gewählt worden. Vorgelegt hat er eine "soziologisch-sportliche Analyse" des spanischen Olympia-Teams 2008.

Also prüften einige Sportwissenschaftler besonders genau seine Arbeit, für die er von der Universität der galicischen Hafenstadt Vigo promoviert werden wollte. Bald wurde den Medien gesteckt: Der frühere Judoka habe ein Plagiat eingereicht. Eine in großen Zügen identische Arbeit habe es an der Universität Alicante am anderen Ende Spaniens gegeben. Pikanterweise wurden beide Werke von derselben Professorin betreut.

Es war nicht die erste Plagiatsaffäre an der Uni Vigo, die übrigens den Titel "Exzellenzuniversität" trägt. In der Nebenstelle der Hochschule im 100 Kilometer östlich gelegenen Ourense hatte vor drei Jahren der Leiter des Lehrstuhls für physikalische Chemie, der frühere Dekan Juan Carlos Mejuto, landesweite Bekanntheit erlangt. Er hatte gemeinsam mit anderen Autoren zwei Aufsätze für das angesehene Journal of Chemical & Engineering Data von zwei chinesischen Experten abgekupfert.

Begrenzte Englischkenntnisse als Ausrede

Mejuto erklärte, die Aufsätze der Chinesen hätten nur als "Sprachmuster" gedient, wegen der begrenzten Englischkenntnisse der spanischen Experten. Irrtümlicherweise sei an die Redaktion in den USA ein Teil der Materialsammlung geschickt worden. Die amerikanischen Herausgeber ließen diese Ausrede aber nicht gelten: Es handle sich eindeutig um ein Plagiat.

Spanische Zeitungen haben darüber ausführlich berichtet, doch negative Konsequenzen blieben aus, im Gegenteil: Zwei der Autoren erhielten sogar Preise. Einer der beiden bekam nicht nur eine Exzellenzauszeichnung für seine Doktorarbeit zum selben Thema, sondern zusätzlich ein üppig dotiertes Forschungsstipendium für eine ausländische Hochschule "eigener Wahl". Und das alles zu einem Zeitpunkt, als Spaniens Hochschulen Tausenden Dozenten mitteilten, dass sie deren Verträge wegen des Sparkurses nicht verlängern könnten. Infolge von "Rationalisierungsmaßnahmen" angesichts der Wirtschaftskrise hatte es damals eine Kündigungswelle gegeben, zu Lasten vor allem des Nachwuchses.

Mejuto selbst, der weiterhin ein Doktorandenprogramm führt, bekam für die "exzellente Leistung" seines Wissenschaftler-Teams einen Preis der konservativen Regionalregierung, obwohl dort die Kontroverse bekannt war. Der zuständige Minister Jesús Vázquez Abad ist ein alter Bekannter, er war früher ebenfalls Dekan in Ourense. Preisgeld: 112.000 Euro. Auch der Rektor von Vigo hat die überführten Plagiatoren stets in Schutz genommen. Mittlerweile hat er noch ganz andere Sorgen: Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Geldwäsche in Höhe von 1,6 Millionen Euro.

Ein Echo fand in der Presse auch die Arbeit einer Gruppe von Betriebswirtschaftlern: Ganze Absätze einer Untersuchung über die Agrarwirtschaft im Einzugsbereich des durch Ourense fließenden Rio Miño waren wortwörtlich aus einer Studie über den Ebro übernommen worden waren. Beim Kopieren haben die Autoren allerdings nicht aufgepasst, sie ließen nämlich Passagen über geografische Merkmale der Ebro-Region stehen. Doch trotz des offenkundigen Plagiats wurden der Forschungsgruppe für die Studie insgesamt 42.722 Euro überwiesen, die ursprünglich aus einem EU-Fonds stammen.

Bestechung und Vetternwirtschaft

Auch die Wahl eines neuen Dekans der Naturwissenschaftler von Ourense war nicht unumstritten. Der Geologe Pedro Araújo war erst wenige Monate zuvor promoviert worden und lediglich als Ko-Autor von drei kürzeren Aufsätzen hervorgetreten. Dafür ist er mit Regionalpolitikern bestens vernetzt, bei den bisher letzten Kommunalwahlen war er für die Sozialisten angetreten.

Der Bürgermeister Francisco Rodríguez, ein Parteifreund, erteilte ihm 2012 offenkundig ohne Ausschreibung den mit 70.000 Euro dotierten Auftrag, die Thermalquellen der Stadt zu erforschen. Der Bürgermeister ließ überdies einer Firma mit dem Namen Xeoaquis, deren einziger registrierter Angestellter zufälligerweise der Assistent des Dekans ist, weitere 15.000 Euro überweisen.

Wegen Bestechung und Vetternwirtschaft wurde Bürgermeister Rodríguez Ende 2012 im Rahmen der "Operation Pokémon" festgenommen. Die Strafverfolger hatten mit diesem Codenamen Sinn für Humor bewiesen: Wie bei dem japanischen Computerspiel erscheinen ständig neue Figuren bei den Ermittlungen zu einem korrupten Netzwerk. Als er nach einigen Tagen unter Auflagen aus der Untersuchungshaft freikam, feierten das seine Parteifreunde - nach Medienberichten auf Kosten der Stadtkasse. Doch im Amt konnte er nicht bleiben. Zu den ersten Amtshandlungen seines Nachfolgers gehörte es, der eigenen Tochter einen lukrativen Beraterposten zu verschaffen.

Keine Einzelfälle

Die Universität von Vigo mit ihren hypermodernen Gebäuden, für deren Instandhaltung aber die Mittel immer knapper werden, sowie ihre Außenstelle im gemütlichen Ourense sind nach Meinung von Experten bei Weitem keine Einzelfälle. Der Erziehungswissenschaftler José Penalva hat über ein Netzwerk empörter Dozenten eine Fülle von Materialien gesammelt und das Buch "Korruption an der Universität" veröffentlicht. Er sieht als Grundübel der Hochschulen in Spanien die Vetternwirtschaft: Dozentenstellen gehen nach seinen Schätzungen zu 98 Prozent an Bewerber aus dem eigenen Haus, und untereinander werden eifrig akademische Titel, Preise und Forschungsgelder vergeben. Penalva selbst hatte sich in die Universität Murcia eingeklagt, weil der ihm zunächst vorgezogene einheimische Kandidat in jeder Hinsicht schlechter qualifiziert war. Doch klagt er nun über Schikanen und Mobbing.

Im Mangel an akademischem Austausch sehen Experten eine der Ursachen für das schlechte Abschneiden spanischer Unis im internationalen Vergleich. Immer mehr besorgte Professoren fordern von der Politik Maßnahmen gegen die "akademische Inzucht". Auch aus Vigo kommt Protest von Dozenten, die sich dagegen wehren, mit den "schwarzen Schafen" über einen Kamm geschoren zu werden.

In der Plagiatsaffäre des prominenten Sportfunktionärs Blanco hat die Universität nun auf öffentlichen Druck hin eine Entscheidung getroffen. Es war nämlich bekannt geworden, dass die Betreuerin der Arbeit einen Posten in der Olympischen Akademie Spaniens übernommen hat - und die untersteht ausgerechnet Blanco. Die Universität teilte nun mit, dass es überhaupt keine Dissertation gebe. Vielmehr handle es sich bei dem Text Blancos um "Vorstudien".

Wo es keine wissenschaftliche Arbeit gibt, könne es auch kein Plagiat geben. Und somit auch keine Affäre.

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