Weiterbildung:Pädagogen als Praktikanten

In vielen Bundesländern können Lehrer in Unternehmen hospitieren, um ihre Schüler besser bei der Berufswahl zu beraten. Manche möchten das Programm sogar zur Pflicht machen.

Von Ralf Steinbacher

Am Ende ließ der Schulleiter Stephan Lippold sie gehen. Er habe es "ungern" getan, gibt Lippold zu, schließlich musste der Direktor des Augsburger Peutinger-Gymnasiums dafür ein ganzes Jahr auf seine Lehrerin verzichten. Maria Englbrecht tauschte sodann Klassenzimmer gegen Büro. "Viele Leute haben gesagt: Das ist aber mutig", sagt die 36-Jährige. Das Modellprojekt "Lehrer in der Wirtschaft" bietet auf Initiative der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft Pädagogen die Möglichkeit, sich ein Bild von der Arbeit in Firmen zu machen - ihre Erfahrungen sollen sie dann später an Schüler und andere Lehrer weitergeben.

Maria Englbrecht eilt durch die Bürolandschaft in der Zentrale der Augsburger Lechwerke AG, ganz so, als wäre sie dort zu Hause. Die Einrichtung wirkt modern, überall stehen Sofas. Im Konferenzraum des Energieversorgers kommt die Latein- und Deutschlehrerin gleich zum Thema: Mutig? Na ja. Es sei doch eine komfortable Situation: Sie behalte den sicheren Job als Lehrerin, habe aber die Chance, ihren Horizont zu erweitern. Viel sei in so einem Betrieb anders als an einer Schule, sagt Englbrecht, sie könne viel mitnehmen für die Arbeit an ihrem Gymnasium: "Es wird anders kommuniziert, und in der Firma sind wichtige Ansprechpartner leicht zu erreichen. Es gibt viele Spezialisten - während man an der Schule doch vieles selber macht." Und es werde alles dokumentiert - auch das eine Anregung für die Zeit danach.

Englbrecht wollte zu den Lechwerken und hat erlebt, was auch ihren Schülern einmal bevorsteht: Sie musste sich dafür bewerben und das Bewerbungsgespräch meistern. Ihre Zeit ist fast um, noch bis Ende August arbeitet sie in einem Bildungsprogramm des Unternehmens mit. Die Initiative "3malE - Bildung mit Energie" ist eine Plattform für den Austausch zwischen dem Wirtschafts- und dem Bildungssektor. Es gibt Seminare und Vorträge für Schulleiter, Lehrer, Eltern, Schüler, Erzieher und Kita-Kinder; Partnerschulen können aus mehr als 100 Bildungsangeboten jährlich auswählen. Darunter kann zum Beispiel ein Vortrag zu Cyber-Mobbing fallen, eine Lernwerkstatt zum Thema Energie oder ein Bewerbungstraining. Englbrecht ist für die Abwicklung des Programms zuständig, sie fährt viel herum, besucht Schulen und Kitas. Viel Zeit zur Einarbeitung blieb ihr nicht: Im Schnelldurchlauf lernte Englbrecht Ansprechpartner, den Ausbildungsbereich und das Personalwesen kennen und war bei Bewerbungsgesprächen dabei. Wenn es im Klassenzimmer dann wieder um Berufs- und Studienorientierung geht, "werde ich glaubwürdiger auftreten können", sagt sie.

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Lehrerin Maria Englbrecht (ganz links) besucht die Leitstelle ihres Arbeitgebers auf Zeit, eines bayerischen Energieversorgers.

(Foto: LEW/Michael Hochgemuth)

Lehrer haben in vielen Bundesländern die Möglichkeit, freiwillig in Betriebe zu schauen: In Sachsen-Anhalt gibt es fünftägige Blockpraktika, in Mecklenburg-Vorpommern sind zehn aufeinanderfolgende Arbeitstage vorgesehen, auch Nordrhein-Westfalen hat ein Programm sogar für Lehrer allgemeinbildender Schulen. In Hamburg gibt es seit 1997 fünftägige Lehrerbetriebspraktika, durchgeführt von der Handelskammer. Diese hat die Teilnehmer denn auch nach ihren Erfahrungen befragt - ausnahmslos alle, die an der Umfrage teilnahmen, fanden das Praktikum im Betrieb "sinnvoll" oder "sehr sinnvoll". Etwa zwei Drittel versprachen sich davon, ihren Schülern besser bei der Berufsorientierung helfen zu können.

Das Thema Berufs- und Studienorientierung hat in den vergangenen Jahren in allen Bundesländern an Bedeutung gewonnen. Derzeit bricht fast jeder dritte Bachelor-Student ab, das kostet die Betroffenen unnötig Zeit. Auch viele Lehrlinge halten nicht durch, fast jede vierte Ausbildung wird abgebrochen. Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart etwa ergab, dass 80 Prozent der Betriebe, die Probleme bei der Ausbildung feststellen, dabei unklare Berufsvorstellungen vieler Jugendlicher beklagen. Kein Wunder also, dass die IHK es nun begrüßt, dass Baden-Württemberg ein neues Schulfach einführt: Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung. Doch das wird im bildungsföderalen Deutschland wohl die Ausnahme bleiben. Wenn nun aber schon relativ unaufwendig mit Lehrerbetriebspraktika die Berufsorientierung verbessert werden kann - warum sind sie dann nicht verpflichtend?

Josef Kraus, der Präsident des deutschen Lehrerverbands, hält das für überlegenswert. Denn regelmäßige Kontakte zur Wirtschaft seien überaus wichtig. "An meinem Gymnasium, das ich über 20 Jahre geleitet habe, gab es Fortbildungstage für alle Lehrer zusammen mit großen Firmen sowie deren Personal- und Ausbildungsleitern", sagt Kraus. Lehrerbetriebspraktika würde er durchaus zur Pflicht machen - allerdings nur für die Lehrer bestimmter Unterrichtsfächer wie Wirtschaft oder Arbeitslehre. Das sieht auch Ilka Hoffmann so, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW.

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Auch mit dem Thema Elektromobilität hat Maria Englbrecht im Rahmen ihres einjährigen Praktikums zu tun.

(Foto: LEW/Michael Hochgemuth)

Die meisten Besuche dauern ein paar Tage - ein Projekt geht über ein ganzes Jahr

Aus Sicht der Unternehmen reicht das nicht. Hubert Schöffmann, bildungspolitischer Sprecher des bayerischen Industrie- und Handelskammern, sagt: "Wenn man sich ansieht, mit welcher Dynamik sich die Wirtschaft heute ändert, kann ein einmaliges Praktikum während des Lehramtsstudiums nicht für eine gesamte Lehrer-Berufslaufbahn ausreichen." Wenn Lehrer ihre Schüler optimal auf den Übergang in den Beruf und in eine Ausbildung vorbereiten wollten, müssten sie ein Gespür für viele verschiedene Branchen, Ausbildungsberufe und Studiengänge haben.

Warum dennoch nicht jeder Lehrer gezwungen wird, einen Betrieb als Praktikant kennenzulernen, darauf hat das nordrhein-westfälische Schulministerium eine Antwort: Man wolle den Schulen nicht vorschreiben, wo der Schwerpunkt ihrer Fortbildung zu liegen habe - Stichwort Eigenverantwortung. Wenn zum Beispiel eine Schule viele Schüler mit Migrationshintergrund habe, werde der Schulleiter wahrscheinlich eher im sprachlichen Bereich die Priorität bei der Fortbildung sehen.

Andererseits geht es nur um wenige Tage und nicht gleich um ein ganzes Jahr wie beim Modellprojekt "Lehrer in der Wirtschaft". Das hält Direktor Stephan Lippold für einen "reinen Gewinn", weil es so gut organisiert sei. Vom Ministerium habe er Ersatz für seine Lehrerin erhalten, und die komme bald mit neuem Wissen zurück. Davon könne die Berufsorientierung profitieren. Aber es sei auch ein konkretes Projekt geplant, da gehe es um die Weiterentwicklung der internen Evaluationskultur. Zudem wolle die Schule die Partnerschaft mit den Lechwerken stärken.

Maria Englbrecht glaubt, dass auch die Öffentlichkeitsarbeit an ihrer Schule von ihrer Erfahrung profitieren wird. Ihr Gymnasium, das etwas in die Jahre gekommen ist, müsse gegen andere konkurrieren, die vielleicht gerade erst gebaut wurden. Doch sie ist überzeugt: "Man kann auch wahrgenommen werden, wenn man wenig Personal und Budget zur Verfügung hat."

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