Vergleichbare Abitur-Prüfungen:Auf dem Rücken der Schüler

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Die Einführung vergleichbarer Abi-Prüfungen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allein, er geht nicht weit genug und kommt überhastet. Die Leidtragenden sind wie schon beim "Turbo-Abi" die Schüler.

Ein Kommentar von Johanna Bruckner

Eine Erstsemester-Party, irgendwo in Deutschland. Das erste Kennenlernen ist fast abgeschlossen, da wird eine letzte entscheidende Frage über die wummernden Bässe gebrüllt: "Und, wo hast du Abi gemacht?" Wohl dem, der jetzt mit einem überlegenen Lächeln "Bayern" sagen kann - und sich nicht für "Bremen" belächeln lassen muss.

Abitur ist nicht gleich Abitur in Deutschland, das Image der Hochschulreife hängt vom jeweiligen Bundesland ab. Ob das Klischee - Bayern ist top, Bremen Flop - tatsächlich (noch) stimmt, lässt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, weil es bislang keine bundesweiten Leistungstests in der Oberstufe gibt.

Doch es gibt eben Vorurteile: Zum Beispiel, dass Abschlussprüfungen, die dezentral an den Gymnasien konzipiert und durchgeführt werden (wie heute noch in Rheinland-Pfalz) nicht das Niveau haben von zentralen Abi-Klausuren. Und es gibt Indizien für Leistungsunterschiede wie die Pisa-Studien, die gezeigt haben, dass das Bildungsniveau von Mittelstufenschülern in den Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Die Schlussfolgerung, dass sich das bis zum Abitur durchzieht, liegt nahe.

Wissensstand und Abi-Noten sind das Problem

Künftig könnte es nun auch Beweise geben. Denn die Kultusminister haben von 2016 an vergleichbare Abi-Prüfungen in den Kernfächern Deutsch, Mathe, Englisch und Französisch beschlossen. Das mit dieser Entscheidung die Frage "Und, wo hast du Abi gemacht?" an Bedeutung verliert, ist aber nur ein Nebeneffekt. Denn die gefühlt unterschiedliche Wertigkeit der Hochschulreife war nie das Hauptproblem. Problematisch sind der unterschiedliche Wissensstand von Abiturienten und die mangelnde Vergleichbarkeit von Abiturnoten.

Wenn die Bundesländer individuell entscheiden können, welche Anforderungen sie beispielsweise an die Erreichung der Hochschulreife in Mathematik stellen, landen an den Unis im Zweifelsfall Erstsemester mit sehr unterschiedlichem Fachwissen. In der Einführungsvorlesung Statistik sitzen dann geübte Prozentrechner neben absoluten Laien - die sich in Eigenregie erst einmal die Grundlagen erarbeiten müssen. Das ist im besten Fall eine Herausforderung, im schlechtesten eine Überforderung.

Abiturienten (Foto: dpa)

Nachteile haben aber auch Abiturienten aus den mutmaßlich bildungsstarken Bundesländern. Wenn sie Pech haben, schaffen sie es gar nicht erst die die Statistik-Vorlesung - zumindest nicht an ihrer Wunsch-Uni. Denn höhere Anforderungen im Abitur gehen mit schlechteren Abschlüssen einher. In stark nachgefragten Studienfächern braucht es aber schon einen guten Einserschnitt, um zugelassen zu werden.

Bundesweit einheitliche Lehrpläne ab Klasse fünf und ein Abitur für alle könnten diese Ungerechtigkeiten aus der Welt schaffen. Doch das Wort Zentralabitur meiden die Kultusminister wie die Maulwürfe das Licht. Denn es impliziert, dass die Bildungshoheit von den Ländern auf den Bund übergehen würde - und wer bräuchte dann noch 16 Landesminister?

Nein, viel lieber verkaufen die Kultusminister ihre aktuelle Entscheidung als "historischen Schritt". Dabei ist die nur insofern geschichtsträchtig, als dass sie das Trauerstück um das deutsche Abitur fortschreibt.

Bildungsreformen nicht in der Oberstufe ansetzen

So überfällig jeder Trippelschritt in Richtung eines einheitlicheren Abiturs sein mag: Nach dem "Turbo-Abi" müssen die Gymnasien eine weitere unausgegorene Bildungsreform umsetzen. Die Leidtragenden sind einmal mehr die Schüler, denn der Minister-Beschluss greift viel zu kurz.

Abi-Aufgaben 2013
:Das müssen Abiturienten wissen

Wahrscheinlichkeiten berechnen, Texte erörtern, Aristoteles' Lehre erklären: Bayerische Schüler müssen auf dem Weg zum Abitur ihr Wissen in vielen Fächern unter Beweis stellen. Eine Auswahl aus den schriftlichen Abi-Prüfungen.

Wenn die Anforderungen am Gymnasium tatsächlich von Bundesland zu Bundesland verschieden sind, dann haben heutige Neuntklässler - bedienen wir das Klischee - in Bremen ein niedrigeres Bildungsniveau als bayerische Neuntklässler. In drei Jahren sollen sie aber das gleiche Abitur schreiben.

Einheitliche Prüfungen in den Kernfächern machen auch nur dann Sinn, wenn diese Fächer in allen Ländern im schriftlichen Abitur verpflichtend sind. Das ist aber noch nicht der Fall. Für manche Neuntklässler bedeutet das: Auf sie kommen ab Klasse zehn Leistungsanforderungen zu, mit denen sie überhaupt nicht gerechnet hatten - und auf die sie bis dato auch nicht vorbereitet wurden.

Bildungsreformen dürfen nicht in der Oberstufe ansetzen, sie müssen von der Unterstufe aus gedacht werden. Vergleichbare Abi-Prüfungen machen nur mit vergleichbaren Lehrplänen ab Klasse fünf Sinn. Die Kultusminister schaffen keine Ungerechtigkeit aus der Welt. Sie ersetzen einfach eine bestehende Ungerechtigkeit durch eine neue.

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