Urteil in Österreich:Platzmangel an Uni - Student bekommt Schadensersatz

Ein ehemaliger Medizinstudent aus Graz bekommt von der Republik Österreich Schadensersatz, weil er sein Studium wegen fehlender Plätze in Lehrveranstaltungen verlängern musste. Ein Urteil, das nach Deutschland ausstrahlen könnte?

Studienzeit ist Geld. Das gilt auch in Österreich - und hat im Fall eines Medizinstudenten aus Graz nicht nur mit den Studiengebühren zu tun, die die dortigen Hochschulen erheben. Weil die Medizinische Universität Graz dem angehenden Mediziner im zweiten Studienabschnitt keinen Platz in bestimmten Lehrveranstaltungen hatte anbieten können, war dieser gezwungen gewesen, länger an der Uni zu bleiben.

Der Ex-Student war deswegen vor Gericht gezogen und hatte die Republik Österreich auf Schadensersatz verklagt. Der Rechtsstreit, der sich über mehrere Jahre und Instanzen hinzog, mündete jetzt in einem Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH): Danach steht dem Kläger, der mittlerweile als Arzt arbeitet, eine finanzielle Entschädigung zu. Das berichten übereinstimmend österreichische Medien unter Berufung auf das Urteil.

Dem Arzt müssen demnach alle "Vermögensnachteile" ersetzt werden, die ihm durch die Studienverzögerung entstanden sind - darunter nicht nur Studiengebühren, sondern auch Lebenshaltungskosten und entgangene Gewinne durch den späteren Berufseintritt. Denn: "Die Universität handelt rechtswidrig, wenn ein Studierender sein Studium wegen nicht ausreichender Parallellehrveranstaltungen erst später als vorgesehen beenden kann." Die Republik Österreich als zuständiger Rechtsträger sei wiederum verpflichtet, "den Unis jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen".

Freier Hochschulzugang, überlaufene Studienfächer

Das OGH wandte sich mit seiner Begründung gegen Urteile vorheriger Instanzen, die unter anderem argumentiert hatten, den Staat Österreich treffe keine Schuld an der Studienzeitverlängerung, weil es schlicht an geeignetem Lehrpersonal für Zusatzveranstaltungen gefehlt habe.

Anders als in Deutschland waren Zulassungsbeschränkungen für Studiengänge in Österreich lange nicht üblich. Gerade Fächer wie Medizin waren deshalb regelmäßig überlaufen, weil neben Einheimischen auch Studienanfänger aus dem benachbarten Ausland an die Unis strömten. Erst seit 2006 gibt es Aufnahmetests für Abiturienten mit Studienwunsch Medizin.

Nach dem Urteil wird nun der Ruf laut, den Hochschulzugang weiter zu reglementieren. "Das Urteil zeigt das Dilemma der österreichischen Hochschulpolitik zwischen geradezu grenzenlos freiem Hochschulzugang und allem, was eben dazugehört, vor allem an Ansprüchen der Studierenden", sagte der Vorsitzende der Universitätenkonferenz, Heinrich Schmidinger, dem Standard. Es sei zu befürchten, dass der jüngst entschiedene Fall "Präzedenzwirkung haben kann und nicht der einzige bleibt".

Klage auch in Deutschland möglich?

Auch der eine oder andere deutsche Student dürfte bei dem Urteil aufhorchen. Denn auch hierzulande kommt es immer wieder vor, dass Studierende keinen Platz in Lehrveranstaltungen bekommen. Besonders in Medizin und Zahnmedizin gebe es in der klinischen Studienphase - wenn verstärkt in Laboren mit begrenztem Platzangebot gearbeitet wird - "Überbuchungen" von Seiten der Unis, berichtet Dirk Naumann zu Grünberg, Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er macht deutschen Studenten aber wenig Hoffnung, mit einer Klage so erfolgreich zu sein wie der Kommilitone aus Österreich.

Zwar sei ihm ein annähernd vergleichbarer Fall aus Hamburg bekannt: Dabei habe sich ein Studienbewerber erfolgreich ins Studium eingeklagt und die verpasste Studienzeit von einem Dreivierteljahr gegenüber der Uni schadenersatzpflichtig geltend gemacht. Jedoch müssten deutsche Studenten, die einen fehlenden Platz in einer Lehrveranstaltung als Grund für eine Studienverzögerung anführen, nachweisen, "dass sie alles Menschenmögliche getan haben, um doch noch an dem Kurs teilnehmen zu können".

An erster Stelle stehe hierbei der Gang vor ein Verwaltungsgericht: Studenten könnten sich ihren Platz im Eilverfahren einklagen. Hilfestellungen bei diesem ersten juristischen Schritt geben Studierendenvertretungen oder spezialisierte Fachanwälte, bedürftige Studenten haben ein Recht auf Prozesskostenhilfe. Solche "Kurszulassungsklagen" seien häufig erfolgreich, so Naumann zu Grünberg, weil die Hochschulen eine weitere juristische Auseinandersetzung vor einem Zivilgericht vermeiden wollten.

Inwieweit sich solche Klagen allerdings vor dem Hintergrund doppelter Abitur-Jahrgänge mehren und zum tatsächlichen Problem für die Unis werden könnten, bleibt abzuwarten. An den österreichischen Hochschulen jedenfalls sieht man den richterlichen Beschluss durchaus hoffnungsvoll: "Die Republik ist zu Schadenersatz verpflichtet worden, deshalb liegt es am Bund. Das Urteil bringt alle Beteiligten in hoffentlich positiven Zugzwang."

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