Urteil:Blaumacher

Dass Studierende - gerade wenn draußen der Sommer lockt - eine Vorlesung vorzeitig und ohne wasserdichtes Alibi verlassen, kommt öfter vor. Nun aber müssen sich auch Professoren warm anziehen. Im Seminar früher Schluss machen? Ist nicht mehr.

Von Johann Osel

Es kann schönere Orte geben als Hörsäle. Wenn sich Studenten aufeinander stapeln oder sogar auf der Treppe Platz nehmen müssen, wenn die Vorlesung noch dazu langweilig ist und vom Professor bereits Ende der Neunzigerjahre so abgespult wurde, wenn es in manchen Ecken laut ist und im Sommer vielleicht müffelt, ja ohnehin im Sommer, wenn der Blick durchs Fenster Alternativprogramme im Kopfkino startet - dann könnte man einfach türmen. Das rächt sich womöglich für Studenten, ihnen fehlt dann Wissen aus der Lehrveranstaltung, und wenn es eine Vorlesung mit Anwesenheitspflicht ist, droht Unbill. Solche droht - das ist nun richterlich bestätigt - auch einem türmenden Professor. Weigert sich ein Hochschullehrer, geplante Vorlesungen zu halten, kann er eine Geldbuße bekommen. Trotz Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz, die so weit nun auch wieder nicht geht.

Über ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Münster berichtet die Zeitschrift Forschung und Lehre, herausgegeben von der Professorengewerkschaft Deutscher Hochschulverband, in ihrer aktuellen Ausgabe. Ein Professor einer Fachhochschule hatte die Lehrveranstaltung in Konstruktionslehre - bestehend aus einer Vorlesung, einer Übung und einem Praktikum - nach eigenen Angaben 20 Minuten vor regulärem Ende abgebrochen. Am nächsten Tag schrieb er eine E-Mail an die Studenten: "Nachdem in den Vorlesungen ein unzumutbarer Lärmpegel herrscht, und das Lehrformat deshalb pädagogisch nicht sinnvoll durchgeführt werden kann, werden wir die Vorlesungen künftig streichen." Stattdessen bot er eine zusätzliche Übungsgruppe an. In mehreren Gesprächen mit dem Dekan und dem Präsidenten machte er deutlich, dass er nicht beabsichtige, die Vorlesung wieder aufzunehmen. Und auf ausdrückliche Anweisungen dazu reagierte er nicht.

Ein Vertreter stand in der Folge im Hörsaal. Die Richter schreiben: "Die Fortführung der Veranstaltung durch eine Vertretungskraft verlief offenbar reibungslos." Nun gut, für die Lehre war gesorgt, allerdings leitete die Hochschule ein Disziplinarverfahren ein und verhängte eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro. Die dagegen erhobene Klage des Professors hatte keinen Erfolg. Die Disziplinarverfügung, so die Richter, sei "recht- und zweckmäßig", denn der Professor sei verpflichtet, dienstliche Anordnungen auszuführen. Eine Befreiung davon folge auch nicht aus der Wissenschaftsfreiheit.

Was die Richter dem Manne zugestehen: den einmaligen Abbruch der Vorlesung wegen "eines von ihm für unzumutbar gehaltenen Lärmpegels" - obwohl er im Rahmen des ihm übertragenen Hausrechts die Schwätzer des Raumes verweisen hätte können. Der Kläger hatte zwar zu Bedenken gegeben, dass dies bei einer Teilnehmerzahl von etwa 100 Studenten nicht möglich sei. Die Richter halten das aber für "nicht nachvollziehbar" - "im äußersten Fall" hätte er den Dekan zu Hilfe holen können. Ob Letzterer sich mit breiter Brust aufgebaut und die Störenfriede hinauskomplimentiert hätte? Im Grunde ist das egal, denn es geht den Richtern nur um den weiteren Verlauf der Causa. Dass der Professor in der Folgewoche wieder geregelt zu lehren hätte, sei "nicht unzumutbar" gewesen.

Insgesamt hielt das Gericht die Buße in der Höhe für erforderlich, um den Kläger zu "künftig ordnungsgemäßem Verhalten" anzuhalten. Dieser habe seine Stellung als Hochschullehrer "überschätzt". Erst seit ein paar Jahren ist er übrigens auf Lebenszeit beamteter Professor, zuvor war er - wie an Fachhochschulen durchaus üblich - Maschinenbauingenieur. In der offenbar viel flexibleren Privatwirtschaft.

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