Universitäten:Es muss nicht immer Harvard sein

Weltweit studieren so viele Menschen wie nie zuvor. Besonders private, gewinnorientierte Hochschulen boomen. Was bedeutet das für die Bildung? Eine internationale Konferenz in Hamburg hat nach Antworten gesucht.

Von Susanne Klein

Das geflügelte Wort der Konferenz lieferte Ennio Vivaldi Véjar. "In Chile ist es einfacher, eine Universität zu eröffnen als einen Schnapsladen", sagte der Präsident der University of Chile vergangene Woche in Hamburg. 47 Hochschulpräsidenten aus 26 Ländern waren angereist, um sich über den Zustand der Hochschulbildung zu beraten. Und obwohl der Wildwuchs nicht überall so ungehindert sprießt wie in Chile, so nickten doch einige Köpfe bei seinem Bonmot: Das Problem kennen wir.

Die Welt akademisiert sich. Der Run auf die Hochschulen ist enorm, wie Philip Altbach, Erziehungswissenschaftler am Boston College, in Hamburg vorrechnete: 200 Millionen Studenten sitzen heute in Seminaren und Hörsälen, doppelt so viele wie zu Beginn des Jahrtausends. Diese "Massifizierung" hat weit mehr junge Leute für die akademische Bildung mobilisiert, als das klassische System versorgen kann. Weshalb vor allem private, gewinnorientierte Neugründungen boomen, häufig ungesteuert und ohne fachliche Prüfung des Lehrpersonals. Der Amerikaner Altbach spricht von einer "Phase der Anarchie", in den meisten Staaten sei das Bildungswesen nicht rational und schon gar nicht effizient organisiert. "Wir brauchen aber überall differenzierte Systeme, damit Institutionen, die Abschlüsse und Zertifikate anbieten, an einem Strang ziehen, statt einfach nur zu konkurrieren."

Die Präsidenten, angereist aus so unterschiedlichen Ländern wie Indien, Russland, Kanada, Ägypten, Frankreich oder Taiwan, schlossen sich dieser Meinung an. In einer am Freitag verabschiedeten Resolution konstatieren sie angesichts der rasanten Entwicklung "nichts weniger als eine globale akademische Revolution". Ihre einhellige Meinung: Ohne private Hochschulen lässt sich die Nachfrage nicht stillen, aber dass jede ihr Ding macht, geht auch nicht. Als Basis für eine sinnvolle Differenzierung fordern sie eine klare Aufgabenteilung der Hochschularten. Anders könne man den heutigen Studenten mit ihren sehr verschiedenen Bedürfnissen und Vorkenntnissen nicht mehr gerecht werden. Den Rahmen für die Differenzierung müssten prinzipiell die Regierungen schaffen. Sie sollen regeln, unter welchen Bedingungen Einrichtungen zugelassen und finanziert werden und welchen Bildungsauftrag sie zu erfüllen haben. In europäischen Ländern ist dies weitgehend geschehen, in vielen anderen hingegen nicht.

Internationale Rankings sind aus Sicht der Präsidenten kein gutes Mittel der Qualitätssicherung

Auch wenn sie dem Staat eine große Rolle zugestehen: Die Kriterien für die Regulierung sollten Universitäten maßgeblich mitgestalten, finden die Präsidenten. Zwar vertreten sie nur die klassischen Forschungsuniversitäten - zwei bis fünf Prozent der etwa 22 000 Hochschulen weltweit -, doch deren Selbstverständnis als Alma Mater, die ihre Arme wissensspendend über die ganze Bildungslandschaft ausbreitet, begründet automatisch einen Führungsanspruch. Im Dschungel der Colleges, Institute, Akademien und Hochschultypen trauen die Rektoren ihrer eigenen Institution den größten Vorbildcharakter zu. "Sie sagen selbstbewusst von sich, wir sind die substanzielle Instanz, wo die Einheit von Forschung und Lehre gelebt und Wissen nicht nur vermittelt, sondern auch produziert wird", erklärt Matthias Mayer, Leiter des Wissenschaftsbereichs in der Körber-Stiftung, die zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz und der Universität Hamburg das Hamburg Transnational University Leaders Council gegründet hat.

Vor allem die Qualitätssicherung wollen die Rektoren mitverantworten, denn den Hochschulen drohe ein Niveauverlust, sagen sie. Während es mancherorts schlicht an Kontrolle fehlt, ist anderswo eher das Problem, wer sie ausübt. "Akademische Profis" fordert die Resolution - und nicht etwa vom Staat beauftragte Agenturen wie in Deutschland. "Wir müssen unsere Standards selbst hochhalten. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so", sagt Mayer. Das Gericht hielt 2016 fest, diese Art der Begutachtung von Studiengängen verletze die Wissenschaftsfreiheit.

Auch internationale Rankings von Hochschulen sind aus Sicht der Uni-Chefs kein gutes Mittel der Qualitätssicherung. Im Gegenteil, der Zwang zum Vergleich verzerre die Vielfalt, die das Hochschulwesen brauche, und bedrohe sie sogar. Mayer erklärt das so: "Da entsteht der falsche Druck. Am Ende wollen alle so sein wie Harvard. Dabei ist es für die meisten Unis gar nicht sinnvoll, reihenweise Nobelpreisträger heranzubilden."

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