Studium:Es bröckelt an deutschen Hochschulen

Studium: Auch an der Münchner Musikhochschule herrscht Sanierungsbedarf.

Auch an der Münchner Musikhochschule herrscht Sanierungsbedarf.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viele Unis sind in desolatem Zustand, der Sanierungsstau geht in die Milliarden. Wieso geht nicht längst ein Aufschrei durch die Republik?

Von Jan-Martin Wiarda

Solange es kein Unwetter gibt, ist alles in Ordnung. Doch sobald der Wind den Regen gegen die Fassade drückt, kriecht die Feuchtigkeit in die Ritzen, sucht sich ihren Weg durch die Zwischendecken, tropft in die Labore und Seminarräume. Und mit dem Wasser kommt der Asbest. "Dann müssen wir wieder Teile des Hauses sperren", sagt Axel Wibbelt und zupft an seinem Parka.

Das Haus ist ein Betonkomplex, sechs Stockwerke hoch, in alle Himmelsrichtungen zweigen Seitentrakte ab. Hier studieren und arbeiten hauptsächlich die Chemiker und Physiker der TU Dortmund, kein Gebäude der Universität ist größer: 30 000 Quadratmeter, 20 000 davon im Originalzustand von 1974. Oder eher: Was nach 44 Jahren noch davon übrig ist.

Wibbelt rüttelt an undichten Fenstern, deutet auf verrostete Trennwände zwischen den Experimentiertischen, und während er von den enormen Heizkosten erzählt, merkt man, wie sehr sich der TU-Abteilungsleiter für Baumanagement um Gelassenheit bemüht. Nur einmal erhebt er die Stimme an diesem Nachmittag. Da steht Wibbelt gerade in einer der fensterlosen Fluchten der Unibibliothek, deren Totalsanierung das Land schon Ende 2015 zugesagt hatte. Dazu später mehr.

Nein, dies ist keine Geschichte über die TU Dortmund. Es bröckelt, zieht und schimmelt an Hochschulen in ganz Deutschland. Nur sind sie nicht überall so mutig wie Wibbelt und seine Kollegen, die Dinge so auszusprechen, wie sie sind. Der bundesweite Exzellenzwettbewerb geht in die nächste Runde, da wollen viele Rektoren ihre Hochschulen strahlend präsentieren.

Die Realität in Zahlen: Für die Kultusministerkonferenz hat das HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) berechnet, dass der Sanierungsstau an den Hochschulen bis 2025 auf bis zu 35 Milliarden Euro wachsen wird. Selbst wenn, was unrealistisch ist, die Bundesländer ihren Hochschulen keinen zusätzlichen Quadratmeter mehr gönnen würden, läge der jährliche Wertverlust immer noch 900 Millionen Euro über den geplanten Bauausgaben. Das entspricht einer Elbphilharmonie, jedes Jahr. Doch selbst das sind schmeichelhafte Zahlen. Denn erstens sind die Hochschulkliniken nicht berücksichtigt, zweitens sind die 35 Milliarden vom Nullpunkt 2008 an prognostiziert, als hätten sich Deutschlands Hochschulen davor in perfektem Zustand befunden. "Und bei all unseren Berechnungen interessiert uns nicht einmal die Ästhetik, wir schauen auf Sicherheit und Funktionalität", sagt Jana Stibbe, die die Studie verantwortet hat.

Perspektivloses Perspektivpapier

Die Realität in Bildern: Die Sozialökonomen an der Universität Hamburg stellen bei Regen Eimer auf. Der TU Braunschweig wurde 2016 über Nacht eines ihrer Chemie-Institutsgebäude von der Feuerwehr dichtgemacht. Zuvor hatte das staatliche Baumanagement acht Jahre lang an einem Brandschutzkonzept gefeilt. An der TU München stürzte im Dezember eine Tafel ab und erwischte fast den darunter stehenden Dozenten.

Wieso geht nicht längst ein Aufschrei durch die Republik? Ist es so, wie die Zeit schrieb: dass "die Unis bröckeln, weil sie sich scheuen, mehr Geld zu fordern"?

Den Vorwurf muss Dieter Lenzen sich nicht gefallen lassen. Der Hamburger Unipräsident hatte sich 2014 über ein sogenanntes Perspektivpapier der damaligen Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt derart geärgert, dass er auf einer Pressekonferenz schimpfte: "Ein Perspektivpapier, in dem nicht über Geld gesprochen wird, ist perspektivlos. Ich möchte als Präsident verdammt noch mal wissen, wann diese Ruinen, die sich hier Universität nennen, renoviert werden." Wie in Hamburg stammen auch anderswo viele Bauten aus den heute für ihre Materialqualität berüchtigten 60er- und 70er-Jahren, eilig hochgezogen im ersten Hochschulboom. Heute klingt Lenzen so, als habe sich sein Gepolter von damals gelohnt. Der Sanierungsstau sei noch enorm, sagt er. "Aber es hat sich unheimlich viel getan. Die Hamburger Politik und die Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank haben verstanden."

"Ein ziemlich teurer Dauerlauf"

Anderswo hingegen zeigen Hochschulrepräsentanten eine erstaunliche Geduld. Horst Hippler etwa, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, verliert bei öffentlichen Auftritten meist ein paar Sätze zum Sanierungsstau, doch steigt seine Leidenschaft merklich, sobald er die HRK-Forderungen nach Dauerbundesgeld für die Lehre herunterdekliniert, Volumen: vielleicht zwei Milliarden. Eine echte Kampagne analog zu Lenzens Ruinenrede meiden die Rektoren; sie befürchten, die 35 Milliarden könnten bei den Finanzpolitikern vor allem Ärger und Achselzucken auslösen. Nach dem Motto: Wenn ihr mit solchen Summen kommt, können wir es gleich lassen. Oder, wie eine HRK-Mitarbeiterin formuliert: "Wenn ihr uns mit den 35 Milliarden so ärgert, können wir gern die zwei Milliarden für die Lehre darauf anrechnen."

Zur Angst der Rektoren, das schwarze Loch Sanierungsstau könnte alle anderen Bedürfnisse verschlucken, kommt ein Argumentationsproblem: Wieso soll es den Studenten und Professoren besser gehen, solange Schüler und Lehrer in abbruchreifen Schulen hocken? Und was ist mit all den vor sich hinmüffelnden Rathäusern, Gerichtsgebäuden oder Finanzämtern?

"Ganz einfach", erklärt Michael Brockmeier, Leiter des technischen Gebäudemanagements in Dortmund, den Unterschied. "Aufs Amt muss ich. An welche Uni ich als herausragender Wissenschaftler gehe, kann ich mir aussuchen." Auch Studenten sei die Atmosphäre heute sehr wichtig. Es sind diese zwei sich überlagernden Sphären, die den desolaten Zustand vieler Hochschulen einzigartig machen: Auf der einen Seite sind sie öffentliche Gebäude wie alle anderen und zu einem guten Teil entsprechend abgerockt. Zum anderen sollen sie sich messen mit Unis in Großbritannien, in den Niederlanden oder in den USA, wo nicht nur mehr privates Geld fließt, sondern die Hochschulen zudem fast alles in Eigenregie bauen können. "Bauherreneigenschaft", nennen das Fachleute. In Deutschland hat diese gerade mal eine Handvoll Hochschulen, und schaut man genauer hin, sagt Jana Stibbe, sei das eine Eigenständigkeit in meist engen Grenzen.

Der Alltag in Dortmund geht so: Die Uni mietet ihre Gebäude vom landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetrieb, kurz BLB, und zahlt 30 Millionen dafür im Jahr. Im Gegenzug müsste der BLB die laufenden Instandhaltungen übernehmen. Das mache er aber nur teilweise, berichtet Wibbelt. Die genauen Bausummen kennt der TU-Bauabteilungsleiter nicht, der BLB lasse sich nicht in die Karten schauen. Zumal es sich für den Landesbetrieb lohne, Gebäude erst richtig herunterkommen zu lassen - dann bestehe die Chance, dass sie es ins Hochschulbausanierungsprogramm schaffen. Woraufhin das Land direkt 60 Prozent der Kosten übernimmt.

Es ist diese Machtlosigkeit, die Wibbelt dann doch für einen Moment energisch werden lässt. Die gleiche Machtlosigkeit, mit der er das Planungs- und Abstimmungskonzert der Ämter beobachtet, das den Baustart bei der Bibliothek seit Jahren verzögert. Mit dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter im Winter weiter frieren und die Studenten die ohnehin raren Arbeitsplätze im Sommer kaum nutzen können, so stark heizen sich die Räume auf. "Dabei ist das Geld doch da in diesem Fall", sagt Wibbelt kopfschüttelnd.

Die Regierung erstelle gerade mit dem BLB eine "Masterplanung der Bedarfe und Prioritäten über alle Standorte", teilt das NRW-Wissenschaftsministerium mit. Das Ziel: "die richtigen, wichtigsten und auch umsetzbaren Projekte zuerst zu beginnen." Wüssten die Hochschulen selbst nicht viel besser, was sie brauchen, und könnten es sogar billiger umsetzen? Zumindest die großen behaupten das. So wie sie ebenso wie die Wissenschaftsminister meinen, vor der Föderalismusreform von 2006 habe das mit dem Bauen besser geklappt, weil da der Bund mitgezahlt habe. Allerdings hat Noch-Bundesforschungsministerin Johanna Wanka wiederholt klargemacht, dass der Bund den Ausstieg aus dem selten glamourösen und politisch undankbaren Hochschulbau als endgültig ansieht. Die Länder seien dafür ausbezahlt worden. Die Botschaft: Selber schuld, wer andere Prioritäten setzt.

Mit oder ohne Unterstützung vom Bund: Von Schleswig-Holstein über Berlin bis nach Nordrhein-Westfalen laufen teils milliardenschwere Sonderprogramme. NRW etwa hat im "Hochschulmodernisierungsprogramm" zwei Milliarden Euro für landesweit 70 Modernisierungsprojekte ausgegeben. Über das laufende Nachfolgeprogramm sollen weitere 1,2 Milliarden fließen, darin sei das Geld für Forschungsbauten noch nicht enthalten. Und wer wissen will, wie schön Hochschule geht, muss sich nur den neuen Campus der Goethe-Uni in Frankfurt oder die TU München in Garching anschauen. Auch auf dem Dortmunder Unigelände sind eine Reihe strahlender Neubauten entstanden.

Jana Stibbe von HIS-HE sammelt derweil all die Zeitungsartikel, in dem neue Sanierungsprogramme angekündigt werden, und hat trotz allem noch jedes Mal den Kopf geschüttelt: "Reicht immer noch nicht." Sie hat einen auf den ersten Blick überraschenden Wunsch: dass irgendwann die Sonderprogramme aufhören, die vermeintlich einmaligen Kraftanstrengungen, die suggerieren, danach wäre es geschafft. Stattdessen müssten die jährlichen Budgets aufs nötige Niveau steigen. "Die Hochschulen zu erhalten, ist keine einmalige Anstrengung, sondern ein Dauerlauf. Ein ziemlich teurer Dauerlauf."

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