Unigespräche:"Volksmusik ist nur sehr bedingt als nationale Musik zu verstehen"

Oktoberfest 2014 - Day Two

Bayerische Volksmusiker am Oktoberfest 2014

(Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Ulrich Morgenstern forscht zur Geschichte und Theorie der Volksmusik. Hier erklärt er, warum die in Österreich so populär ist und was er von Andreas Gabalier hält.

Interview von Matthias Kohlmaier

In den Unigesprächen befragen wir Forscher und Hochschullehrer, die sich mit einem sehr speziellen Fachgebiet beschäftigen. Diesmal im Interview: Ulrich Morgenstern, Professor für "Geschichte und Theorie der Volksmusik" an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.

SZ.de: Herr Morgenstern, beim Begriff Volksmusik denken viele ans Musikantenstadl. Wie würden Sie Ihr Fachgebiet definieren?

Ulrich Morgenstern: Der Begriff entstammt der Ständegesellschaft des 18. Jahrhunderts, das "Volk" war damals natürlich sozial klarer abgrenzbar als heute. In einer medial geprägten und musikalisch pluralen Gesellschaft ist Musik aus vorwiegend schriftloser Überlieferung eher ein Nischenphänomen. Es wird natürlich auch häufig in den Unterhaltungssendungen stilisiert, die Sie ansprechen.

Der Stempel Volksmusik verspricht heutzutage großen kommerziellen Erfolg, ich denke an den selbsternannten Volks-Rock'n'Roller Andreas Gabalier.

Was Herr Gabalier macht, würde ich als volkstümliche Unterhaltungsmusik bezeichnen. Das ist eine Form der Popularmusik, nimmt aber sehr stark Bezug auf die Volksmusik und wirkt auch auf die Musikpraxis vor Ort ein. Sehr zum Ärger mancher Volksmusikpfleger, die eine sehr klare Vorstellung davon haben, wie Volksmusik auszusehen hat. Als Wissenschaftler sollte man den eigenen Geschmack nicht zu sehr in den Vordergrund stellen. Auch wenn es legitim und wichtig ist, ästhetische Maßstäbe und künstlerische Leistungen in traditionellen Musikkulturen anzusprechen.

Wer ist denn der wichtigste Volksmusiker unserer Zeit im deutschsprachigen Raum?

Irgendwelche Namen in den Vordergrund zu stellen, widerstrebt mir als Forscher ein wenig. In der Volksmusik, die mich interessiert, sind die Protagonisten auf ihre soziale Umgebung ausgerichtet, nicht auf den breiten Publikumsgeschmack.

Stimmt denn das Vorurteil, dass Volksmusik eher wenig komplex ist?

Das hängt sehr stark von der jeweiligen Gattung ab. Alle Kulturen kennen soziale Ereignisse, in denen die musikalische Mitwirkung aller erwünscht ist, in der Kirche oder am Lagerfeuer etwa. Das entsprechende Repertoire muss nicht primitiv, aber allgemein zugänglich sein. Gleichzeitig gibt es aber auch sehr anspruchsvolle Gattungen wie die balkanischen Epen mit ihren tausenden Verszeilen. Und auch unter steirischen Tanzgeigern, bulgarischen Dudelsackpfeifern oder russischen Harmonikaspielern findet man Künstler mit einem verblüffenden Einfallsreichtum und kaum nachzuahmender Raffinesse.

Ist Volksmusik politisch?

Sie sind neben Ihrer Tätigkeit als Forscher auch Hochschullehrer. Worum geht es in Ihren Lehrveranstaltungen und wer besucht sie?

Zu mir kommen zum einen angehende Musik- und Musikschullehrer, zum anderen ist an unserer Universität auch das Doktoratsstudium sehr wichtig. In meiner Einführungsveranstaltung geht es um die europäische Volksmusik und die Geschichte ihrer Erforschung. Weitere Schwerpunkte sind Methoden der Feldforschung und der Analyse. Bei einer Musikuniversität ist natürlich auch das Zusammenspiel von Theorie und Praxis von Belang. Wir sind ein wissenschaftliches Institut, es wird aber auch Aufführungspraxis unterrichtet. Das ist gerade für Wien mit seiner ausgesprochen vitalen Volksmusikszene wichtig.

Ist Österreich für Ihr Forschungsgebiet das interessanteste Land in Europa?

Es gibt hier eine sehr lebendige Volksmusikkultur und eine große Fülle schriftlos über Generationen weitergegebener Musik. Es existieren in Österreich aber auch sehr viele Handschriften von Landlergeigern aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die spielten zwar bäuerliche Tanzmusik, waren aber im Hauptberuf Lehrer, Verwaltungsbeamte oder Geistliche. Sie hatten damit einen ganz anderen Bildungshintergrund als ihr Publikum. Solche multiplen musikalischen Biographien sind auch heute sehr wichtig. An Wiener Musikantenstammtischen trifft man häufig Leute, die am nächsten Abend Streichquartette spielen. Diese merkwürdige Idee aus dem Deutschland der Siebzigerjahre, Volksmusik zu spielen, um gegen die bürgerliche Bildungswelt anzukämpfen, war hier in Österreich nie besonders stark entwickelt.

Sie haben jahrzehntelang zur Volksmusik in Russland geforscht. Wie unterscheiden sich west- und osteuropäische Volksmusik?

Es gibt stilistische Eigenheiten, die zeigen sich aber eher auf regionaler und lokaler Ebene. Es gibt Unterschiede in der Melodik und im Gewicht der Funktionsharmonie, aber auch gesamteuropäische Gemeinsamkeiten, etwa das Walzer- und Polka-Repertoire.

Bestimmte politische Gruppierungen berufen sich sehr auf das nationalitätsbildende Element in der Volksmusik und fordern regelmäßig eine Quote für deutsche Musik im Radio. Inwiefern ist Volksmusik politische Musik?

Gerade die deutsche Forschung diskutiert darüber sehr viel, zum Beispiel auch über die Frage, ob politische Liedermacher zugleich Volkssänger sind. Häufig werden politische Ansprüche an Volksmusik von außen gestellt, sehr unterschiedliche übrigens. Was mir wichtig ist: Volksmusik ist nur sehr bedingt als nationale Musik zu verstehen.

Wie begründen Sie das?

Volksmusik ist viel stärker vom lokalen Milieu geprägt als von irgendwelchen nationalen Gedanken. Ein Beispiel: Die Balalaika gilt in Russland als Nationalinstrument, wurde seinerzeit modernisiert, so dass man mit ihr "seriöse" Solo- und Orchestermusik mit nationalem Repräsentationswert spielen kann. Bei meiner Feldforschung habe ich mit mehr als 200 russischen Balalaikaspielern gesprochen - kein einziger von ihnen hat sein Instrument als besonders russisch empfunden. Für sie ist "unsere Musik" die Musik der kleinen Heimat.

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