Unigespräche:"Herrscher zeigen sich gerne mit Tieren"

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Pferde, Hunde, Tiger, Eisbären, Kraniche: Das sind die Tierarten, mit denen sich Russlands Präsident Putin bereits hat ablichten lassen. (Foto: REUTERS)

Mieke Roscher erforscht an der Uni Kassel die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Ein Gespräch über das Verhältnis zu unseren Haustieren und vermeintlich tierliebe Nazis.

Von Matthias Kohlmaier

In den Unigesprächen befragen wir Forscher und Hochschullehrer, die sich mit einem sehr speziellen Fachgebiet beschäftigen. Den Auftakt macht Mieke Roscher, die seit 2014 an der Universität Kassel die bundesweit erste Professur für die Geschichte der Beziehungen zwischen Tieren und Menschen (Human-Animal Studies) innehat.

SZ.de: Frau Roscher, zum Einstieg eine praxisorientierte Frage aus Ihrem Fachgebiet: Warum essen wir Schweine, behandeln Hunde aber wie Familienmitglieder?

Mieke Roscher: In Europa wurden tatsächlich vereinzelt noch bis in die 1940er Jahre Hunde gegessen. Grundsätzlich gibt es aber schon seit dem 19. Jahrhundert in unserem Kulturkreis eine bürgerliche Bewegung, die dazu geführt hat, dass Haustiere in die Familie aufgenommen werden. Und Familienmitglieder isst man nun mal nicht. Ist der Hund aber kein Familienmitglied, sondern hat andere Aufgaben, dann konnte er lange Zeit auch noch gegessen werden. Ich denke da zum Beispiel an Jagdhunde, die ihre Funktion nicht mehr erfüllten.

Sie haben an der Uni Kassel die deutschlandweit erste Professur für Tier-Mensch-Beziehungen inne. Wie sind Sie zu dieser Position gekommen?

Ich habe Geschichte studiert und über die Geschichte des Tierschutzes in Großbritannien promoviert. Zu dieser Zeit, etwa 2008, gab es im angloamerikanischen Raum einen Trend, sich der Funktion von Tieren und ihrer Geschichte auf eine neue Weise zu nähern. Früher hieß es immer: Das Tier gehört in die Natur, der Mensch in die Kultur. Dieses Dogma wurde in Frage gestellt. Mittlerweile ist das Thema auch in Deutschland angekommen, es gibt neben unserem Schwerpunkt an vielen Unis einzelne Stellen, die sich mit der Beziehung von Mensch und Tier auseinandersetzen.

Gemeinsame Friedhöfe für Mensch und Tier
:Hier ruhen Waldi und Walter

"Miezi 1993-2002": Solche Inschriften könnten bald auch auf regulären Friedhöfen zu finden sein. Die Deutsche Friedhofsgesellschaft erlaubt die gemeinsame Urnenbestattung von Mensch und Tier.

Wie sieht Ihre Forschung konkret aus? Die Quellenlage ist vermutlich dürftig.

Natürlich haben Tiere in den allermeisten Fällen keine eigenen Spuren hinterlassen - jedenfalls nicht solche, die wir Historiker sonst als Quellen nutzen. Akten, Tagebücher, Bilder, das sind alles Materialien, die hat nicht das Tier selbst produziert, sondern der Mensch.

Wie kommen Sie Ihrem Forschungsgegenstand dann näher?

Wir studieren schriftliche und bildliche Hinterlassenschaften, die wir als Herrschaftsquellen ansehen. Das sind Quellen, die diejenigen erstellt haben, die zum jeweiligen Zeitpunkt an der Macht waren.

Aber ein paar Quellen haben die Tiere doch auch selbst hinterlassen.

Natürlich, Archäologen beschäftigen sich zum Beispiel mit Knochenfunden. Daraus wissen wir, wie lang und eng Mensch und Tier schon zusammengelebt haben.

Kürzlich haben in Deutschland die ersten Friedhöfe für Mensch und Tier ihren Betrieb aufgenommen. Ist das für Sie eine logische Entwicklung?

Absolut. Schon immer haben sich Herrscher und Könige mit ihren Schlachtrössern oder Jagdhunden beerdigen lassen. Ich denke aber, dass wir aktuell eine ganz besonders intime Entwicklung der Beziehungen zwischen Menschen und Tieren erleben. Es geht nicht mehr darum, dass uns Tiere gute Dienste leisten, etwa als Wachhund oder Ackerpferd. Es geht darum, Freundschaften mit ihnen zu schließen - Tiere werden als vollwertige Freunde und Familienmitglieder anerkannt. Da ist es doch klar, dass man sie auch im Tod bei sich haben will.

Sie sind an der Uni nicht nur als Forscherin, sondern auch als Dozentin beschäftigt. Worum geht es in Ihren Seminaren?

Ich gebe im kommenden Semester unter anderem ein Bachelor-Seminar zur Geschichte der zoologischen Gärten - vom 18. Jahrhundert bis zu den heutigen Safari-Parks. Vergangenes Semester habe ich zum Beispiel einen Kurs zur deutsch-deutschen Tierfilmgeschichte der 50er und 60er Jahre gemacht.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte sind die Tier-Mensch-Beziehungen im Nationalsozialismus. Was interessiert Sie an dem Thema?

Die politischen Führer haben sich stets sehr bemüht, den Nationalsozialismus als besonders tierlieb wirken zu lassen. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass solch eine menschenverachtende Ideologie zu Tieren gut sein sollte. Ich habe mir dann die bestehende Literatur angesehen und mich gewundert, dass sich niemand intensiv damit befasst hatte, was die Ideologie wirklich für den Umgang mit Tieren bedeutet hat. Man hat immer nur die Bilder von Hitler und seiner Schäferhündin Blondi vor Augen oder von anderen Nazi-Größen, die irgendwelche Tiere streicheln. So sollten die NS-Politiker als menschlich und sympathisch dargestellt werden.

Die undatierte Aufnahme zeigt Adolf Hitler mit seinem Schäferhund auf einem Spaziergang in Berchtesgaden. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Wie sind die Nazis denn tatsächlich mit Tieren umgegangen?

Die Ausgrenzung, die zwischen Menschen vollzogen wurde, fand auch bei Tieren Anwendung. Ein paar, etwa der Hund oder das Pferd, standen in der Gunst der Nazis weit oben, viele andere wurden als ausmerzungswürdig betrachtet. Besonders solche, die der Wirtschaftlichkeit des Nationalsozialismus entgegenstanden - Mäuse, Ratten oder Hasen zum Beispiel.

Wie erging es Nutztieren?

In der Vorkriegszeit ging die Anzahl der gezüchteten und geschlachteten Nutztiere in Nazi-Deutschland massiv nach oben. Man kann davon ausgehen, dass hier der Grundstein für die moderne Massentierhaltung gelegt wurde.

Sie haben vorhin angesprochen, dass sich Nazi-Größen gerne mit Tieren ablichten ließen. Was kann man ganz allgemein über das Verhältnis der Mächtigen mit Tieren sagen?

Herrscher zeigen sich seit jeher gerne mit Tieren, besonders Zootiere sind bei Politikern sehr beliebt. Denken Sie an den Eisbären Knut, der Besuch von Sigmar Gabriel bekommen hat. Die Verbindung von Macht und Tieren ist ein Bild, das Tausende von Jahren alt ist. Dabei werden die Tiere immer gern in einer unterwürfigen Position gezeigt, so dass gleich zu erkennen ist, wer der Herr und wer der Beherrschte ist. Bei den Menschen beziehungsweise Wählern kommt das offensichtlich gut an.

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