Unbefristeter Kitastreik:Zum Wohl der Gesellschaft

Kita-Streik in Schleswig-Holstein

Am Freitag beginnt in vielen Bundesländern ein unbefristeter Streik von Erzieherinnen und Erziehern.

(Foto: dpa)

Was gut sein soll, kann nicht so billig bleiben: Wer mit Kindern arbeitet, braucht bessere Bedingungen. Höhere Einkommen für Erzieher sind eine Investition, die sich lohnt.

Kommentar von Roland Preuß

Nur wenige Jahre ist es her, da galten Kindertagesstätten manchen als Teufelszeug. Der Kita-Ausbau? Eine perfide Idee einer Familienministerin namens Ursula von der Leyen. "Kinderfeindlich" sei das, ein Instrument, um junge Frauen "als Arbeitsreserve für die Industrie zu rekrutieren", wo doch die "wirklichen Profis" für die Erziehung eines Kindes die Eltern seien, vor allem die Mutter - das sagte der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa, vor gerade mal acht Jahren.

Überzeugend finden so etwas immer weniger Menschen; im Gegenteil: Mehr und mehr Eltern schicken ihre Kleinen in Krippen, Kindergärten oder zu Tagesmüttern. Kinder unter drei Jahren gehen heute dreimal so häufig dorthin wie damals, als Mixa gegen die "Fremdbetreuung" polterte. Umso gravierender sind nun die Folgen des Erzieher-Streiks, der von diesem Freitag an Tausende Kitas lahmlegen wird.

Der Ausbau war gewollt, und er trägt Früchte: Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen - es sind fast immer Frauen - ermöglichen Millionen Müttern Arbeit und Karriere trotz Kindern, sie entlasten Eltern und besonders Alleinerziehende, die in ihren Jobs mehr und länger gefordert sind denn je. Kitas öffnen Kindern aus ärmeren und aus Migrantenfamilien den Weg nach oben in einem Land, in dem Aufstieg durch Bildung mutmaßlich immer seltener möglich ist. Zuwandererkinder, die eine Krippe besuchen, gehen später doppelt so häufig aufs Gymnasium wie jene, die zu Hause bleiben. Kitas können Startnachteile wettmachen, wenn zum Beispiel daheim kein Deutsch gesprochen oder keine Bücher gelesen werden.

Das betrifft immer mehr Kinder: In vielen Stadtteilen stammt gut die Hälfte von ihnen aus Zuwandererfamilien. Defizite bei ihrer Einschulung können Folgen für ein ganzes Leben haben: Verständnisschwierigkeiten in der ersten Klasse haben einen schlechten Notenschnitt in der vierten zur Folge, der die Kinder wiederum auf Schulen für Schwächere sortiert. Je früher man in Bildung investiert, desto mehr kann man bewirken. Das heißt: Der Aufwand für frühkindliche Bildung, für Krippen und Kindergärten, lohnt besonders.

Viele Eltern spüren das. Sie fordern immer mehr vom Kita-Personal. Es reicht nicht mehr, nach dem Morgenkreis eine Kiste Bauklötze hinzustellen und nach dem Mittagessen die Gruppe in den Garten zu treiben, bis die Eltern kommen und endlich Ruhe einkehrt. Die Eltern wollen, dass ihr Nachwuchs optimal gefördert und auf die Schulkarriere vorbereitet wird, Zusatzangebote sollen den Grundstein für Technik- und Englischbegeisterung legen.

Mehr als Kinderverwahrstellen

Da können viele Erzieherinnen jedoch nicht mithalten. Die Zahl der Kitas ist zwar enorm gewachsen, ebenso die Zahl derjenigen, die eine Ausbildung als Erzieher und Kinderpfleger anfangen. Die Qualität der Einrichtungen aber wuchs oft nicht mit: Gerade in teuren Ballungsräumen wie München fehlt Kita-Personal, eine Erzieherin muss sich um immer mehr Kinder kümmern. Da bleibt keine Zeit für individuelle Lesestunden. Der Kita-Boom hat in manchen Regionen dazu geführt, dass die Betreuer schlechter ausgebildet sind als früher. So kann es nicht bleiben.

Wer Kitas nicht nur als Kinderverwahrstellen sieht, sondern als Bildungseinrichtungen, der muss das Gegenteil forcieren: Das Personal muss besser ausgebildet werden, um die zusätzlichen Aufgaben zu stemmen. Es ist nicht trivial, als Betreuer mit Flüchtlingskindern und deren Eltern richtig umzugehen, mit Fünfjährigen über Nachrichten vom Syrien-Krieg zu sprechen oder auf Anzeichen häuslicher Gewalt zu reagieren. Nicht zufällig verlangen viele europäische Staaten ein Studium für Leitungsposten in Kitas: In Dänemark etwa sind 60 Prozent davon mit Akademikern besetzt, in Deutschland nur wenige. Dies zeigt die unterschiedliche Wertschätzung, die der Bildung und Betreuung entgegengebracht wird.

Der Beruf muss attraktiver werden

Staat und Kita-Betreiber dürfen höhere Qualifikationen von ihrem Personal erwarten. Doch dies wird nur gelingen, wenn sie den Beruf attraktiver machen. Dazu gehören bessere Arbeitsbedingungen wie kleinere Gruppen, aber auch höhere Verdienstmöglichkeiten. Junge Betreuer, noch dazu mit einem Studium, werden sich nicht für 2400 Euro brutto Einstiegsgehalt in diesen stresshaltigen Job locken lassen.

Höhere Einkommen für Erzieher sind eine Investition, die sich lohnt. Was nicht heißt, dass die Betreuer künftig vom ersten Lebensjahr an die Arbeitskräftereserve für Unternehmen heranziehen sollen. Kleine Kinder sind große Entdecker, sie brauchen keinen Drill, sondern Anregung und Möglichkeiten. Bildung dient dem Wohl der Kinder und damit der Gesellschaft. Gute Kitas können dies leisten.

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