Umgang mit rechtsextremen Studenten:"Von Hetzjagden halte ich nichts"

An der Uni Hannover wurde jüngst eine Studentin als NPD-Aktivistin geoutet. Konfliktforscher Andreas Zick über den schwierigen Umgang mit rechten Studenten - und warum deren Studienwahl Anlass zur Sorge gibt.

Von Antonie Rietzschel

Rechtsextremismus ist für Andreas Zick nicht nur ein theoretischer Untersuchungsgegenstand. Der Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld und seine Kollegen müssen sich mit dem Thema auch in der Realität auseinandersetzen. Im Wintersemester 2009/2010 wurde ein Studierender als hochrangiges Mitglied der Kameradschaftsszene öffentlich geoutet. Seitdem wurden weitere Fälle bekannt. Und die Uni Bielefeld steht mit diesem Problem nicht allein da, wie ein aktuelles Beispiel aus Hannover zeigt.

SZ.de: Vor wenigen Tagen wurde eine Studentin der Uni Hannover als NPD-Aktivistin geoutet. Unbekannte hielten in einer Vorlesung ein Schild mit der Aufschrift "Die Uni hasst dich" hoch und deuteten mit übergroßen Pfeilen auf die 23-Jährige. Ist das der richtige Umgang mit Rechtsextremen in Hörsälen?

Andreas Zick: Ich kann durchaus den Impuls zu einer solchen Aktion verstehen - von Hetzjagden halte ich jedoch nichts. Wir hatten vor drei Jahren an unserer Uni in Bielefeld eine ähnliche Situation, als bekannt wurde, dass ein vom Verfassungsschutz beobachteter Kamerad bei uns Rechtswissenschaft studiert. Damals kursierten dann auch Steckbriefe. Aber diese Art des Umgangs ist aus meiner Sicht nicht besonders wirkungsvoll.

Weil selten nur eine einzelne Person das Problem ist?

Richtig. Es gibt immer auch ein Umfeld, das solche Einstellungen unterstützt - selbst in höheren Bildungseinrichtungen.

Sie spielen auf Gruppierungen wie rechte Burschenschaften an?

Nein, ich spreche von ganz normalen Studenten, die sagen: "Irgendwie haben die doch recht!" Bildung schützt nicht vor Vorurteilen, auch Menschen mit Abitur oder einer Hochschulausbildung können für neue Formen des Antisemitismus anfällig sein. Wir als Gesellschaft müssen aufpassen, dass sich bei uns keine menschenfeindliche Kultur einnistet - die Unis sind dabei nur eine mögliche Brutstätte. Dagegen helfen aber nicht vereinzelte Aktionen, die sich mit Rassismus oder Zivilcourage beschäftigen und auf wenige Fakultäten begrenzt sind.

Sondern?

An der Uni Bielefeld haben wir fächerübergreifend eine ganze Veranstaltungsreihe initiiert. Angefangen haben wir mit einer Kampagne für alle Erstsemester. Wir haben Postkarten verteilt und Buttons mit der Aufschrift "Uni ohne Nazis". Den Neuen sollte vermittelt werden, welche Normen an dieser Universität herrschen. Jetzt planen wir eine Ringvorlesung. Für Dezember haben wir einen Opferanwalt aus dem NSU-Prozess eingeladen. Darüber hinaus wollen wir uns mit dem Alltag der Studenten beschäftigen. Gemeinsam mit dem Projekt "Netz gegen Nazis" planen wir Lehrgänge dazu, wie man Rechtsextremismus und Rechtspopulismus im Internet begegnet.

Warum ist diese Auseinandersetzung an der Universität wichtig?

Die fünf Rechtsextremen, die hier studieren und mittlerweile geoutet wurden, versuchen, diesen Raum zu erobern. Sie machen Fotos vor dem Asta mit erhobenen Daumen. Nach dem Motto: Seht her, auch hierher haben wir es geschafft! Das hat weitreichende Konsequenzen. Was bedeutet das zum Beispiel für Studenten, die keine weiße Hautfarbe haben? Was bedeutet das für den Versuch, die Universität auch für ausländische Gäste zu öffnen? Die Hochschule muss zeigen, dass sie diese Feindseligkeiten nicht duldet.

Rechtsextreme und Studium - ist das eine Verbindung, die noch überrascht?

Ja, die erste Reaktion der Leute ist immer: Dürfen die das denn?

Sie sitzen immer in der ersten Reihe

Die Antwortet lautet wahrscheinlich: ja.

Jeder hat ein Recht auf Bildung. Wir werden ja überhaupt nur auf solche Studenten aufmerksam, die geoutet werden oder ihre Gesinnung selbst durch ein entsprechendes Verhalten zum Ausdruck bringen. Aber selbst wenn eine rechtsradikale Einstellung offensichtlich ist, können wir im Uni-Alltag kaum etwas unternehmen. Ich kann eine Vorlesung nur in bestimmten Fällen ausfallen lassen. Beispielsweise wenn ich mich als Dozent konkret bedroht fühle, weil gegen einen meiner Studenten ermittelt wird. Aktuell entwickeln wir ein Training, das Dozenten darin bestärken soll, Gefühle von Angst nicht als Schwäche zu interpretieren, und sie ermutigen soll, sich bei diskriminierenden Äußerungen Unterstützung zu holen. Außerdem diskutieren wir darüber, wie viel sich ein Lehrender gefallen lassen muss und ob wir vielleicht die Hausordnung ändern.

Wie reagieren die rechtsextremen Studenten auf die klare Haltung der Universität?

Nach der Erstsemester-Aktion haben sie die Facebook-Seite der Uni mit diskriminierenden Äußerungen überzogen. Bei Vorlesungen setzen sie sich geschlossen in die erste Reihe - ein Versuch der Machtdemonstration und Einschüchterung. Und sie sind nicht alleine. Sie haben Freunde und Freundesfreunde. Stellen Sie sich vor, Sie haben während einer Vorlesung der Rechtswissenschaft zum Thema Extremismus diejenigen vor sich sitzen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

So wie Bildung einen nicht vor Vourteilen schützt, kann sie auch missbraucht werden. Was ist gefährlicher: Ein gebildeter oder ein ungebildeter Rechtsextremer?

Die Mischung ist das Problem. Auf der einen Seite stehen Parteisoldaten, die um die Straße kämpfen. Auf der anderen die Gebildeten, die mit Propaganda um die Köpfe kämpfen.

Eine ganz klare Strategie der rechten Szene.

Auch im Fall der rechtsextremen Studenten in Bielefeld muss man sich fragen, ob da nicht eine Strategie dahinter steckt. Sie studieren ja nicht irgendwas - sie studieren das deutsche Recht. Sie wollen Rechtsanwälte werden und vielleicht auch in Behörden rein.

Kann die Universität umgekehrt eine Chance für Rechtsextreme sein, ihre Ideologie abzulegen?

Sie ist eigentlich der perfekte Ort dafür - denn in der Wissenschaft gibt es nicht die eine Wahrheit. Sie ist frei von Ideologie. Auch die Auseinandersetzung mit neuen Menschen und Gedanken kann helfen.

Was würden Sie der Universität Hannover für den weiteren Umgang mit der NPD-Aktivistin raten?

Die Uni sollte sich überlegen, was Konsens ist. Ist es eine individuelle Personenverfolgung - oder will man nicht was anderes? Gegebenenfalls muss die Hochschule ein Forum schaffen, in dem über gemeinsame Werte diskutiert wird, und auch die Frage nach dem Umgang mit jenen gestellt wird, die diese nicht achten. Auch eine Uni muss sich schließlich politisch weiterbilden.

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