Übertritt:"Auf Biegen und Brechen ans Gymnasium, das ist riskant"

Schulstartpaket

Eltern sollten mit ihren Kindern besprechen, wie es nach der Grundschule weitergeht, findet Lehrer Robert Roedern.

(Foto: dpa)

Was Eltern anrichten, wenn sie ihre Grundschulkinder überfordern und wie die Erziehungsberechtigten entspannt mit dem Übertritt umgehen, erklärt Schulpsychologe Robert Roedern.

Interview von Matthias Kohlmaier

Welche Schule ist die beste für mein Kind? Und muss es wirklich das Gymnasium sein? Nur zwei der vielen Fragen, die sich Eltern zu dieser Zeit des Jahres stellen. Am 2. Mai gibt es 2017 für Bayerns Viertklässler die Übertrittszeugnisse. Was danach auf Schüler und Eltern zukommt, weiß Robert Roedern aus jahrelanger Erfahrung. Er ist Schulpsychologe für Grund- und Mittelschulen und arbeitet bei der Staatlichen Schulberatung in Bayern.

SZ.de: Herr Roedern, bald steht für Tausende Kinder der Übertritt an die weiterführenden Schulen an. Wie können Eltern sie dabei unterstützen?

Robert Roedern: Ich würde anders ansetzen. Nämlich mit der Frage, wie Eltern zunächst selbst stressfrei durch die Übertrittsphase und vor allem darüber hinaus kommen.

Wie meinen Sie das?

Viele sorgen sich, dass der Schritt das ganze Leben bestimmen wird. Dadurch bekommt er eine größere Bedeutung, als es sein sollte. Es gibt danach noch viele Möglichkeiten, entweder die Schulart zu wechseln oder einen mittleren Schulabschluss an der Real- oder Mittelschule zu erwerben, der alle Wege noch offen hält, auch zur Hochschulreife. Wenn Eltern sich das klarmachen und sich vor allem frühzeitig mit dem Thema beschäftigen, können sie den Übertritt deutlich entspannter angehen. Das überträgt sich auch auf die Kinder.

Viele Eltern stressen also ihre Kinder zu sehr?

Das würde ich nicht verallgemeinern. Es lohnt sich, über die eigenen Wünsche, Vorstellungen und Anspruchshaltungen nachzudenken und über die Wege, diese mit ihren Kindern zu verwirklichen. Studien zeigen zum Beispiel, dass in dem Alter inhaltliche Nachhilfe durch die Eltern kaum einen positiven, manchmal sogar einen negativen Effekt auf den Bildungserfolg hat. Wichtiger ist das gemeinsame Gespräch. Eltern dürfen ihre Kinder in puncto schulische Leistung schon herausfordern - alles in einem wohlwollenden Rahmen, mit Blick auf die Möglichkeiten und Stärken und ohne ständigen Druck. Eine Radtour zu unternehmen, mag manches Mal mehr Sinn machen als stundenlanges Lesenüben.

Und wie findet man nun die weiterführende Schule, die für den Nachwuchs am besten passt?

Am besten gemeinsam mit dem eigenen Kind. Als Elternteil sollte ich im Blick haben, ob mein Kind eher musisch oder handwerklich begabt ist und was es im Allgemeinen für Interessen hat. Zugleich finde ich es wichtig, bei der Schulwahl die Kinder einzubeziehen. Welche Wünsche hast du für dich und deine Zukunft? Was hat dir in der Grundschule am meisten Spaß gemacht? Bist du bisher im Unterricht gut mitgekommen? Hältst du auch durch, wenn es mal schwer wird? Das sind nur ein paar Leitfragen, die Eltern mit ihren Kindern besprechen können. Ferner gibt es aus deren Sicht noch ein anderes Motiv: An welche Schule gehen meine Grundschulfreunde?

Wenn der Schritt ans Gymnasium (noch) zu groß ist

Bei den aktuellen Übertrittsquoten gehen davon vermutlich viele ans Gymnasium. Was können Eltern tun, wenn sie der Meinung sind, dass das für das eigene Kind (noch) nicht der richtige Weg ist?

Dass die Freunde eine Rolle spielen, würde ich auf jeden Fall ernst nehmen. Es ließe sich beispielweise zeigen, dass das Kind noch immer Freunde aus dem Kindergarten hat, obwohl die eine andere Klasse oder Grundschule besucht haben. Und ich kann daran erinnern, wie das Kind in der ersten Klasse neue Freunde gefunden hat und dass das an einer neuen Schule auch gelingen kann. Eltern können mithelfen, dass bestehende Freundschaften auch nach dem Übertritt an verschiedene Schulen weiter gepflegt werden. Bei allen Veränderungen und bevorstehenden Herausforderungen ist es hilfreich, die bisher gemeisterten Übergänge, erzielten Erfolge, erworbenen Fähigkeiten der Kinder ins Bewusstsein zu rufen, um mit Zuversicht nach vorne zu blicken.

Von den Freunden abgesehen: Wie macht man dem Kind bei Bedarf klar, dass es im Moment auf Mittel- oder Realschule besser aufgehoben wäre als am Gymnasium?

Zusammen ließen sich die Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten der Kinder mit den Angeboten und Herausforderungen der verschiedenen Schulen und Schularten gegenüberstellen. Man kann gemeinsam durchgehen, wie die Leistungen in der Grundschule zustande gekommen sind. Vermutlich war das dort schon nur mit hohem Aufwand und einer Menge Stress möglich. Eine Mutter hat in der Beratung einmal zu mir gesagt: "Wir schaffen das Gymnasium nicht!" Auch das gilt es, dem Kind klarzumachen: Dass Mama und/oder Papa bei den Schularbeiten unterstützend zur Seite stehen, es allerdings zunehmend eigenständig damit zurechtkommen sollte. Wenn das in der vierten Klasse kaum funktioniert hat, ist der Schritt ans Gymnasium für den Moment meist zu groß.

Und würde die Kinder vermutlich mehr demotivieren als ihnen nützen.

Richtig. Eltern helfen in dieser Phase Gelassenheit, Zuversicht und Informationen. Den mittleren Schulabschluss kann man auf allen Schularten erreichen, und wenn das gut funktioniert hat, ist der Weg zum Fachabitur oder Abitur noch immer möglich. Ein Kind auf Biegen und Brechen ans Gymnasium zu schicken, halte ich dagegen für sehr riskant.

Weil das in eine Abwärtsspirale münden kann?

Genau. So ein Kind ist am Gymnasium unglücklich, weil es ständig überfordert ist und erkennt, dass es den Anforderungen nicht oder nur unter allergrößten Anstrengungen gerecht werden kann. Das führt entweder zur Klassenwiederholung oder zum Wechsel an die Realschule. Der wird von Betroffenen teilweise als Abstieg empfunden, mit diesem Gefühl haben viele Schüler dann dort weitere Anpassungsprobleme. Deswegen sollten Eltern gut überlegen, inwiefern das Gymnasium zum jetzigen Zeitpunkt die passende Schulwahl darstellt.

Bayern kehrt bald zum G9 zurück. Wird damit der erfolgreiche Besuch des Gymnasiums mehr Schülern aussichtsreicher erscheinen?

Wahrscheinlich, weil erwartet wird, dass es wieder etwas mehr Zeit zur intensiveren Auseinandersetzung mit Lerninhalten und zugleich mehr Luft für Freizeitaktivitäten geben wird. Der Weg zum Abitur wird aber auch auf dem neunjährigen Gymnasium an wichtige Voraussetzungen gebunden sein, an die Anstrengungsbereitschaft und das Verantwortungsbewusstsein, das Lern- und Arbeitsverhalten sowie eine vertiefte Auseinandersetzung mit Lerninhalten.

Welche weiterführende Schule es auch immer wird - welche Anregungen haben Sie für Eltern, wenn der Übertritt geschafft ist und das neue Schuljahr begonnen hat?

Meines Erachtens helfen eine wertschätzende Begleitung, so dass sich Kinder mit ihren Stärken erleben und die Erfahrungen von Selbstwirksamkeit machen können. Wenn sie zeigen dürfen und können, dass sie es wollen und schaffen, fällt es Eltern leichter, loszulassen. Wenn sie zu viel helfen, begrenzen sie die Entwicklung des Kindes unnötig. Ich denke: Je freier und autonomer Menschen sich erleben, umso verantwortlicher handeln sie. Das gilt auch für Fünftklässler.

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