TU München:Umkrempler vom Dienst

Seit zwei Jahrzehnten steht Wolfgang A. Herrmann jetzt an der Spitze der Technischen Universität München - das ist Rekordamtszeit. Sein Führungsstil gilt als zackig - die Erfolge auch.

Von Sebastian Krass und Jakob Wetzel

Es gibt eine Geschichte, die erzählt ein wenig über Bayern, ein wenig auch über die Technische Universität München (TUM), eine Menge aber über deren Präsidenten, Wolfgang A. Herrmann. Sie spielt auf der Zugspitze, ganz oben, auf Bayerns und Deutschlands höchstem Gipfel. Die Universität betreibt dort eine Forschungsstation, und in dieser traf sich der Chef mit seinen Dekanen zur Klausur. Herrmann hatte eine Entscheidung getroffen, "aber es war unklar, ob mir die Hochschule folgt", sagt er. Abends seien sie dann auf die Aussichtsterrasse gegangen. "Da haben wir runtergeschaut auf unser wunderschönes Land. Und dann habe ich ganz vorsichtig angefangen."

Herrmann fragte die Dekane, was sie denn davon hielten, wenn die TUM in die Politikwissenschaft einsteige. Die Dekane dachten nach. Das sei "nicht ganz unlogisch", habe einer dann gesagt, erzählt Herrmann. Themen wie Mobilität oder Umwelttechnik hätten ja große politische Bedeutung, warum sollte man das nicht in der Ausbildung ansprechen? Und da eröffnete Herrmann den Wissenschaftlern endlich, was er vorhatte: Die TUM übernahm die Münchner Hochschule für Politik.

Es war ein Paukenschlag. Nicht weil diese Hochschule besonders groß wäre, sie zählte zuletzt etwas mehr als 500 Studierende. Sondern weil Herrmann eine Richtungsentscheidung getroffen hatte. Stärker als zuvor sollte die TUM ein geisteswissenschaftliches Profil erhalten. Das Projekt wird die Universität in den kommenden Jahren beschäftigen. Und es ist, wie so oft, Chefsache - inhaltlich und auch von der Art her, wie es zustande kam. Es ist ein Projekt von Wolfgang A. Herrmann.

Seit Oktober 1995, also seit 20 Jahren ist Herrmann Präsident dieser Universität. Kein anderer Hochschulrektor ist so lange im Amt, wohl kein anderer hat an seinem Wirkungsort solche Spuren hinterlassen. Die TUM rühmt ihren Chef auf ihrer Webseite als "Reform-Motor", und er selbst erzählt gerne, wie ihm die Ideen kamen zu dieser und zu jener Neuerung. Hört man ihm zu, wie er über das Erreichte spricht, dann ist er die Universität, und die Universität ist Wolfgang A. Herrmann.

Ganz falsch ist das nicht. Tatsächlich ist er es gewesen, der vieles Neue angeschoben hat. 1995 etwa ließ er einen Kindergarten bauen, um die TUM zu einem attraktiveren Arbeitgeber zu machen. Noch vor der Bologna-Deklaration führte seine Universität erste Bachelor- und Master-Studiengänge ein, außerdem Eignungsprüfungen für Studienbewerber. 2002 eröffnete sie einen Campus im Ausland, in Singapur - das war ein Novum im deutschen Universitätsbetrieb. Herrmann hat die TUM umgekrempelt.

Es ist ein Montag, Wolfgang A. Herrmann bittet in seinem Präsidentenzimmer an einen runden Tisch. Am Anfang sei da nur das Gefühl gewesen, dass sich die Strukturen ändern mussten, sagt er. Selbst Sohn eines Lehrers, hat Herrmann 2009 eine neue Fakultät für die Lehrerbildung gegründet, mit dem deutschen Pisa-Chef Manfred Prenzel an der Spitze. Zugleich hat er die zwar forschungsstarke, aber lange eher unscheinbare TUM mit dem Konzept einer "unternehmerischen Universität" zur Exzellenz-Uni und zu einer Marke gemacht. Vieles von dem, wofür sie heute steht - die Nähe zur Wirtschaft, die Kooperationen mit Firmen, die Dependancen im Ausland, die Orientierung hin auf den internationalen Wettbewerb, das erfolgreiche Fundraising - geht auf Herrmann zurück. Und unter seiner Führung hat sich die Studierendenzahl auf etwa 37 000 mehr als verdoppelt. Bei ausländischen Studenten ist die Universität sehr beliebt.

Kein anderer Hochschulchef ist so lange im Amt - doch nicht immer lief alles glatt

Freilich: Nicht immer lief alles glatt. Kurz nach der Jahrtausendwende wäre Herrmann fast bayerischer Verbraucherschutzminister im Kabinett von Edmund Stoiber geworden, doch dann stand ihm eine Steuer-Affäre im Weg. 2010 unterzeichnete Herrmann einen "energiepolitischen Appell" von Stromkonzernen für eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke, ein halbes Jahr später kam die Katastrophe von Fukushima. Kürzlich hat der "Verein Deutsche Sprache" Herrmann zum "Sprachpanscher des Jahres" gewählt, weil er Pläne habe, fast alle Masterstudiengänge nur noch auf Englisch anzubieten. Und bis heute tritt der TUM-Chef für die in Bayern 2013 abgeschafften Studiengebühren ein, besonders für Studenten aus dem Nicht-EU-Ausland - nicht, weil seine Uni in akuter Geldnot ist, sondern weil er das Bewusstsein schärfen will für die Qualität der Lehre; und weil er aufschließen will zu den besten Universitäten der Welt.

Herrmann ist kein Träumer. "Studiengebühren sind bis auf Weiteres politisch kein Thema", sagt er. "Deshalb befasse ich mich nicht konkret damit." Die Ideen für die Zukunft gehen ihm auch so nicht aus. Hört man ihm eine Weile zu, dann fragt man sich: Wie macht er das alles?

Es gebe schon eine Menge zu tun, sagt Herrmann, aber die Arbeit werde ja verteilt. In seinem Präsidium sitzen ein Kanzler und sieben Vizepräsidenten. "Ich weiß gar nicht, wer so viele Vizepräsidenten hat wie wir", sagt er. Und Berater habe er auch, nicht nur an der Uni: Beim Konzept für den Hochschulrat etwa habe ihm seine Frau geholfen.

An Selbstbewusstsein hat es Herrmann nie gefehlt. In den ersten Jahren hätten die anderen Rektoren in ihm den jungen Wilden gesehen, sagt er. Als er einmal ein Konzept zur Hochschulreform vorlegte, habe der Rektor der Universität Erlangen einzelne Passagen darin mit Rotstift unterkringelt und das Papier zurückgeschickt, "wie ein Oberlehrer". Godehard Ruppert, seit 16 Jahren Chef der Uni Bamberg, erzählt, Herrmann habe in der bayerischen Rektorenkonferenz zu Beginn gewirkt "wie ein vorlauter Teenager, der durch einen gediegenen Golfclub marschiert". Mit ihm aber sei aus diesem Golfclub ein hochpolitischer Arbeitskreis geworden.

Inzwischen läuft Herrmanns fünfte Amtszeit; wenn sie 2019 endet, wird er 71 Jahre alt sein. Seinen Lehrstuhl hat der mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnete Chemiker vor zwei Jahren abgegeben. Aber er war nie nur Wissenschaftler und am internationalen Wettbewerb orientierter Hochschulmanager. Seine schönste Erinnerung aus 20 Jahren sei eine Rede, die er 2008 auf dem Gäubodenvolksfest in Straubing gehalten hat, sagt der Niederbayer; in dieser Stadt engagiert sich die TUM in einem Wissenschaftszentrum. Lange habe er an dieser Rede gefeilt, länger als an jeder anderen. Und noch heute freut er sich, dass er Jürgen Trittin, den grünen Ex-Bundesumweltminister, im Bierzelt als "Boandlkramer" aus der Geisterbahn bezeichnete, als Gevatter Tod, der heute keinen mehr schrecke. Die Rede gibt es als Broschüre; der TUM-Chef blättert gerne darin, und wenn sein Blick auf die großformatigen Fotos fällt, zum Beispiel auf eine Aufnahme von der barocken Asam-Basilika in Osterhofen, dann sagt er: "Mei, ist das schön. Deswegen habe ich das auch drucken lassen."

"Mia san mia"

Warum er sich in der Hochschulrektorenkonferenz so selten meldet? Als Präsident mit Rekord-Amtszeit hätte sein Wort doch Gewicht. "Hochschulrektorenkonferenz?", antwortet Hermann da, und es klingt, als hätte man ihn etwas Unanständiges gefragt. "Was hat die denn in den vergangenen Jahren bewirkt?" Die HRK ist ein Dach für gut 270 Hochschulen, deren Sprachrohr in Politik und Öffentlichkeit. Die TUM ist Mitglied. Herrmann aber lässt sie kalt. "Das mag ich nicht", sagt er, "vertane Zeit". Da gehe er lieber selber voraus. Ein Rektorenkollege sieht ein "Mia san mia"-Gefühl. Dabei könnte Herrmann, wenn er wollte, auf überregionaler Bühne "richtig auf den Putz hauen, Debatten prägen". Dass er daran nicht denkt, liegt auch daran, dass die TU kaum auf diese Lobby-Arbeit angewiesen ist. Der Kontakt zur Politik in Bayern ist nicht gerade flüchtig, eine TU München kann sich Forderungen erlauben. Überregional kann sie, Stichwort Exzellenzinitiative, einfach mit ihren Stärken punkten. SZ

Herrmann heute, das ist aber auch der Musikliebhaber, der in der Jugend davon träumte, Pianist zu werden. Der Zeitschrift Schule sagte er 2014, wenn er im Rückblick etwas anders machen würde, dann dies: weniger lernen, mehr musizieren.

Heute nimmt er sich hin und wieder die Freiheit, am Klavier zu üben; im Präsidentenzimmer steht ein gestifteter Flügel. Regelmäßig tritt Herrmann auf, am Klavier oder an der Orgel. Wie es dazu kam? Studenten hätten ihn einmal darum gebeten, erzählt er. Aufnahmen von Konzerten wie den TUM-Adventsmatineen, bei denen er musiziert, verschenkt er gerne auf CD.

Worauf Herrmann heute stolz ist, das sind unter anderem die Rankings, in denen die TUM regelmäßig vordere Plätze belegt - und zwar nicht nur, was die Forschungsstärke der Universität angeht, sondern auch die "Employability", den Ruf der Universität bei Personalern. Negativ-Preise wie der "Sprachpanscher" störten ihn da nicht, sagt er. Umso mehr aber habe ihn gefreut, als ihm die Stadt Garching in diesem Jahr ihre Goldene Verdienstmedaille verlieh. Ausgerechnet ihm, dem Kernkraft-Befürworter, der in der Stadt schon einmal als "Atom-Fuzzi" beschimpft worden war, weil seine Universität auf dem Garchinger Campus einen neuen Forschungsreaktor errichten ließ. Gegen den Reaktor gründete sich ein eigener Verein. Doch auch dessen Vorsitzende, eine Stadträtin der Grünen, habe ihm gesagt, sie habe für die Auszeichnung gestimmt, erzählt Herrmann.

Wie es weitergehen soll? 2017 steht die nächste Runde der Exzellenzinitiative an. Ein Jahr später feiert die 1868 unter Bayerns Märchenkönig Ludwig II. gegründete TUM ihr 150-jähriges Bestehen. Es wird ein neues Zentrum für Elektrotechnik geben, eines für Katalyse und eines für die Bio-Forschung. Geplant sei auch ein Zentrum für Wasserforschung, sagt Herrmann. In der barocken Klosteranlage Raitenhaslach bei Burghausen eröffnet die TUM 2016 ein "Science & Study Center". Und Herrmann möchte noch mehr Firmen auf den Münchner Campus locken.

Die Frage bleibt: Was ist die TUM, wenn er 2019 geht?

Zu seiner Nachfolge sagt Herrmann nichts - und er will möglichst wenig unerledigt lassen. Wer ihm auch nachfolgt, sagt Herrmann - es müsse jemand sein, "der gerne sehr viel arbeitet".

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