Trink-Experimente in der Schule:Berauschender Unterricht

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Gar nicht so cool, wie man meint: Immer noch ist das Komasaufen unter Jugendlichen ein Problem. (Foto: dpa)

Wie wirkt Bier und Schnaps auf mich? Brandenburger Schüler können das nun unter Aufsicht testen - auch um zu sehen, wie uncool der Rausch sie macht. Laut einer Analyse fruchtet das Projekt.

Von Johann Osel

Saufen auf dem Stundenplan - so ungefähr hörte sich das an, worüber der wortgewandte Herr vorne im Seminarsaal dozierte. Es war auf der Bildungsmesse Didacta vor gut einem Jahr in Stuttgart, und der Redner Johannes Lindenmeyer stellte Lehrern und Bildungsexperten sein Projekt vor.

Das Auditorium machte große Augen, gelegentlich gab es Ausrufe des Staunens oder ein ungläubiges Kichern. Denn beim Programm "Lieber schlau als blau" geht es um Trink-Experimente: Schüler nehmen unter Aufsicht eine vereinbarte Menge an alkoholischen Getränken zu sich.

Sie sollen zuvor schätzen, welchen Promillewert sie später haben werden, und wie sie glauben, dass sich dieser auf ihr Verhalten auswirkt. Danach soll es eine Überraschung beim Pusten ins Röhrchen geben, wenn schon ein oder zwei Drinks den Pegel nach oben treiben; es soll den jungen Leuten bei Tests gezeigt werden, wie schnell Konzentration und motorische Fähigkeiten nachlassen; und die Probanden sollen in Videoaufnahmen erkennen, "dass sie mit Alkohol gar nicht so cool wirken, wie sie vielleicht angenommen hatten", wie Lindenmeyer sagt.

Die Präventionsinitiative wird von der Brandenburger Regierung finanziell unterstützt. Seit dem Start 2008 haben an ausgewählten Schulen im Land fast 1000 Jugendliche teilgenommen. "Sie lernen hierbei gewissermaßen am eigenen Leib und ohne Bevormundung durch Erwachsene, ihren Promillewert und die Wirkung von Alkohol realistisch einzuschätzen", sagt Lindenmeyer, Direktor einer Brandenburger Suchtklinik. Viele Jugendliche bräuchten bis zum 25. Lebensjahr, bis sie den vernünftigen Umgang mit Alkohol gelernt haben. "In dieser Zeit ist die Gefahr sehr hoch, durch Alkohol Gewalt zu erleben oder sexuelle Übergriffe." Bei der Veranstaltung in Stuttgart, bei der sich der Suchtpsychologe zum Interview mit der Süddeutschen Zeitung traf, gab es durchaus Skeptiker - das aber ist Johannes Lindenmeyer gewohnt.

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Vor allem, dass auch unter 16-Jährige mit Erlaubnis der Eltern am Experiment teilnehmen können, steht in der Kritik. Lindenmeyer entgegnet: "Man muss sich klarmachen, dass Jugendliche heute lange vorher anfangen, Alkohol zu trinken, als es das Gesetz vorsieht." 30 Prozent aller 15-Jährigen hätten schon mehrere richtige Räusche gehabt. "Unter Suchtmedizinern und Psychologen sind wir auf positive Resonanz gestoßen." Fälschlicherweise werde aber befürchtet, das Projekt animiere Jugendliche zum Trinken. "Ich behandle seit 30 Jahren Alkoholiker und weiß, welches Leid Alkohol anrichten kann. Mir zu unterstellen, ich würde Jugendliche leichtfertig an die Flasche bringen, ist abwegig."

Rückendeckung für sein Projekt erhält Lindenmeyer nun offiziell. Kürzlich haben Brandenburgs Gesundheitsministerin Anita Tack sowie Bildungsministerin Martina Münch einen Evaluationsbericht zu "Lieber schlau als blau" vorgestellt. Das Institut für Therapieforschung Nord in Kiel hat dazu die Erfahrungen von 366 Teilnehmern ausgewertet und mit einer Kontrollgruppe ohne Intervention verglichen. In der Auswertung des Trinkverhaltens in den drei Monaten nach dem Training wird demnach deutlich, dass Jugendliche, die am Programm teilnahmen, weniger trinken als junge Leute in der Vergleichsgruppe. Und vor allem junge Leute, die sich selbst einen hohen Alkoholkonsum attestieren, gaben an, nun weniger zu trinken.

Die Akzeptanz bei Eltern sei zudem gegeben: Wenn eine Schule das Trainingsprogramm anbieten wollte und die Eltern informierte, entschieden sich in 90 Prozent der Fälle die Väter und Mütter dafür. Lindenmeyer, der einen begleitenden Leitfaden im Beltz-Verlag veröffentlicht hat, möchte das Projekt in Brandenburg nun gerne an noch mehr Schulen bringen - oder überregional ausweiten. In einigen anderen Bundesländern gebe es bereits vereinzelte Schulen, die mitmachen, sagt er.

Gesundheitsministerin Tack teilte anlässlich der Evaluation des Projekts mit: "Es nimmt Bezug auf die Lebensrealität von Jugendlichen, die bereits eigene Erfahrungen im Umgang mit Alkohol haben. Jugendliche, die angefangen haben, Alkohol zu konsumieren, lassen sich in der Regel nicht mehr von Abstinenzforderungen beeindrucken." Mit dem Training würden sie ermutigt, "eigenverantwortlich Kriterien für den Umgang mit Alkohol zu entwickeln und mit ihren Eltern, Mitschülern oder innerhalb ihres Freundeskreises darüber zu reden". Bildungsministerin Münch lobte das Programm als wichtige Ergänzung zur bestehenden Prävention. Die Umsetzung sei an klare Regeln geknüpft: Schulen entscheiden selbst über eine Durchführung, Eltern über die Teilnahme ihres Kindes.

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Dass die Schüler ihre Erfahrung mit Alkohol überdenken, ist Lindenmeyers Ziel. "Der Mythos ist ja: Je mehr Alkohol, desto besser wird alles. Nach einem Koma-Trinken fängt oft das Veteranengeschnatter an; Jugendliche brüsten sich mit ihren riskanten Erfahrungen." Im Experiment sollen sie erkennen, wie schnell der Zeitpunkt kommt, an dem die negativen Dinge überwiegen. Bestes Beispiel sei die Wirkung aufs andere Geschlecht: "Jungen sind ab einem bestimmten Alter davon überzeugt, dass sie mehr gemocht werden von Mädchen, wenn sie viel trinken. Und manche Mädchen denken genauso umgekehrt", sagt der Psychologe. Aber Mädchen schätzen besoffene Freunde in der Regel nicht, und Jungen besoffene Mädchen nur aus niederen Beweggründen."

© SZ vom 31.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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