Technisches Studium:Hundert Meter Zukunft

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Im autonomen Fahren sehen Forscher die nächste Revolution, vielleicht größer als die des Internets. Ein Wettbewerb animiert Studenten, sie mitzugestalten. Der Lerneffekt ist so groß wie der Spaß.

Von Susanne Klein

Ein Student vom Team Phoenix Robotics aus München steht neben dem Parcours am Mikro: "Also, wir haben eine Vorder- und Hinterachslenkung und versuchen mit zwei Halbkreisen in die Parklücke zu fahren. Dann richten wir die Achsen gleich aus und wollen damit wie eine Krabbe noch eine Korrektur fahren."

Ob es so fahrschulmäßig klappt, wie es klingt, bekommen die Zuschauer am vergangenen Dienstag in der Stadthalle Braunschweig - und zu Hause per Livestream - sofort zu sehen: Die schwarze, fast karosseriefreie Flunder der Münchner prescht an parkenden Autos vorbei, bremst plötzlich ab, blinkt, flutscht rückwärts in eine parallele Lücke, korrigiert - fertig. Das Ganze geht so schnell, dass man nicht unbedingt drinsitzen möchte: 4,15 Sekunden.

Zusteigen ist aber auch gar keine Option beim Carolo Cup. Die Autos sind selbststeuernde Elektromobile im Maßstab 1:10, die Bodenmarkierungen des 100 Meter langen Parcours sind aus Klebeband, Schilder und Hindernisse aus Pappe. 15 Teams aus Deutschland, Schweden und der Schweiz starten dieses Jahr im Wettbewerb, mit selbstentwickelten Modellen, in denen etwa die Rechnerleistung von Smartphones steckt. Kurven, Kreuzungen, überholen, anhalten: All das müssen die Autos mit integrierten Kameras und Sensoren allein bewältigen. Nur wenn eines ausreißt, dürfen die Studenten zur Fernsteuerung greifen.

Es ist ein Blick ins Nachwuchslabor des autonomen Fahrens. Nur logisch, dass die Industrie gern die Jury stellt. Die Experten von Bosch, Continental, Infineon, Volkswagen, BMW und anderen Firmen vergeben Punkte, und die Studenten wissen, dass sie später leichter an gute Jobs kommen. "Ob man vor einer Hausarbeit hockt oder mit einem großen Team eine komplexe Technik praktisch erforscht, ist ein Unterschied", sagt Thomas Form, der als Professor am Institut für Regeltechnik der TU Braunschweig den Carolo Cup vor zehn Jahren begründet hat. Viele Fakultäten belohnen die Mühe mit Credit Points fürs Studium. Den ganzen Aufwand wiegen die aber nicht auf.

"Sauanstrengend" nennt Ingolf Hurst vom Team Spatzenhirn die Vorbereitungszeit. "Aber für viele war es das erste Praxisnahe, was sie gemacht haben", lobt der Informatikstudent. Der erste eigene Algorithmus, die ersten Codes für ein Echtzeitsystem. Als "Spatz" über die Startlinie flitzt, jubeln die 18 Ulmer laut. Gerade muckte die Software noch, jetzt findet das Vehikel mit Kameraaufbau lässig die Spur, gewährt Vorfahrt, setzt brav den Blinker. Auch dass Spatz unter dem Gelächter des Publikums ein paar Autos in Gestalt weißer Pappboxen vor sich herschubst, verhindert seinen Sieg im Hauptwettbewerb nicht mehr.

Ein Novum beim Cup ist die nächsthöhere Leistungsklasse. Die Handicaps: Zebrastreifen, komplexe Kreuzungen, Radarfalle und 30er-Zone. "Damit wollen wir neue Lösungen anregen", sagt Thomas Form. Als letzte von vier Gruppen startet das Team CDLC der TU Braunschweig. Angehende Maschinenbauer, Elektro-, System- und Fahrzeugtechniker sind dabei, der Master-Studiengang "Elektronische Systeme in Fahrzeugtechnik, Luft- und Raumfahrt" ist auch vertreten. Die 15 Köpfe von "Crazy Dancing Little Caroline" haben ein ganz neues Fahrzeug konstruiert, aber erst spät realisiert, dass es nicht fertig werden würde. Eilig wurde das alte "Carolinchen", ein verkürzter Audi quattro, für die Oberliga getunt. Vor allem für den Zebrastreifen: Fünf bis 15 Zentimeter davor anzuhalten fällt Carolinchen schwer. Oft stoppt sie zu früh oder zu spät. Zu spät kostet 30 ärgerliche Strafmeter laut Regelwerk. "Wir haben bis zum Schluss in den Tiefen des Codes gewühlt, um den Fehler zu finden", sagt Teamleiter Oskar Maier.

Ohne Erfolg. Trotzdem schätzt der Elektrotechnikstudent den Lerneffekt. "Der ist groß, weil die Motivation so groß ist", sagt er. "Keiner von uns würde so viel Zeit in eine Vorlesung stecken." Dort lernen die Studenten zwar Programmiergrundlagen oder wie eine Platine funktioniert. Aber tatsächlich zu programmieren, und zwar mit der maßgeschneiderten Software, die auch Audi benutzt, oder selbst Platinen zu designen, von der Wahl des Mikroprozessors bis zum Schaltplan, das lernen sie nur für den Cup.

Carolinchen fährt jetzt los. Bedächtig folgt sie der Straße, hier zählt Genauigkeit. Sie erkennt das Stoppschild und eine schraffierte Sperrfläche, lässt ein kreuzendes Pappmobil passieren - und umfährt die weiße 30 auf der Fahrbahn. Fehler, aber kein gravierender. Dann nimmt der weiße Audi Kurs auf den Zebrastreifen. Ein Fußgänger will rüber, auch das noch. Aber Carolinchen hält punktgenau und wartet, bis die Pappfigur sicher drüben ist.

Applaus für die Sieger. Ein Teil der Prämie von 4000 Euro ist schon verplant. "Wir schließen uns in ein Pfadfinderheim mit kalten Duschen ein und schmieden Pläne", sagt Maier. Pläne für den Carolo Cup 2018.

© SZ vom 13.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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