Studium:Wie ein Start-up Flüchtlinge auf die Uni vorbereitet

Flüchtlinge finden schwer Arbeit

Kiron will Flüchtlingen aus allen Ländern helfen, ein Studium zu beginnen.

(Foto: dpa)

Für Geflüchtete ist der Weg an die Hochschulen nicht einfach. Das Start-up Kiron will sie unterstützen - weltweit.

Von Louisa Schmidt

Syrien, Ukraine, Eritrea: Irgendwann könnte Kiron in all diesen Ländern Menschen helfen zu studieren - das ist zumindest Vincent Zimmers Vision. Der Start-up-Gründer denkt groß. Vor über einem Jahr hat er in Berlin die Online-Bildungsplattform für Flüchtlinge aufgebaut und erste Anmeldungen angenommen. Vier verschiedene Fächer können die Geflüchteten online belegen, BWL, Ingenieurwesen, Informatik und Sozialwissenschaften. Das Besondere dabei: Sie bekommen Leistungspunkte, die sie sich später an einer Universität anrechnen lassen können. Zimmer hofft, dass sich bis Ende dieses Jahrzehnts 50 000 Teilnehmer mit seiner Plattform auf ein Studium vorbereiten.

Sajeda hofft, dann schon Ingenieurin zu sein. Die 20-Jährige ist eine der zurzeit 1500 aktiven Studenten. In Damaskus hatte sie gerade die Schule beendet und wollte studieren, als sie fliehen musste. Fünf Monate lebte sie in einem Camp in Berlin. Dort langweilte sie sich, wie so viele. Bis ihr ein Mädchen von Kiron erzählte.

Um sich zu bewerben, musste sie nur ihren Flüchtlingsstatus nachweisen. Ihre spärlichen Deutschkenntnisse kümmerten bei Kiron niemanden, das Studium ist auf Englisch. Die Syrerin lernte fortan auf ihrem Laptop über sogenannte MOOCs, das sind Kurse, die Eliteunis wie Harvard zur Verfügung stellen. Wenn ihr Deutsch gut genug ist, will Sajeda an einer Universität ihren Abschluss machen - und danach in ihre Heimat zurückkehren.

Das Bundesbildungsministerium investiert zwei Millionen Euro

Mit diesem Modell füllt das Start-up eine Lücke. Denn für Flüchtlinge, die studieren wollen, sind die Hürden hoch. Ohne sehr gutes Deutsch bekommen sie kaum einen Studienplatz, außerdem fällt es vielen schwer, ihre Hochschulberechtigung nachzuweisen. Die Zeit, die es braucht, um die nötigen Dokumente zu besorgen, können sie bei Kiron sinnvoll nutzen.

Wie viele Flüchtlinge bereits an deutschen Hochschulen studieren, weiß niemand so genau. Doch fast überall haben Studenten und Mitarbeiter Beratungs- und Gasthörerangebote für die neue Klientel entwickelt, und die meisten Einrichtungen bieten Sprach- und Vorbereitungskurse an. "Manche Warteliste ist lang, weil sich immer mehr Ratsuchende melden", sagt Katharina Riehle, die das Hochschulprogramm für Flüchtlinge des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes leitet.

Sechs Unis haben schon fest zugesichert, die Onlinekurse anzuerkennen

Kiron könnte die Hochschulen entlasten, stößt aber selbst noch an Grenzen. "Vor allem am Anfang brechen noch viele ab", sagt Zimmer. Das sei beim Onlinelernen zwar üblich, doch er wollte es genauer wissen und fragte bei Abbrechern nach. "Fast alle hatten einen Intensivdeutschkurs angefangen und keine Zeit mehr für den parallelen Aufwand." Eine der großen Baustellen der nächsten Zeit werde deshalb sein, das Sprachenlernen besser in die Zeitpläne von Kiron zu integrieren.

Ein weiteres Problem: In vielen Flüchtlingsheimen fehlt es an Computern, Wlan und Ruhe zum Lernen. Nicht alle haben das Glück, in der Nähe von einem der zehn "Study Labs" zu leben, die Kiron eingerichtet hat. "Die Leute brauchen Unterstützung, das haben wir schnell gemerkt. Nur online, das funktioniert nicht", sagt Zimmer. Deshalb hat er mit seinem Team aus mittlerweile 60 Mitarbeitern auch Programme jenseits des Bildschirms entwickelt, etwa die Begegnung mit Einheimischen, die bei Problem im Alltag helfen.

Auch Unternehmen investieren in Kiron

Damit die angehenden Studenten wirklich an eine Uni wechseln können, ist Kiron mit derzeit 24 Hochschulen im Kontakt. Sechs von ihnen haben schon fest zugesichert, die Onlinekurse anzuerkennen, mit den anderen wird das "Learning Agreement" noch verhandelt. "Lernleistungen anzurechnen, lohnt sich für unsere Partner-Unis. So können sie im zweiten oder dritten Semester freie Kapazitäten auffüllen", sagt Hila Azadzoy, die für Kiron die Gespräche koordiniert. Auch das Bundesbildungsministerium ist von der Idee angetan. Es sponsert die Kooperation zwischen Kiron und den Hochschulen - unter ihnen die Fachhochschule Lübeck und die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen - in den nächsten zwei Jahren mit zwei Millionen Euro.

Unternehmen investieren ebenfalls in Kiron. "Volkswagen beispielsweise finanziert einige Plätze bei uns, und Mitarbeiter des Konzerns helfen unseren Studenten in spe", so Zimmer. Später einmal soll es so sein, dass Absolventen mit festem Einkommen für die Kurse der Nachrücker zahlen. Dafür müssen aber erst genügend Flüchtlinge ihren Abschluss schaffen.

Zimmer hat noch viel vor. In Jordanien soll Kiron bald mit Unis vor Ort kooperieren. Tausende Flüchtlinge leben dort in Zeltstädten, unweit ihrer Heimat, aber weit weg von Bildung. Die Finanzierung steht, mehr darf Zimmer noch nicht verraten. Seit über einem Jahr sei er auch mit einigen Generaldirektionen der Europäischen Kommission im Gespräch. "Wir wollen eben Geflüchteten in ganz Europa zum Studium verhelfen."

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