Studium:Gilt an Unis bald wieder Anwesenheitspflicht?

Studenten in einem Hörsaal der Münchner LMU, 2012

Studierende in einem Hörsaal der Münchner LMU

(Foto: Catherina Hess)
  • Nach Regierungswechseln debattieren mehrere Bundesländer darüber, ob es an Unis wieder eine Anwesenheitspflicht für Studierende geben sollte.
  • Studierendenvertreter sehen davon die Studierfreiheit des Einzelnen bedroht.
  • Die Forschung legt jedoch nahe: Präsenz an der Uni ist wichtig für den Studienerfolg.

Von Matthias Kohlmaier

Montag, acht Uhr, der Wecker klingelt: "Muss ich jetzt wirklich aufstehen?", fragt sich der schläfrige Student. "Ach, egal, hält wahrscheinlich eh wieder nur irgendwer ein ödes Referat. Den Stoff kann ich mir auch alleine anlesen." Der Student schaltet den Wecker aus und schläft weiter.

Vielerorts ist dieses Verhalten in den vergangenen Jahren ohne Sanktionen geblieben. Etwa in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hatten SPD-geführte Landesregierungen die Anwesenheitspflicht in Seminaren zuvor generell abgeschafft. Studierende jubelten über mehr Flexibilität, viele Dozenten und Professoren grummelten. Mittlerweile jedoch haben in beiden Bundesländern die Regierungen gewechselt und die Diskussion um eine Präsenzpflicht für Studierende ist wieder da.

Die neue NRW-Wissenschaftsministerin Isabelle Pfeiffer-Poensgen (parteilos) will es den Hochschulen überlassen, ob sie künftig die Anwesenheit ihrer Studierenden kontrollieren wollen oder nicht. Eigenverantwortlich sollten die Unis handeln dürfen, zentralistische Instrumente und bürokratische Vorgaben wolle sie abbauen. "Wir müssen das nicht alles staatlich lenken", sagte Pfeiffer-Poensgen dem Deutschlandfunk.

Studierende in NRW werden also womöglich alsbald nicht mehr entspannt weiterschlafen können, wenn montags um acht Uhr der Wecker klingelt. Die Debatte über das Für und Wider der Anwesenheitskontrolle im Seminar verläuft entlang der alten Fronten. "Die geltende Regelung ist für uns nicht optimal", sagt der Sprecher der Ruhr-Uni Bochum, Jens Wylkop. Die Anwesenheit bei Lehrangeboten gehöre zum Wesen der Uni. Weiter geht Aloys Krieg, Prorektor für Lehre an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. In den vergangenen Jahren habe er vor allem bei mathematik-lastigen Veranstaltungen beobachtet, dass viele Studierende nicht zu den Vorlesungen und Übungen kämen und sich dann am Ende des Semesters kurzfristig von der Prüfung abmeldeten. "Man tut den Studierenden mit dieser großen Freiheit keinen Gefallen."

Ähnliche Töne kommen aus Schleswig-Holstein, wo die regierende Jamaika-Koalition darüber nachdenkt, Studierende zumindest für bestimmte Veranstaltungen wieder an die Uni zu zwingen. Schon länger gefordert hatte diesen Schritt der Kieler Fachhochschul-Präsident Udo Beer. Er findet, dass die Unis am besten entscheiden können, ob sie die Anwesenheit der Studierenden kontrollieren wollen, und dass sie deshalb auch die Möglichkeit dazu haben müssen.

Beer geht es dabei auch um die anhaltende Kritik, es werde im Studienverlauf zu viel geprüft. "Aus dieser Falle kommen die Hochschulen nur heraus, wenn sie sich auf andere Weise vergewissern könnten, wie der Kompetenzgewinn der Studierenden fortschreitet", sagt Beer. "Ein Mittel könnte gemeinsames Lernen an einem Ort zur gleichen Zeit sein."

Studierende fürchten Eingriff in die Studierfreiheit

Naturgemäß anderer Meinung sind Studierendenvertreter beim Thema Präsenzpflicht. Für ein "Korsett, in das Studierende sich zwängen müssen", hält sie der AStA-Vorsitzende der TU Dortmund, Markus Jüttermann. Dieses Korsett passe nicht jedem. So müssten vor allem viele einkommensschwache Studierende nebenbei arbeiten.

AStA-Chef Julian Engelmann in Münster geht noch weiter: "Sollte die Anwesenheitspflicht wieder eingeführt werden, beginnt die Bevormundung der Studierenden." Die Anwesenheitspflicht sei ein Eingriff in die Studierfreiheit.

Was aber bedeutet diese Freiheit? Wer Studierende fragt, bekommt oft zu hören, dass sich vieles doch auch bequem zu Hause lernen lasse. Dass dieses oder jenes Seminar doch ohnehin langweilig und durch eine profunde Internetrecherche locker zu ersetzen sei. Mit diesen Argumenten und der Anwesenheit im Studium ganz allgemein hat sich der Forscher Rolf Schulmeister von der Universität Hamburg in einer umfangreichen Meta-Studie auseinandergesetzt. Seine Ergebnisse sprechen stark dafür, den Hörsaal dem heimischen Schreibtisch vorzuziehen:

  • Nicht ins Seminar zu gehen, mag zwar selbstbestimmt sein, für den Studienerfolg förderlich ist es aber kaum. Studierende mit guten Leistungen sind laut Schulmeisters Studie überwiegend regelmäßig anwesend, es sind mehrheitlich die leistungsschwächeren Studierenden, die der Uni fernbleiben.
  • Auch das Argument von der vermehrten Onlinerecherche verfängt nicht. Es sind eher die anwesenden Studierenden, die Onlinematerialien häufiger nutzen, während das Selbststudium der öfter abwesenden Studierenden ebenso gering ausfällt wie ihre Präsenz und stattdessen ihr Anteil an Freizeit enorm steigt.
  • Ebenso widerspricht die Erhebung dem Klischee vom armen Studenten, der arbeiten gehen muss, statt in die Vorlesung. Bei den meisten Befragten geht die Zeit fürs Jobben nicht zu Lasten des Studiums, sondern der Freizeit.

Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, spricht sich dennoch gegen eine Anwesenheitspflicht für Studierende aus. Er fordert stattdessen etwas von den angehenden Akademikern: Verantwortung. "Erwachsene Menschen sollten so viel Eigenverantwortung mitbringen, dass sie selbst einteilen können, welchen Kursus sie persönlich besuchen und welche Inhalte sie sich im Eigenstudium erarbeiten." Ob Politiker und Professoren ihnen das zutrauen, wird sich bald zeigen.

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