Studium in Greifswald:Kampf um ein Alleinstellungsmerkmal

Studium in Greifswald: Junger Besucher eines Monuments in Kiew: Die Ukraine steht im Weltmittelpunkt, wahre Experten sind rar.

Junger Besucher eines Monuments in Kiew: Die Ukraine steht im Weltmittelpunkt, wahre Experten sind rar.

(Foto: Sergei Supinsky/AFP)
  • Orchideenfächer haben an den Universitäten oft keinen leichten Stand und werden irgendwann wegrationalisiert. In Greifswald füchtet man nun um die Studienrichtung Ukrainistik.
  • "Verliert die Universität die Ukrainistik, verliert sie ihr Alleinstellungsmerkmal", warnt Prof. Bernhard Brehmer.
  • In Greifswald hofft man auf finanzielle Hilfe aus Berlin, um die Ukrainistik erhalten zu können.

Von Ulrike Nimz

Irgendwann mussten sie beschlossen haben, es auf die Spitze zu treiben "Bye Bye Phil Fak" stand auf dem Plakat, das Studenten am Dach des Greifswalder St. Nicolai Doms befestigt hatten. Phil Fak, das meint die Philosophische Fakultät, der Rest ist lakonischer Kommentar in einer Debatte, die der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zuletzt auch überregionale Schlagzeilen bescherte.

Es muss gespart werden an den Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern. Traditionell rücken dabei die Geisteswissenschaften zuerst in den Fokus und dort wiederum die Fächer, in denen Studierende sich noch als Exoten fühlen dürfen. 119 dieser Orchideenfächer an 80 Universitäten zählte die Arbeitsstelle Kleine Fächer zuletzt. Oft welken sie vor sich hin, um dann irgendwann lautlos einzugehen. Doch diesmal ist alles anders.

Seit Monaten fürchten sie in Greifswald um die Ukrainistik, angesiedelt am Institut für Slawistik. Das ist derzeit in drei Lehrstühle gegliedert: Slawische Sprachwissenschaft, slawische Literaturwissenschaft und die Professur für Ost- und Westslawische Philologie. Deren Schwerpunkte Polonistik und Ukrainistik sind bedroht, seit der Fakultätsrat im Juli beschlossen hat, den Lehrstuhl bis 2024 auf Eis zu legen. Einzig das Veto der Studierenden bewirkte, dass die endgültige Entscheidung nun wohl erst im Oktober fällt. Eine Online-Petition gegen den Kahlschlag hat schon mehr als 4300 Unterzeichner, nur etwa ein Viertel von ihnen aus Greifswald - das hat einen Grund.

Seit 1995 bietet Greifswald Ukrainistik als Studienfach an. Zum 20. Mal ging Mitte August auch das "Ukrainicum" zu Ende. Eine internationale Sommerschule des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs und der Universität, die Studierende und Experten aus zwölf Nationen zusammenbringt. Ob während der Orangenen Revolution 2004, der Maidan-Proteste oder der Krim-Annexion - einmal im Jahr wurde Greifswald für zwei Wochen zum Mittelpunkt der Ukraine-Forschung. Das Motto in diesem Jahr: "Beyond War and Peace". Was also kommt nach Krieg und Frieden - Sparmaßnahmen genau dann, wenn die Ukraine im Fokus der Weltpolitik steht?

"Eine anachronistische Entscheidung", nennt Bernhard Brehmer das, was dem Institut für Slawistik droht. Seit 2013 ist er Professor für slawische Sprachwissenschaften in Greifswald. "Verliert die Universität die Ukrainistik, verliert sie ihr Alleinstellungsmerkmal", sagt er. Über die Jahre haben sie in Greifswald Botschaftspersonal und Journalisten ausgebildet. Dennoch gebe es bis heute nur wenige Deutsche, die sich in der Ukraine auskennen, die Sprache des Landes sprechen, sagt Brehmer. "Was haben wir davon, wenn in Zeiten der Krise immer nur dieselben zu Wort kommen?", fragt er und gibt die Antwort selbst: "Es entsteht eine zentristische Sichtweise. Das ist gefährlich."

"Noch ist die Ukraine nicht gestorben"

Diese Ansicht teilt man auch auf diplomatischer Ebene. Deutschland spiele eine "sehr aktive Vermittlerrolle, um die durch die russische Aggression verursachte Krise im Osten der Ukraine zu lösen", so der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung. In Anbetracht der weltpolitischen Situation und der steigenden Bedeutung der Ukraine für Europa sei es "unverzichtbar", die dauerhafte Existenz des Faches zu sichern und auszubauen. Mit entsprechender Bitte sei man zuletzt auch an Johanna Wanka herangetreten.

Erst zu Beginn des Jahres hatte die Bundesbildungsministerin im SZ-Interview angekündigt, dass es denkbar sei, künftig kleine, von der Schließung bedrohte Fächer mit überregionaler Bedeutung über den Bund zu unterstützen. Eine Grundgesetzänderung hatte Wanka zuvor neue Spielräume gegeben an den Hochschulen, die generell Ländersache sind.

Bedroht ist die Ukrainistik schon lange, ihr Tod schon mehrmals prophezeit worden. Die Professur war drei Jahre lang unbesetzt, bis sie im Lehrstuhl für Ost- und Westslawische Philologie aufging. Dass nun erneut fusioniert werden soll, nennt Brehmer das "Matrjoschka-Prinzip". Wer eine Professur am Institut für Slawistik innehat, müsse künftig vier Sprachen beherrschen, Russisch, Polnisch, Tschechisch und Ukrainisch. Dass das unrealistisch ist, sieht auch der Dekan der Philosophischen Fakultät ein, Thomas Stamm-Kuhlmann. Er vermisst jedoch die Sachlichkeit in der Debatte. Zuletzt habe es wegen der Sparmaßnahmen mehr Anfragen gegeben als wegen der Ukraine-Krise.

Blüte hier, Verfall dort

Auch wenn der Tod kleiner Fächer oft Ärger auslöst - insgesamt geht es den Mini-Disziplinen nicht so schlecht wie zuweilen vermutet. Die Professuren- und Standortzahlen der Fächer sind im Zeitraum von 1997 bis 2015 summa summarum weitgehend stabil geblieben, vermeldet die Mainzer Arbeitsstelle Kleine Fächer in ihrer Datenerhebung 2015. Sie kartiert diese Fächer bundesweit, von Akkadisch bis Weißrussisch. Der Blick ins Detail lohnt aber: Zuwächse sind bei den Religionswissenschaften zu erkennen. Hier ist die Zahl der Professuren um 25 Prozent von 1997 bis 2015 gestiegen. Sie prosperieren insbesondere in Disziplinen, die sich auf Asien beziehen. Nach oben geht es auch für kleine Fächer mit Medien- und Informatikbezug, wie Computerlinguistik und Bioinformatik. Einen Abbau erleben meist Fächer im Bereich der Alten Kulturen und Sprachen. Beispielsweise zählt die Indogermanistik heute 12,5 Professuren an 13 Standorten; 1997 waren es 22 Professuren an 23 Standorten. Detaillierte Berichte nach Forschungsgebiet: www.kleinefaecher.de. Johann Osel

Auch gehe es anderen Fachbereichen deutlich schlechter. Denn gespart wird in Greifswald schon seit gut zehn Jahren. Das Landespersonalkonzept hat seit 2006 dazu geführt, dass in der Philosophischen Fakultät die Zahl der Professuren für Romanistik von vier auf null, für Klassische Altertumskunde von vier auf null und für Anglistik von vier auf zwei reduziert worden ist. Weil diese Maßnahmen bereits umgesetzt sind, tauchen sie im Beschluss des Fakultätsrats vom Juli nicht mehr auf, erklärt der Historiker. Das Institut für Slawistik habe immerhin die Rückkehr einer Professur nach 2024 in Aussicht. An ein Auftauen nach zehnjähriger Eiszeit zweifelt jedoch auch der Dekan: "Man muss hoffen, dass der Fakultätsrat ein gutes Gedächtnis hat."

"Noch ist die Ukraine nicht gestorben", ist der Titel eines patriotischen Gedichts, das der ukrainische Ethnograf Pawlo Platonowytsch Tschubynskyj 1862 schrieb, und dessen Text zur Nationalhymne wurde. Auch in Greifswald wollen sie sich noch nicht geschlagen geben. Die Finanzierung für das Ukrainicum 2016 zumindest ist gesichert. Nun setzt man alle Hoffnungen auf Bundesministerin Wanka. Ein Brandbrief ist laut Brehmer in Vorbereitung.

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