Studienplatz:Die Wut über den Algorithmus

Studienplatz: Studenten der Tolbiac-Universität protestieren in Paris.

Studenten der Tolbiac-Universität protestieren in Paris.

(Foto: Francois Mori/AP)

Junge Franzosen protestieren gegen neue Zugangsregeln fürs Studium: Ein Onlineportal vergibt von nun an die Plätze.

Von Nadia Pantel

Frankreichs Abiturienten stehen unter Druck. In zwei Wochen beginnen ihre Abschlussprüfungen. Doch anstatt sich aufs Lernen zu konzentrieren, sorgen sich viele um die Zeit danach. Schuld daran ist das neue Auswahlverfahren für Studienplätze. Seit diesem Jahr können sich Franzosen nicht mehr einfach an ihrer Wunschuniversität einschreiben, sie müssen sich bei einem Onlineportal registrieren und bekommen dann einen Studienplatz zugeteilt - oder nicht.

Zunächst hatten sich nur diejenigen über das Verfahren aufgeregt, die es nicht mehr betrifft: die jetzigen Studenten. Universitäten im Land wurden besetzt, um gegen das "Parcoursup" genannte Selektionssystem zu protestieren. Dabei prangerten die linken Studentenverbände nicht nur die Bildungsreform an, sondern wetterten gegen die gesamte wirtschaftsliberale Gesetzgebung von Präsident Emmanuel Macron. Der Protest war so breit angelegt, dass er der Regierung ermöglichte, ihn zu ignorieren. Als die besetzten Universitäten geräumt wurden, nahm die Mehrheit der Studenten das ohne Widerstand hin.

Manche behaupten, "Parcoursup" benachteilige systematisch Schüler aus armen Stadtvierteln

Doch nun sind es die Abiturienten, die sich über Parcoursup ereifern. Denn mehr als die Hälfte der Abiturienten, die bei Parcoursup bis zu zehn Wunschuniversitäten angegeben hatten, erhielten von dem System zunächst eine Absage oder einen Wartelistenplatz. Vor allem diese Wartelisten entwickelten zermürbendes Potenzial, da sie den Schülern genau anzeigen, wie viele noch absagen müssen, bis sie angenommen werden können.

Das standardisierte Auswahlverfahren für Studienplätze ist Teil einer größer angelegten Bildungsreform. So soll von 2020 an die Abiturnote nicht mehr nur von den Abschlussprüfungen abhängen. Die Leistungen sollen kontinuierlicher geprüft werden. Frankreichs Ministerin für Hochschulbildung, Frédérique Vidal, wertet den Start des Auswahlprozesses als gelungen. Als am 23. Mai die Ergebnisse an 810 000 teilnehmende Abiturienten verschickt wurden, konnten sich laut Vidal 436 000 Schüler, also mehr als die Hälfte, über eine Zusage freuen. Die, die noch warten, bittet die Ministerin nun wöchentlich um Geduld, man müsse "dem System Zeit geben, sich zu entwickeln". Viele Schüler haben mehrere Zusagen erhalten, sobald diese sich entschieden haben, können andere auf die freien Plätze nachrücken.

Kritiker werfen dem System vor, dass der Algorithmus, nach dem die Plätze vergeben werden, nicht durchschaubar sei. Manche gehen sogar so weit, zu behaupten, Parcoursup benachteilige systematisch Schüler aus armen Stadtvierteln. Eine gute Note in der Pariser Banlieue gelte weniger als eine gute Note an einem Elitegymnasium. In Seine-Saint-Denis, einer der ärmsten Regionen Frankreichs, gleich vor den Toren von Paris, besetzten Schüler in der vergangenen Woche ihr Gymnasium. Sie werfen den Universitäten vor, den Wohnort der Bewerber zum Auswahlkriterium zu machen. Trotz bester Noten stünden manche Schüler immer noch auf der Warteliste. "Parcoursup bringt die tiefen Ungleichheiten unseres Bildungssystems ans Tageslicht", sagte eine Lehrerin aus Seine-Saint-Denis der Zeitung Le Monde. Inwiefern die Vorwürfe gerechtfertigt sind, wird sich erst Anfang September sagen lassen. Dann, wenn klar ist, wer wo sein Studium beginnen kann.

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