Studiengebühren in England steigen dramatisch:Studieren nur für Reiche?

Das Studium in England und Wales wird deutlich teurer. Kritiker fürchten, dass der Hochschulabschluss darum wieder zu einem Privileg für Kinder Besserverdienender wird. Doch das System birgt Überraschungen.

Alexander Menden

Auf den ersten Blick scheinen die jüngsten Erhebungen des britischen "University and Colleges Admissions Service" (Ucas) alle Befürchtungen zu bestätigen. Ucas organisiert im Vereinigten Königreich die Vergabe sämtlicher Studienplätze. Jetzt meldet die Einrichtung, für den Herbst 2012 hätten sich 462.507 junge Briten bei heimischen Universitäten beworben. Das sind annähernd 44.000 weniger als noch im vergangenen Jahr, und entspricht einem Rückgang von 8,7 Prozent. Wenig besser sieht es aus, wenn man die Anmeldungen ausländischer Studenten mitzählt: Hier konstatiert Ucas ein Minus von 7,4 Prozent.

The New Term Begins For Students At Oxford University

Die Universität von Oxford gilt als Inbegriff eines Elite-Studiums.

(Foto: Getty Images)

Das ist die Bilanz der ersten Bewerbungsrunde, seit Studiengebühren In England und Wales kräftig angezogen wurden: Ende 2010 beschloss die liberal-konservativen Koalitionsregierung in Westminster, die zulässige Höchstgrenze für Studiengebühren von bis dahin 3000 auf 9000 Pfund anzuheben. Diese Regelung greift von September 2012 an.

Die zahlreichen Kritiker dieser Entscheidung monierten, dies werde zu einer Geldhierarchie unter den Universitäten führen. Ein Trugschluss, da fast alle Unis ihre Gebühren auf den Höchstsatz anhoben. Der größte Kritikpunkt lautete jedoch, viele potentielle Studenten aus finanziell schwachen Familien würden von den hohen Kosten abgeschreckt, und sich gar nicht erst bewerben. Das Studium würde wieder zu einem Privileg für Kinder Besserverdienender werden.

Große Überraschung

Man könnte meinen, all diese Mahner würden nun in vollem Umfang bestätigt. Doch eine nähere Betrachtung der Ucas-Ergebnisse fördert Überraschendes zutage: Der Nachfrage-Rückgang gegenüber dem Vorjahr ist bei den finanziell bessergestellten Gruppen mit zweieinhalb Prozent größer als bei den finanziell schwachen Gruppen (0,2 Prozent). "Die Befürchtungen, die jüngsten Veränderungen der Studiengebühren könnten einen überproportionalen Effekt bei den benachteiligten Gruppen haben, scheinen diese Zahlen also nicht zu bestätigen", sagt Ucas-Chefin Mary Curnock Cook.

Es ist vielmehr so, dass es nach wie vor deutlich mehr Bewerber als Studienplätze gibt. Mindestens 50.000 der Interessenten werden allein mangels Kapazitäten nicht berücksichtigt werden können. Speziell traditionsreiche Elite-Universitäten wie Oxford, Cambridge und das Imperial College in London verzeichnen gleichbleibende Bewerberzahlen. Was den Schwund wohlhabenderer Studenten bewirkt hat, ist bisher unklar.

Die hohen englischen Studiengebühren haben allerdings durchaus eine Wirkung, und zwar nördlich der englisch-schottischen Grenze: Dort ist die Zahl der Bewerber aus dem EU-Ausland um sechs Prozent gestiegen. Grund dafür ist das schottische Gesetz, das es EU-Ausländern erlaubt, ebenso wie Schotten gebührenfrei in Schottland zu studieren. Engländer hingegen müssen auch hier Studiengebühren zahlen, wenn auch niedrigere als daheim.

Neue Abschlüsse gefragt

Ein Trend, der sich sehr deutlich abzeichnet, ist das sinkende Interesse an Abschlüssen, die vermeintlich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringern: Bewerbungen für künstlerische sowie geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge liegen 14 Prozent unter denen des Vorjahres. Statistisch lukrativere Fächer wie Medizin und Wirtschaftswissenschaften verzeichnen hingegen einen sichtbar geringeren Rückgang.

Und so scheint die schlechte Wirtschaftslage in unerwarteter Weise genau jenen Effekt zu erzielen, welchen eigentlich die Hochschulreformen zeitigen sollten, die vor ein paar Jahren ein Komitee unter Vorsitz des ehemaligen BP-Chefs Lord Browne vorschlug: Die Prioritäten dieses Komitees lagen ausdrücklich beim "wirtschaftlichen Nutzen" höherer Bildung. Im Idealfall, so Brownes Hoffnung, würde das Universitätswesen so deutlich marktorientierter werden.

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