Studie zu Bildungschancen:Die Eltern sind schuld

Nicht nur die Lehrer sind sich einig, warum Bildungschancen von Kindern in Deutschland ungleich verteilt sind. Auch die Eltern sehen die Schuld bei sich. Aber zu viel Interesse am Schulalltag der Kinder ist dann doch wieder lästig.

Von Roland Preuß

Viele Lehrer haben offenbar kein gutes Gefühl im Berufsalltag: wenn sie Noten vergeben, einen Schüler für die Hauptschule statt Gymnasium empfehlen oder Abschlusszeugnisse überreichen. Zumindest empfinden gut 60 Prozent der Lehrer die Chancen ihrer Schüler auf Bildungserfolge ungerecht verteilt. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage des Instituts Allenbach hervor, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Für die Studie hatte das Institut Lehrer, Eltern, aber auch mehr als 600 Schüler ab der 5. Klasse persönlich befragt. Demnach fanden gerade einmal drei Prozent der Pädagogen die Chancengerechtigkeit ihrer Schüler unabhängig von sozialer Herkunft oder Geschlecht "sehr gut" verwirklicht, ein Drittel immerhin "gut".

Die Verantwortung für den Missstand sehen die Lehrer allerdings weniger in der Schule oder der fehlenden Unterstützung durch den Staat; sie lenken den Blick vor allem auf die Eltern, die sich oft nicht um ihre Kinder und deren Fortkommen kümmerten. Man kann diese Logik so fassen: Was können die armen Kinder dafür, dass ihre Eltern sie nicht fördern? Dies klingt so, als wollten viele Pädagogen von eigenem Versagen ablenken, kluge Kinder aus armen oder bildungsfernen Elternhäusern zu fördern.

Bemerkenswert ist allerdings: die meisten Mütter und Väter sehen das ähnlich. Vier von fünf Eltern gaben "Mangelndes Interesse mancher Eltern, sich mit ihren Kinder zu beschäftigen" als Grund für schlechtere Chancen des Nachwuchses an - die meist genannte Ursache in der Studie. Auch "mangelnde Erziehung" und eine fehlende "Vorbildfunktion" wurden oft angeführt - noch vor einer unterschiedlichen Begabung der Kinder oder den finanziellen Möglichkeiten der Eltern. In diesen Einschätzungen sind sich Lehrer und Eltern weitgehend einig. Klare Unterschiede gibt es lediglich, wenn es um die Verantwortung von Schule, Staat und Lehrern geht, wo fast die Hälfte der Eltern fehlende Förderangebote bemängeln oder, dass Sohn oder Tochter vom Lehrer benachteiligt werde - was diese freilich mit einer satten Mehrheit von sich weisen.

Kinder sozial schwacher Familien gehen weniger gern in die Schule

Das Problem desinteressierter Eltern machen Lehrer vor allem bei Kindern aus, deren Mütter oder Väter arbeitslos sind, Geringverdiener oder keine höheren Bildungsabschlüsse mitbringen. Sie kümmerten sich weniger als andere Familien, sagten drei Viertel der gut 500 befragten Pädagogen.

Diese Einschätzung bestätigen sogar die Kinder und Jugendlichen selbst: Mehr als jeder vierte Schüler aus sozial schwachen Familien gab an, dass sich die Eltern lediglich "etwas", kaum oder "gar nicht" für ihren Schulalltag interessieren, bei Schülern aus höheren sozialen Schichten war davon nur in vier Prozent der Fälle die Rede; die Gruppe der sehr Interessierten ist dort mit 53 Prozent mehr als doppelt so groß wie unter den sozial Schwachen. Mit dem mangelnden Interesse der Eltern und den im Schnitt schlechteren Noten geht diesen Schülern auch die Freude am Unterricht verloren. Sie sprachen deutlich seltener davon, gerne in die Schule zu gehen, als ihre Klassenkameraden aus wohlhabenderen Familien.

Die Studie bestätigt damit frühere Untersuchungen, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen sozialer Stellung der Eltern und ihrem Engagement für Bildungserfolge aufgezeigt haben. Politisch spannend ist die Frage, was man dagegen tun kann. Man müsse früh ansetzen, weil die Unterschiede bereits vor der Schule angelegt seien, sagt der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, der nicht an der Allensbach-Studie beteiligt war, aber seit Jahren zum Thema forscht. Viele sozial schwache Familien böten ihren Kindern keine anregende Freizeitbeschäftigung, der Nachwuchs dürfe stattdessen viel fernsehen oder Computer spielen, sagt der Professor an der Berliner Hertie School of Governance. "Man muss die Kinder deshalb so früh wie möglich außerhalb des Elternhauses unterstützen."

Der Bildungsexperte plädiert deshalb wie viele seiner Kollegen für bessere Angebote schon vor der Grundschule, etwa Deutschkurse für Migrantenkinder, und später Ganztagsangebote in den Schulen. Dort könnten Kinder und Jugendliche unabhängig von der Lage im Elternhaus lernen und Anregungen erfahren. Mark Speich, der Geschäftsführer der Vodafone-Stiftung, welche die Allensbach-Studie in Auftrag gegeben hatte, forderte eine bessere Zusammenarbeit der Schulen mit den Eltern, um deren Interesse zu wecken.

Nicht jeder Lehrer ist indes von mehr Interesse der Eltern begeistert, auch dies zeigt die Umfrage. Fast zwei Drittel von ihnen gaben an, dass Eltern mehr Einfluss nehmen wollten, vor allem an Grundschulen. Den meisten Lehrern bereitet das Schwierigkeiten. Zu viel Interesse ist dann offenbar doch lästig.

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