Studie über Schulen und Unis:Wo Diskriminierung an der Tagesordnung ist

Elsa Brandström Gymnasium

Lehrer unterschätzen der Studie zufolge das Leistungsvermögen muslimischer Schülerinnen.

(Foto: dpa)

Lehrer, die muslimischen Schülerinnen ein geringeres Leistungsvermögen unterstellen; Jugendliche, die ihre Mitschüler als "Schwuchtel" beschimpfen: Diskriminierung ist einer Studie zufolge in deutschen Bildungsinstitutionen allgegenwärtig - und sie beginnt bereits im Kindergarten.

Von Johanna Bruckner

Sie sehen anders aus als die Mehrzahl, bei manchen hört man, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Andere können nicht am Sportunterricht teilnehmen, weil ihre Beine gelähmt sind. Oder sie begeistern sich nicht wie ihre Mitschüler mit Beginn der Pubertät für das andere Geschlecht, sondern schwärmen für die beste Freundin/den besten Freund. Das alles sind Gründe, weshalb Schüler, später auch Studierende und Arbeitnehmer, in Deutschland diskriminiert werden - und das alarmierend oft.

Benachteiligung aufgrund von Herkunft, Gesundheitszustand oder sexueller Orientierung ist hierzulande Alltag, das ist das Ergebnis eines Berichts der Antidiskriminierungsstelle (ADS) des Bundes. Die ADS hat erstmals umfassend untersucht, wo in den "zentralen Lebensbereichen" Bildung und Arbeit Diskriminierung stattfindet und welche Formen sie annimmt.

Für den Bericht wurden wissenschaftliche Studien und Expertengespräche zum Thema ausgewertet, aber auch eigene Untersuchungen durchgeführt - so zum Beispiel eine Umfrage unter 1500 Schülern und Studierenden. Datengrundlage bilden außerdem Beratungsanfragen an die ADS und andere Beschwerdestellen. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, auch weil bei Diskriminierung von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss. Der Bericht, der heute dem Bundestag vorgelegt wurde, umfasst etwa 450 Seiten. Ein Überblick über die Ergebnisse.

Frühkindliche Erziehung

Sie haben gerade erst gelernt zu lächeln, sprechen ihre ersten Worte, gehen ihre ersten Schritte - und werden schon danach beurteilt, ob sie ins System passen. "Bereits bei der frühkindlichen Betreuung findet Segregation statt", heißt es im Bericht, "die Trennung in verschiedene (soziale) Gruppen." Besonders Kleinkinder mit Behinderungen werden vielfach bereits zu diesem frühen Zeitpunkt von ihren Altersgenossen getrennt. Fast ein Drittel wird demzufolge in speziellen Fördereinrichtungen betreut.

Die Segregation kann aber auch strukturelle Gründe haben, hiervon sind vor allem Kinder aus Migrantenfamilien betroffen. Diese wohnen der Studie zufolge mit ihren Eltern häufig "in einem 'armen' Stadtteil oder einem mit besonders vielen Menschen mit Migrationshintergrund". Weil die meisten Eltern eine Betreuungsmöglichkeit nahe an ihrem Wohnwort wählen, sind die Kinder in Krippe und/oder Kindergarten überwiegend mit Kindern zusammen, die einen ähnlichen sozialen Hintergrund haben. Problematisch ist dies beispielsweise, wenn in den Familien nicht Deutsch, sondern die Sprache des Herkunftslandes gesprochen wird.

Schule

Mit Eintritt in die Schule verschärft sich die Benachteiligungsproblematik. Die Autoren der Studie schreiben:

Die Risiken, in allgemeinbildenden Schulen diskriminiert zu werden, sind vielfältig. Bereits in der Grundschule herrscht eine "Ausgrenzungspraxis" vor, die Chancenungleichheit bedingt und teilweise fördert. Dazu gehören das Aufnahmeverfahren und die Einschulungsphase, die Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie die Übergangsempfehlungen auf weiterführende Schulen am Ende der Grundschulzeit. In all diesen Bereichen können Vorurteile und Diskriminierung sich nachteilig auf den weiteren Bildungsverlauf der Kinder auswirken.

Sie bemängeln in diesem Zusammenhang vor allem, dass Inklusion in den Schulgesetzen der Länder bislang zu zögerlich umgesetzt werde, obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsamen Unterricht von nicht-behinderten und behinderten Kindern ausdrücklich verlange. Derzeit besuche nicht einmal ein Fünftel der Kinder mit Förderbedarf eine Regelschule. Das hängt den Autoren zufolge auch damit zusammen, dass viele Eltern noch davor zurückschrecken, ihre Kinder auf eine Regelschule zu schicken, weil sie befürchten, dass diese nur unzureichend vorbereitet sind.

Weiter stellt die Studie ein hohes Diskriminierungspotential bei der Leistungsbewertung fest. So neigten Lehrer dazu, Schüler mit einem ausländischen Nachnamen schlechter zu benoten als deren Mitschüler mit deutschklingenden Familiennamen. Vorurteile haben Pädagogen demnach auch gegen Mädchen muslimischen Glaubens: Die Leistungen von Schülerinnen, die ein Kopftuch tragen, werden häufig unterschätzt. Doch nicht nur ethnische Herkunft und Religionszugehörigkeit können einen negativen Effekt auf die Zensuren haben, eine niedrige soziale Herkunft kann sich ebenfalls nachteilig auswirken. "Je relevanter Noten für die weitere berufliche und Ausbildungslaufbahn sind, desto problematischer ist die scheinbar neutrale Notengebung", heißt es in dem Bericht.

Falsche Übertrittsempfehlungen

In bis zu einem Viertel der Fälle kommt es demnach zu einer falschen Empfehlung für eine weiterführende Schule. Dabei kann nicht nur eine unfaire Leistungsbewertung die Zukunft eines Kindes gefährden - Pädagogen kommen dem Bericht zufolge darüber hinaus zu fragwürdigen Einschätzungen mit weitreichenden Folgen. So unterstellen Lehrer Eltern mitunter eine mangelnde Unterstützungsfähigkeit und sprechen deren Kindern deshalb keine Gymnasialempfehlung aus.

Daneben gibt es eine Reihe von Diskriminierungsformen, die sich nicht unmittelbar auf den schulischen Erfolg von Kindern auswirken - sehr wohl aber Folgen haben können, weil sie das Identitätsbewusstsein und Selbstwertgefühl der Schüler unterminieren. So kritisieren die Autoren "das Verbot an einigen Schulen, in der eigenen Muttersprache zu sprechen. Deutsch als Unterrichtssprache sollte genügen, weitergehende Verbote stehen der Förderung der kulturellen Vielfalt und Identität entgegen."

Diskriminierungen können aber nicht nur vom Lehrpersonal und/oder den Schulen ausgehen, sondern auch von den Schülern. Allerdings sind hier wiederum die Bildungseinrichtungen in der Pflicht, ein Klima der Toleranz zu schaffen und bestimmte Verhaltensweisen zu ahnden - was bislang nicht in ausreichendem Maße der Fall ist. "Schwul", "Schwuchtel" oder "Lesbe" seien "gängige Schimpfwörter auf den Schulhöfen", heißt es unter Berufung auf eine Umfrage an Berliner Schulen im Bericht. Auch Behindertenfeindlichkeit sei an der Tagesordnung, sie reiche von "Anstarren und Verspotten bis hin zu Handgreiflichkeiten".

Universität

Kinder von Akademikern sind an den Hochschulen zwar nicht mehr unter sich, mittlerweile stammt zumindest die Hälfte der Studierenden aus Nicht-Akademiker-Familien. Doch junge Menschen aus bildungsferneren und sozial schwächeren Milieus bzw. mit Migrationshintergrund haben ungleich höhere Hürden zu bewältigen, wenn sie an die Uni wollen - und auch während ihrer Studienzeit sind sie benachteiligt. Gründe sind dem Bericht zufolge vor allem eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten und eine mangelnde Vertrautheit mit dem System Hochschule.

Im Bericht heißt es:

Am Thema Studienabbruch lassen sich Diskriminierungserfahrungen festmachen: Zu den häufigsten Motiven für den Abbruch des Studiums zählen finanzielle Probleme aufgrund struktureller Benachteiligungen wegen der "sozialen Herkunft", des Migrationshintergrunds oder einer Behinderung. Andere Probleme im Studienverlauf können z. B. fehlende akademische Kontakte sein, die den Erfolg eines Studiums absichern und berufliche Perspektiven aufzeigen können.

Auch angehende Studierende mit Behinderung stehen beim Hochschulzugang vor besonderen Herausforderungen - im wahrsten Sinne des Wortes. So sind viele Universitäten immer noch nicht auf Menschen mit Handicap vorbereitet, mangelnde Barrierefreiheit ist immer noch ein Problem.

Die Benachteiligung beginnt allerdings bereits vor Studienbeginn. So können besondere Auswahlkriterien diskriminierend sein: Bei der Zulassung zu manchen Studiengängen wird beispielsweise praktische Vorerfahrung auf die Abi-Note angerechnet - doch die können körperlich eingeschränkte Studienbewerber mitunter schlicht nicht erbringen. "Bestimmte Nachteilsausgleiche wie die Verbesserung der Durchschnittsnote gewähren nicht mehr alle Hochschulen."

Der Bericht der Antidiskrimierungsstelle zeigt aber nicht nur Problemfelder auf. Er gibt auch Empfehlungen für mehr Toleranz an Bildungseinrichtungen:

  • Unter anderem fordern die Autoren, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit 2006 in Kraft ist, sich auch in den Statuten der Bildungseinrichtungen wiederfindet. Konkret heißt es: "Notwendig ist eine klare Verankerung in den Kita-, Schul- und Hochschulgesetzen. Der Schutz sollte beim Zugang zu den Bildungsinstitutionen, während des Besuchs sowie beim Übergang zwischen den verschiedenen Institutionen greifen."
  • Ein Grund für Diskriminierungen in der Schule ist der Studie zufolge, dass das Lehrpersonal immer noch zu homogen ist. So gibt es kaum Pädagogen mit Migrationshintergrund oder Handicap. Die Autoren plädieren deshalb dafür, umfassende Diversity-Strategien für den Bildungsbereich zu entwickeln und umzusetzen.
  • Wer in der Schule, in der Ausbildungsstätte, an der Uni oder am Arbeitsplatz diskriminiert wird, meldet dies oft nicht - aus Scham oder weil keine entsprechende Beschwerdestelle bekannt oder in der jeweiligen Insitution vorhanden ist. Deshalb heißt es in der Studie: "In den unterschiedlichen Bildungsinstitutionen braucht es zum Thema Diskriminierung unabhängige Ansprechpartner/innen, die umfassend bekannt gemacht werden und niedrigschwellig zugänglich sein müssen."
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