Streiks an Schulen:Zwei Klassen im Lehrerzimmer

Schleswig-Holstein sucht online nach Lehrern

Eine der Ungerechtigkeiten im System: Das Prinzip "je kleiner die Kinder, desto kleiner das Gehalt".

(Foto: dapd)
  • Ab Dienstag sind alle Lehrer, die in Deutschland mit Angestelltenverträgen arbeiten, zu Warnstreiks aufgerufen.
  • Die etwa 200 000 angestellten Lehrer, circa ein Fünftel aller Pädagogen, müssen gegenüber ihren verbeamteten Kollegen diverse Nachteile in Kauf nehmen. Unter anderem bekommen sie weniger Gehalt.
  • Der Streikaufruf wirft Fragen auf: Sollten wieder alle Lehrer in Deutschland Beamte sein? Oder besser alle Angestellte?

Von Johann Osel

Auf dem Land werde "ja noch immer der Lehrer als eine gute Partie angesehen, und manche reiche Bauerstochter hegt nur den einzigen Wunsch, Lehrersfrau zu werden. Freilich haben solche keinen Einblick gemacht in die traurigen Verhältnisse einer Lehrersfamilie, wo Not und Elend an der Tagesordnung ist". Das notierte ein böhmischer Pädagoge vor gut hundert Jahren, es hört sich hübsch an: Es stimmt so pauschal aber nicht. Pädagogen hierzulande verdienen passabel - mehr als viele ihrer Kollegen in Europa. Wie Daten der EU-Kommission zeigen, liegen sie mit ihren Gehältern im oberen Mittelfeld.

Allerdings gibt es drei Ungerechtigkeiten im System. Erstens das Schema "je kleiner die Kinder, desto kleiner das Gehalt". Der Abstand zwischen einem Grundschullehrer und einem Gymnasiallehrer gleichen Alters liegt im Jahr bei mehr als 10 000 Euro.

Die zweite Ungerechtigkeit: Für Führungsjobs gibt es nur geringe Aufschläge. Da ist es kein Wunder, dass in einigen Ländern Hunderte Rektorenstellen vakant sind. Dabei kann die Leitung einer Schule heute der Geschäftsführung einer mittelständischen Firma ähneln. Und drittens: Es gibt eine Kluft zwischen den angestellten Lehrern und den Beamten. Im Lehrerzimmer herrscht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Dieses Problem wird in den kommenden Wochen angestellte Lehrer in den Ausstand treiben, durch Warnstreiks könnte mancherorts der Unterricht sogar komplett ausfallen. 200 000 Lehrer bundesweit sind keine Beamten, jeder fünfte. Ihnen fehlen, auch wenn sie an derselben Schule arbeiten, die gleichen Aufgaben und Qualifikationen haben wie ihre Kollegen, Privilegien wie Unkündbarkeit. Vor allem aber verdienen sie nach Berechnungen der Lehrerverbände netto bis zu 500 Euro weniger im Monat. Auf eine Laufbahn hochgerechnet, kann das der Wert einer Eigentumswohnung oder eines kleinen Häuschens sein.

In der aktuellen Tarifrunde fordern die Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst der Länder 5,5 Prozent mehr Geld, auch für Mitarbeiter zum Beispiel beim Küstenschutz, an Uni-Kliniken oder in Landesverwaltungen. Den Pädagogen geht es aber um mehr: Schon seit Jahren kämpft die Bildungsgewerkschaft GEW für eine verlässliche und vor allem höhere Eingruppierung der angestellten Lehrer durch einen bundeseinheitlichen Tarifvertrag. So sollen die Verdienstunterschiede zu Beamten verschwinden.

Kein Schulminister darf sich beklagen

Bei ihrem Amtsantritt 2013 hatte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe die Richtung vorgegeben: "Wir wollen den vordemokratischen Zustand beenden, dass angestellte Lehrkräfte nach Gutsherrenart, nach Diktat der Arbeitgeber bezahlt werden." Den kämpferischen Worten folgt der Arbeitskampf. Nach dem ergebnislosen Ende der zweiten Tarifrunde am Freitag rief insbesondere die GEW zu Warnstreiks auf. Bei früheren Verhandlungen im öffentlichen Dienst hatten sich die Lehrer stets als streikfreudig erwiesen. Ihre Arbeitsniederlegung schafft mehr Aufmerksamkeit als bei vielen anderen Bediensteten, und Familien bekommen das zu spüren.

Nun kann man sagen: Recht haben sie, die angestellten Lehrer. Schließlich sind sie keine Beamten, ihnen steht das Streikrecht zu, es ist einer der wenigen Vorzüge dieses Modells. Beklagen über den Streik darf sich zumindest kein Schulminister: Man hat sich das Problem selbst geschaffen. Zu alt, krank, dick - das sind die üblichen Gründe, warum Pädagogen der Status verwehrt werden kann. Vor allem wegen der Altersgrenze, meist 40 oder 45 Jahre, sind Quereinsteiger in den Beruf oft keine Beamten. Zudem gibt es klassische Angestellte wie oft Praxislehrer an Berufsschulen sowie andere Ausnahmen.

Dauerbrenner der schulpolitischen Debatte

Die meisten Nicht-Beamten haben die neuen Länder und Berlin, weil sie zeitweise oder bis heute grundsätzlich nur noch anstellten. Zuletzt begann aber zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern wieder mit dem Verbeamten - aus Angst vor einem Lehrermangel, da der Nachwuchs lieber im Westen Beamter werden wollte. Derzeit gibt es in dem Bundesland laut einer GEW-Auswertung von Zahlen des Statistischen Bundesamtes fast keine Beamten an Schulen, in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind mehr als 80 Prozent der Lehrer nur angestellt, in den West-Ländern liegt der Anteil zwischen fünf und etwa 30 Prozent.

Die regionalen Unterschiede werden sich diese Woche nicht nur bei den Warnstreiks zeigen, sondern sie sind für einige Länder ein generelles Problem. Allgemein gibt es keinen Lehrermangel in Deutschland, nach Prognosen der Kultusministerkonferenz wird es aber in den nächsten zehn Jahren je nach Land und Fach durchaus zu Engpässen kommen. Manche Bundesländer sind schon jetzt unter Druck, die Absolventen ihrer Hochschulen zu halten. Den Nachwuchs zieht es eben oft in Richtung Beamtenstatus. Und gerade in Mangelfächern aus dem Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) werben der Süden und Westen der Republik sie gezielt ab.

Eine Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm im Auftrag der Telekom-Stiftung zeigt: Allein in Nordrhein-Westfalen wird sich die Zahl der Mint-Lehrer bis 2025 halbieren, weil jeder zweite aktive Pädagoge derzeit 50 Jahre oder älter ist. Im Gegenzug gebe es zu wenige Uni-Absolventen in den Fächern, in zehn Jahren könne zum Beispiel nur ein Drittel des Lehrerbedarfs in Physik gedeckt werden. Die Ergebnisse für NRW, so die Telekom-Stiftung, lassen sich bundesweit übertragen. Der Nachwuchs wird also umworben sein. Nur wie? In einer Allensbach-Umfrage sagten zwei Drittel der Junglehrer, die Verbeamtung sei ihnen wichtig oder sehr wichtig.

Sollten dann wieder alle Lehrer Beamte sein? Oder am besten alle Angestellte? Das ist tatsächlich ein Dauerbrenner der schulpolitischen Debatte. Teils kursiert das Argument, dass es in Deutschland zweierlei Arten von Beamten gibt, konkret ist die Rede von "Kernbereichsbeamten" wie Polizisten und "Randbereichsbeamten" wie Lehrer. Doch die These hinkt: Die Schulpflicht ist in Deutschland - anders als in einigen anderen Ländern - Gesetz. Um sie umzusetzen, muss Verlässlichkeit geboten werden, auch beim Personal. Und wer zum Beispiel Noten an Kinder vergibt, der vollzieht einen sogenannten hoheitlichen Akt, nicht weniger hoheitlich als die Verhaftung durch einen Polizisten. "Randbereichsbeamten", das klingt auch irgendwie nach einem Nebenschauplatz der Gesellschaft, es klingt nach dem berühmten "Gedöns", mit dem der Kanzler Gerhard Schröder weiche Politikfelder herabzustufen pflegte. Eigentlich glaubte man, durch die Pisa-Studie, die Bildung zum gesellschaftlichen Megathema gemacht hat, über solche Annahmen hinweg zu sein.

Mit den Stichworten Karriere und Aufstieg verbinden junge Leute den Beruf gerade nicht

Gerne wird in der Politik betont, dass die Angestelltenverhältnisse Flexibilität erlaubten. Hinter vorgehaltener Hand sagt man auch, die Trägheit, die mit dem Beamtenstatus üblicherweise komme, werde so bekämpft. Spricht man mit angestellten Lehrern, gibt es gelegentlich Tratsch über manchen Beamtenkollegen, der seit Jahrzehnten sein Unterrichtsprogramm aus der Mottenkiste abspule, der ständig krankfeiere - während die Angestellten innovativ und fleißig seien. Die zwei Klassen, sie vergiften auch das Klima in Kollegien.

Aber Flexibilität durch die angestellten Lehrer meint in Wahrheit die Flexibilität des Finanzministers. Die Länder nutzen die Angestelltenverhältnisse ja nicht dazu, um den Lehrerberuf moderner zu machen, sondern um Geld zu sparen - insbesondere, um die Pensionslasten klein zu halten. Ginge es wirklich um Verbesserungen, müsste der Staat Leistungskomponenten ins System einziehen.

Das freilich könnte man auch im Beamtensystem tun - durch Anreize, durch Zulagen. Bisher gibt es die fast nur für Rektoren und einige Leitungsaufgaben. Wer jedes Jahr ein sprachliches Fach in der Oberstufe gibt und Dutzende Klausuren vom Umfang einer Seminararbeit korrigiert, wer mit neuen Ideen den Schulalltag verbessert, wer noch in seiner Freizeit mit der Schultheatergruppe übt, der könnte dafür sehr wohl vergütet werden.

Denn Umfragen unter Abiturienten zeigen, dass junge Leute den Lehrerberuf nicht mit den Stichworten Karriere und Aufstieg verbinden, gerade bei Schulabgängern mit sehr guten und guten Noten und bei denen, die sich selbst Durchsetzungsfähigkeit und Selbstvertrauen attestieren, ist dies so. Der Beruf genießt beim Nachwuchs eher das Image des Drögen, unabhängig vom Status. Aber auch das des schlechten Gehalts.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: