Stipendien für Studierende:Stiften gehen für die Bildung

Nur jeder 50. Student kann sein Budget mit einem Stipendium aufbessern - auch das groß angekündigte Deutschland-Stipendium hat die Quote kaum verbessert. Die Angebote fehlen - doch auch die Hochschulen machen Fehler.

Werner Müller-Esterl

Es hätte so schön sein können. Mit dem Deutschland-Stipendium wollte der Bund endlich den Einstieg schaffen in eine neue Stipendienkultur. Denn verglichen mit anderen Ländern herrscht in Deutschland Stipendien-Dürre. Ausgerechnet die Bundesrepublik, deren wichtigste Ressource die Bildung ist, versäumt es, begabte Studenten angemessen zu fördern. Einer Allensbach-Umfrage zufolge erhalten 87 Prozent der Studenten Geld von ihren Eltern, 65 Prozent jobben, 29 Prozent erhalten Bafög. Nur zwei Prozent können ihr Budget durch ein Stipendium aufbessern. Nicht, weil 98 Prozent der Studenten dumm oder faul sind - sondern weil entsprechende Angebote fehlen.

Das Deutschland-Stipendium verhieß hier Abhilfe. Die Förderquote sollte in den kommenden Jahren bis auf fast acht Prozent aller Studierenden anwachsen - ein ehrgeiziges Ziel. Und zugleich ein grundlegender Systemwandel: Denn Stipendien werden bislang hauptsächlich von staatlichen und privaten Stiftungen, Kirchen und Parteien vergeben, aber nur in Ausnahmefällen durch die Universitäten selbst, außer in Nordrhein-Westfalen. Dank der Reformpolitik des ehemaligen Wissenschaftsministers Andreas Pinkwart zählt das Land seit 2009 bundesweit zu den Vorreitern beim Aufbau einer universitären Stipendienkultur.

Auf Bundesebene blieb der Einstieg ins neue System allerdings zunächst einmal bescheiden: 2011 gelang es nicht einmal, die vergleichsweise geringe Anfangszahl von 10 000 Stipendien zu vergeben. Nur 5300 Förderungen wurden von den Hochschulen abgerufen. "Teure Verpackung, wenig Inhalt", konstatierte der Spiegel damals nüchtern.

Kritiker halten die Initiative bereits für einen Flop. Sie vermuten, dass sich für die knapp 22.000 Stipendien, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung in diesem Jahr bereitstellen will, erst recht nicht genügend Abnehmer finden werden. Ist damit der Einstieg in ein universitäres Stipendienprogramm schon gescheitert, bevor es richtig begonnen hat? Keinesfalls!

Es mag naheliegend sein, die Schuld für den mauen Programmauftakt der Politik in die Schuhe zu schieben. Aber Mitverantwortung tragen auch die Hochschulen selbst. Da an vielen Orten die Infrastruktur zum Spendensammeln nicht aufgebaut wurde oder die regionalen Rahmenbedingungen nicht so günstig sind wie in München, Aachen oder Hamburg, haben die Hochschulen im ersten Jahr mehr als acht Millionen Euro an möglichen Förderungen liegen lassen. 4700 Studierende, die eine Förderung von 3600 Euro pro Jahr und Person hätten gut gebrauchen können, gingen deshalb leer aus.

Dass der Aufbau einer universitären Stipendienkultur nur schleppend gelingt, liegt jedoch auch an der Konstruktion des Deutschland-Stipendiums. Das Geld fließt nämlich nur zur Hälfte von staatlicher Seite. Um die Hälfte der Fördersumme müssen sich die Hochschulen selbst kümmern und dafür bei Bürgern und Unternehmen in ihrem Umfeld anklopfen. Und da tut sich eine hohe Hürde auf: Wie auf potenzielle Geldgeber und Bürger zugehen, sie zu Freunden und Förderern machen? Wie die Beziehung zu ihnen auf eine dauerhafte Basis stellen? Eine echte Herausforderung!

Denn oft wissen Bürger gar nicht, weshalb sie ihrer Hochschule überhaupt etwas zurückgeben sollen. Zahlen sie nicht schon genug Steuern? Engagieren sie sich nicht schon an anderer Stelle finanziell? Warum dann ausgerechnet für die heimische Hochschule? In solchen Fragen äußert sich eine Distanz, die spätestens dann zum Problem wird, wenn eine Hochschule ihr Umfeld mobilisieren muss - wie jetzt beim Deutschland-Stipendium: Die Universität, einst im Zentrum des bürgerlichen Selbst- und Bildungsverständnisses, ist den Bürgern fremd geworden.

Die Studenten geben etwas zurück

Dabei kann einer Stadt auch heute nichts Besseres passieren, als mit einer lebendigen Universität junge Menschen aus anderen Regionen Deutschlands und der Welt anzuziehen und, noch besser, mit attraktiven Jobs dauerhaft zu binden. Die Hochschulen gehören oft zu den wenigen Einrichtungen einer Stadt, die eine solche Sogwirkung entfalten können. Das Deutschland-Stipendium bietet die Chance, begabte, sozial engagierte junge Menschen in eine Stadt zu locken und ihnen eine Perspektive zu geben. Schon aus Eigeninteresse sollten daher die Bürger auf die Hochschule in ihrer Stadt setzen.

Das Deutschland-Stipendium bietet darüber hinaus den Hochschulen die Chance, ihr Fundraising neu zu positionieren, wie es die Frankfurter Goethe-Universität seit ihrer Umwandlung in eine autonome Stiftungsuniversität im Jahr 2008 getan hat. Schon im ersten Jahr ihrer Kampagne hat die Goethe-Universität zahlreiche Unterstützer gewonnen. In der Mehrzahl sind die Geber keine Unternehmen, sondern Bürgerinnen und Bürger, durchaus auch aus der Mittelschicht. Und wer weiß, ob nicht diejenigen, die heute aus privaten Mitteln 1800 Euro für ein Jahr Deutschland-Stipendium spenden, nicht morgen schon 10.000 oder gar 100.000 Euro geben? Dazu bedarf es allerdings einer hohen Bindung an die Universität, die sorgsam gepflegt sein will.

Damit es nicht nur beim Geben bleibt, sind Förderer in Frankfurt in ein ideelles Begleitprogramm eingebunden. Sie sind nun Mentoren. Und auch die Stipendiaten geben der Stadt etwas zurück: Jede der aus etwa 15 Studierenden bestehenden Gruppen sucht sich ein Projekt, das sie während der Zeit ihrer Förderung mit Leben erfüllt. Einzige Bedingung: Es muss der Stadt Frankfurt zugutekommen. Studierende engagieren sich als Bürger und helfen, die Stadt lebens- und liebenswerter zu machen. Das Engagement für das Deutschland-Stipendium fließt so wieder zurück in die Stadt.

Studierende kommen als Kundschafter und gehen als Botschafter. Es liegt nicht nur am Staat, sondern an jeder einzelnen Hochschule, ob es in den nächsten Jahren gelingt, die nötigen Mittel für bis zu 175.000 Stipendiaten zu mobilisieren. Im Erfolgsfall würde das die Stipendienkultur in unserem Land verändern. Denn Universitäten, die ihren Studierenden nicht nur eine Matrikelnummer verpassen, sondern sie mit Förderung und Begleitprogramm willkommen heißen, werden im Werben um die Besseren und Besten die Nase vorn haben. Sie werden Menschen gewinnen, die sich zu ihrer Universität, ihrer Stadt und ihrem Land bekennen. Und nebenbei eine neue Stipendienkultur begründen.

Der Biochemiker Werner Müller-Esterl, 63, ist Präsident der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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