Soziales Engagement von Studenten:Bachelor mit Herz

Deutschland laufen die Ehrenamtlichen davon. Immer mehr Hochschulen definieren daher gesellschaftliches Engagement als Teil ihres Bildungsauftrags. Sie spornen so ihre Studenten zu Wohltaten an - mitunter gibt es auch Gegenleistungen.

Von Johann Osel

Bachelor Ehrenamt

"Es fühlt sich einfach gut an, etwas Gutes zu tun." Die Augsburger Studentin Constanze Jochemko übt ein Ehrenamt aus, als Verkäuferin für Bedürftige.

(Foto: Johannes Simon)

Allzu große Hoffnungen auf einen Tannenbaum aus Plastik möchte Constanze Jochemko der älteren Dame nicht machen. "Schauen Sie doch mal in der Weihnachtsabteilung, vielleicht haben Sie noch Glück", sagt die Studentin. Die Kundin macht sich daraufhin auf den Weg, einmal quer durch die etwas dämmerigen Gänge des Augsburger Sozialkaufes, ein Alles-im-Angebot-Laden mit reichlich Lagerhallencharme. Es geht vorbei an Regalmetern von gebrauchten Schuhen und Jacken, auf den meisten Etiketten stehen Preise deutlich unter zehn Euro, entlang an Türmen von Kissen, Bettbezügen, Kinderspielen, an Reihen mit Krimskrams, Geschirr und Vasen, teils schick, teils unfassbar hässlich. Dann kommt noch die Bücherstraße, wo sich Hochgeistiges etwa von Adalbert Stifter nebst weniger fordernder Lektüre von Hera Lind findet, 2,50 Euro kosten hier die Werke - pro Kilogramm. Über Fahrräder und Möbel führt der letzte Abschnitt auf dem Weg zur Weihnachtsabteilung. Und dort heißt es dann erst einmal: wühlen und stöbern.

Bedürftige, Arbeitslose und Kleinrentner kaufen hier im Augsburger Sozialkaufhaus überwiegend ein, oder Studenten, wenn zum Beispiel in Wohngemeinschaften ein günstiges Sofa fehlt. "Manchmal natürlich auch Sparfüchse, die draußen breit ihren Mercedes parken", erzählt Constanze Jochemko. Die 19-Jährige arbeitet hier ehrenamtlich, sortiert Ware, verkauft, berät. Wie im Falle der Dame mit dem Plastikbaum. Diese ist tatsächlich fündig geworden in der Abteilung, wo silberne Engel mit Kindchenschnute stehen und Porzellanbärchen mit Weihnachtsmütze. "Dufte, drei Euro. Und wie man den biegen kann", ruft sie, strahlt übers ganze Gesicht, führt die Biegsamkeit prompt vor und eilt zur Kasse. "Viel Spaß damit", ruft Jochemko ihr noch hinterher. Und strahlt ebenfalls.

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

Schon früher als Schülerin habe sie sich gern engagiert, in der kirchlichen Jugendarbeit, sagt die zierliche Studentin der Erziehungswissenschaften: "Man sieht ja im Alltag nicht immer, wie die Gesellschaft aussieht. Und man sollte ihr auch etwas zurückgeben." Und dennoch ist das Engagement der jungen Frau durch das Engagement ihrer Universität entstanden. Einige Dutzend Hochschulen haben mittlerweile Ehrenamtsprojekte aufgelegt. Sie definieren den Einsatz für die Gesellschaft offiziell als Teil ihres Bildungsauftrags - und spornen die Studenten so dazu an, sich einzubringen. "Bildung durch Verantwortung" heißt das Augsburger Programm.

Die Studenten engagieren sich sozusagen auf dem Ticket ihrer Hochschule, manchmal für ein paar Schnuppertage, teils länger wie im Fall Jochemkos, mitunter auch studienbegleitend in "Service-Learning-Seminaren". Hier wird der Einsatz für das Allgemeinwohl sogar mit Leistungspunkten benotet - im Bereich "Schlüsselqualifikationen", der in Bachelor-Studiengängen meist vorgesehen ist. Das Helfen zahlt sich also für manche Studenten in barer Münze aus, in der Währung "Credit Points", mit denen Leistungen in Bachelor-Studiengängen gemessen werden.

Ehrenamt bietet überfachliche Kompetenzen

Denn Deutschland drohen die Ehrenamtlichen wegzulaufen. Zwar zeigen die Freiwilligenberichte im Auftrag der Bundesregierung, dass die Zahl der Engagierten stabil ist, 36 Prozent der Bürger üben freiwillige Tätigkeiten für die Zivilgesellschaft aus. Allerdings machen einen großen Teil die Vereinsmitgliedschaften aus - feste Bindungen an einem festen Ort und zuweilen sogar auf Lebenszeit, wie sie in der jüngeren Generation immer weniger gefragt sind.

Gestiegene Anforderungen in Ausbildung und Beruf

So sinkt laut dem Bericht bei jungen Menschen, trotz grundsätzlicher Bereitschaft, die Engagementquote. Die Autoren verweisen auf die gestiegenen Anforderungen in Ausbildung und Beruf, die "einem höheren Engagement entgegenstehen". Gemeint ist auch das Studium in Zeiten der Bologna-Reform. In den straff organisierten sechs Semestern eines Bachelor kann man sich den Blick über den Tellerrand kaum leisten. Wegen studienbegleitender Prüfungen zählt jeder Schnitzer für den Abschluss. Das schmälert den Willen zum Engagement. Für viele Initiativen ist das ein Problem: Soziale Projekte etwa, Vereine oder Gruppen wie Uni-Radios.

Diesem Trend wollen die Universitäten entgegenwirken: Studenten in Halle geben Nachhilfe in sozialen Brennpunkten oder helfen den Tierschutzverband in der Verwaltung; Mannheimer Hochschüler bieten in Schulen Bewerbungstrainings oder erstellen Marketingkonzepte für soziale Einrichtungen; und in Augsburg helfen junge Leute bei der Betreuung von Flüchtlingskinder, erforschen die Geschichte der Stadt als Wehrmachtsstandort, oder helfen eben in Einrichtungen wie dem Sozialkaufhaus.

Hochschulen müssen in Interaktion mit der Gesellschaft und der Region treten, sagt Thomas Sporer, der die Augsburger Projekte koordiniert. Er spricht von einer "dritten Mission der Hochschulen, neben Forschung und Lehre". Beide Seiten sollen etwas davon haben: Gemeinnützige Einrichtungen sollen profitieren, aber auch die Studenten selbst. Sie sollen sich, wie es heißt, "durch ihr gesellschaftliches Engagement überfachliche Kompetenzen aneignen". Oder flapsig formuliert: sie sollen keine Fachidioten werden.

Ein Fall von Lebenslaufoptimierung?

Aber handelt es sich überhaupt noch um Freiwilligkeit, wenn es auf Initiative der Hochschule oder im Rahmen des Studiums stattfindet? Und betrachtet die Bachelor-Generation ihre Wohltaten, die durch Bestätigungen zertifiziert werden, nicht eher als Lebenslaufoptimierung - oder im Falle von Engagement-Seminaren als billige Möglichkeit, Credit-Points für den Bachelor abzustauben? Sporer winkt da ab. Klar, sagt er, schwarze Schafe gebe es immer und überall. Aber einerseits sei es "vollkommen legitim", bei Arbeitgebern mit dem Pfund des Ehrenamts zu wuchern. Andererseits bedeute der Einsatz für die Gesellschaft viel Aufwand - diejenigen, die nur auf die Gegenleistung spechten und denen die edlen Motive egal sind, würden da durchaus schnell wieder abspringen.

Motivation steigt mit der Aufgabe

"Ja, es gibt Ausreißer, die erst mal wegen der Punkte da sind und die Zeit absitzen. Aber bei vielen steigt mit der Aufgabe die Motivation", berichtet Ina Ertner. Die 24-Jährige ist gerade in den letzten Zügen ihrer Abschlussarbeit - Fach Medien und Kommunikation - und arbeitet bereits in einer Werbeagentur.

Ihr Engagement-Begleitstudium war ein studentisches Projekt: die Redaktionsleitung beim Uni-Radio sowie der Vereinsvorsitz, wozu auch dröger Verwaltungskram gehört. Sie sieht diese Aufgabe sehr wohl als gesellschaftliches Engagement, auch wenn es sich nicht um eine rein karitative Sache handelt. Denn das gemeinnützige Radio komme der Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit nach und schaffe eine Art sozialen Kitt auf dem Campus. In der Praxis galt es, Sendungen auf die Beine zu stellen und das Radio zu managen, im begleitenden Seminar musste Ertner etwa Projektberichte verfassen. "Man bringt sich selbst was bei, das geht weit weg vom klassischen Verständnis von Lehre", sagt sie. "Natürlich ist das auch ein Investment in die eigene Persönlichkeit. Aber ich habe das nicht in erster Linie für den Lebenslauf gemacht."

Befristetes "bürgerschaftliches" Engagement

Das alles passt gut zu der These, die unter anderem Forscher des Zentrums für Non-Profit-Management an der Uni Münster entwickelt haben. Sie sprechen von einem Wandel - weg vom klassischen Ehrenamt, hin zu befristetem "bürgerschaftlichen Engagement". Meist üblich ist demnach heutzutage ein "neuer Engagement-Typ", die "solidarischen Individualisten". Deren Motivation sei nicht mehr nur am Allgemeinwohl orientiert, sondern im gleichen Maß an Selbstverwirklichung und der Optimierung von Karrierechancen.

Constanze Jochemko bekommt zwar keine Leistungspunkte, dafür aber tolle Erfahrung, wie sie sagt - schließlich sei in ihrem Studiengang kein Praxissemester vorgesehen. Wenn sie Zeit hat, kann sie flexibel mitarbeiten, auch mal nur kurz während einer Freistunde - "die brauchen hier eigentlich immer eine helfende Hand". Ohne Flexibilität ginge es kaum, denn eine Vorlesung für das Sozialkaufhaus will die Erstsemesterin nicht sausen lassen. Jochemko sitzt nun im kleinen Café des Sozialkaufhauses und erzählt von ihrem Job. Der ähnelt fast dem eines Sozialarbeiters.

So sortiert sie nicht nur Spenden, die zum Verkauf geliefert werden, oder kleidet schon mal ganze Familien mit Second-Hand-Ware ein - sondern sie hört viel zu, lässt Probleme bei sich abladen, nimmt Menschen die Einsamkeit. "Manche Kunden sind hauptsächlich hier, um unter Leute zu kommen, sich zu unterhalten, weil zu Hause niemand auf sie wartet." Jochemko freut sich über die Chance, sich auf diese Art weiterzubilden, auch über das Zeugnis, das man ihr dafür ausstellen wird. Der Hauptgrund für ihren Einsatz sei aber: "Es fühlt sich einfach gut an, etwas Gutes zu tun."

Kontinuierliches Wachstum von Service-Learning

"Die deutschen Hochschulen sind auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft", heißt es beim Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der den Service-Learning-Gedanken mit vorantreibt. Die Kombination aus Studium und Ehrenamt sei in den USA schon etabliert. Holger Backhaus-Maul, Soziologe an der Universität Halle-Wittenberg, arbeitet gerade an einer Studie zum Thema. Dazu befragt er bundesweit Hochschulchefs; erste Ergebnisse zeigen, dass bereits zehn Prozent ihre soziale Ader entdeckt haben. Bei anderen herrsche teils große Aufgeschlossenheit, bei den Skeptikern fehle es oft nur am Wissen, so Backhaus-Maul. Zu erwarten sei "ein zartes, aber kontinuierliches Wachstum" von Standorten, die Service-Learning anbieten. Auch aus Eigennutz: Die Bologna-Reform habe die Experimentierfreude in der Lehre eingeschränkt - durch die Öffnung der Hörsäle in Richtung Gesellschaft böten sich wieder neue Spielräume.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: