Sinologe Manuel Vermeer:"Es reicht nicht, Asien cool zu finden"

An der Hochschule Ludwigshafen am Rhein kann man BWL mit dem Schwerpunkt Ostasien studieren. Harte Arbeit, doch es winken gute Berufschancen.

Interview von Ingrid Brunner

SZ: Sie haben in den Achtzigerjahren in China studiert und das Land bereist. Was hat sich verändert?

Manuel Vermeer: Es ist der Staatskapitalismus. China hat es in 30 Jahren geschafft, weltweit die Wirtschaftsmacht Nummer zwei zu werden. Selbst den Chinesen, die nicht reich geworden sind, geht es im Durchschnitt heute besser als damals - das sollten wir bei aller berechtigter Kritik bedenken.

Was denken Sie: Wer weiß mehr über den jeweils anderen, die Chinesen über die Deutschen - oder umgekehrt?

Ganz klar die Chinesen über die Deutschen! Sie informieren sich sorgfältig über Personen, deren Position im Unternehmen, über die Firmen und wie diese organisiert sind. Sie sind sehr gut vorbereitet.

Man kennt in China folglich auch Sie. Führt man eine Akte über Sie?

Nun, auf jeden Fall wissen die Chinesen, dass ich seit 35 Jahren in China unterwegs

bin. Natürlich wurden wir alle überwacht. Ich wüsste gern, wer damals wirklich Freund und wer Feind war.

Welches ist das größte interkulturelle Missverständnis zwischen Deutschen und Chinesen?

Missverständnisse sehe ich nicht, ich sehe auf beiden Seiten Überheblichkeit. Viele Deutsche bereiten sich wenig vor, weil sie die Unterschiede unterschätzen. Man glaubt, man wisse schon sehr viel vom anderen. Das ist ein Fehler, die Kulturunterschiede werden unterschätzt. Ein Klassiker wäre zum Beispiel, dass man chinesische Privatfirmen für Privatfirmen hält. Sprich: Man unterschätzt die Komplexität chinesischer Entscheidungswege und den Einfluss der Politik.

Sonnenaufgang in Shanghai

Frühsport in der Stadt: Chinesen beim Tai-Chi vor der Skyline von Shanghai.

(Foto: Ole Spata/dpa)

Sie waren unter anderem Dolmetscher für Lothar Späth und Helmut Kohl. Worin bestand die größte Herausforderung?

Viele Politiker glauben, sich nicht vorbereiten zu müssen. Einige sehen die Notwendigkeit überhaupt nicht. Eine positive Ausnahme war da die Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke. Frau Lemke hat sich von mir vorbereiten lassen, für sie hat sich das ausgezahlt. Die üblichen Fettnäpfchen wurden vermieden. Sie sehen ja am Beispiel Flughafen Hahn, was passiert, wenn man unerfahrene Politiker mit Chinesen verhandeln lässt.

Nun hat ja nach den vorangegangenen Pannen beim Verkauf des Flughafens Frankfurt Hahn doch noch ein chinesischer Investor den Zuschlag erhalten. Ist dieser Käufer seriös?

HNA, so heißt der chinesische Konzern, ist ein sehr seriöser Investor. Aber auch HNA steht unter staatlichem Einfluss, alle Investitionsentscheidungen sind somit auch politisch motiviert. Das wird hier oft vergessen, wenn man den Investor als "privat" bezeichnet.

Warum ist es so wichtig, dass deutsche Studenten nach China gehen?

Weil man nur in China lernt, die Chinesen zu verstehen und Ängste abzubauen. Im Ausland lernt man auch, sein eigenes Land mit anderen Augen zu sehen und Hindernisse zu überwinden. Ich rate meinen Studenten: Geht raus, geht in eine kleinere Stadt - das sind dann immer noch drei, vier Millionen Einwohner -, man lernt dort viel mehr als in den Metropolen Shanghai oder Peking.

Manuel Vermeer

Nur in China lernt man, die Chinesen zu verstehen, sagt Manuel Vermeer. Er berät Unternehmen im China-Geschäft und bereitet an der Hochschule Mannheim Studenten auf eine Karriere in Asien vor.

(Foto: Privat)

Sie lehren an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein am Ostasieninstitut. Dort können Studenten BWL mit dem Schwerpunkt Ostasien studieren, ein Studiengang, den Sie mit aufgebaut haben. Wie funktioniert das?

Seit 1988 gibt es die Möglichkeit, BWL entweder mit der chinesischen, der japanischen oder neuerdings auch der koreanischen Sprache und Kultur zu kombinieren. Das Ostasieninstitut hat Partnerhochschulen in den drei Ländern. Alle Teilnehmer des Studiengangs müssen nach dem vierten Semester an einer dieser Hochschulen eine einjährige intensive Sprachausbildung machen, bevor sie ihr Studium mit dem siebten und achten Semester in Ludwigshafen abschließen können.

Müssen diese Studenten sprachbegabt und zugleich Zahlenmenschen sein?

Sie sollten schon überdurchschnittlich motiviert sein; nur mit Fleiß schafft man diese Doppelbelastung. Es reicht nicht, Asien cool zu finden; das ist harte Arbeit, die dafür aber sehr gute Berufschancen eröffnet. Zu den etwa 25 Semesterwochenstunden kommen noch einmal so viele Stunden an Vor- und Nachbereitung.

Werden die Mühen belohnt?

Die mittlerweile etwa 500 bis 600 Absolventen der FH Ludwigshafen waren sehr gut vermittelbar, das Gros arbeitet in Asien, in verantwortungsvoller Position.

Bedeutet das auch, dass diese Ostasienspezialisten gut verdienen?

Das kann man nicht allgemeingültig beantworten; aber als Lehrer freut man sich, wenn die Studenten einmal mehr verdienen als man selbst Und viele machen schnell Karriere, gerade in Asien.

Ist das Einsatzgebiet dieser Experten lebenslang das Land, für das man sich im Studium entschieden hat?

Nein, das will fast niemand. Aber manche Experten leben schon seit 20 Jahren in Asien, andere nur wenige Jahre und übernehmen dann im Mutterhaus in der Bundesrepublik Verantwortung. Oder auch in den USA oder Australien, die Experten sind weltweit einsetzbar.

Würden Sie angesichts der aktuellen politischen Lage auf der koreanischen Halbinsel Ihren Studenten vom Schwerpunkt Korea abraten?

Nein, wir sind der Ansicht, dass der Markt weiterhin sehr spannend ist. Wir brauchen ausgewiesene Experten - gerade in kritischen Zeiten brauchen wir sie, falls das System implodiert. Und sollte es zu einer Wiedervereinigung kommen, benötigt man erst recht Korea-Spezialisten. Auch die Wirtschaft sagt, wir brauchen Korea-Experten.

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