Schulpolitik:Die Bildungsweisen

Die Wirtschaft hat einen Sachverständigenrat, die Wissenschaft auch - nun soll das Schulsystem einen bekommen. Warum das eine gute Idee ist.

Von Jan-Martin Wiarda

Die Stimmung war super. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) bescheinigte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vor laufenden Kameras eine "offene und beinahe herzliche Diskussionsatmosphäre". Das ist so ziemlich das höchste Lob, was von dem nicht zu Gefühlsausbrüchen neigenden Hanseaten zu erwarten ist. Der Norddeutsche Helmut Holter, Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK), sagt mit Verweis auf den Tagungsort, das Evangelische Augustinerkloster zu Erfurt: "Wir haben unter einem guten Stern gestanden." Und Karliczek? Die neue Bildungsministerin teilte mit, ihr Treffen mit den Kultusministern am Freitagmorgen habe "wirklich Spaß gemacht".

Vielleicht hilft das Hochgefühl beim nächsten Mal auch, den Stillstand bei den Verhandlungen zum Nationalen Bildungsrat zu überwinden. Das Gremium soll laut Groko-Vertrag auf Grundlage von Forschungsergebnissen Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen und so helfen, sich über "die zukünftigen Ziele und Entwicklungen" zu verständigen.

Doch die Vorstellungen, wie der Rat konkret aussehen soll, gehen auch nach dem Treffen auseinander. Karliczek will in dem Gremium für den Bund so viele Stimmen wie Länder und Kommunen zusammen. Die Länder wiederum verlangen ein grundsätzliches Vetorecht. Allmählich stellt sich der Eindruck ein, Bund und Länder wollen über alles reden, was den Bildungsrat betrifft - nur nicht über Inhalte. "Inhalte sollten vor Strukturfragen gehen", forderte Jörg Dräger, Ex-Wissenschaftssenator in Hamburg und Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, am Donnerstag hier in der SZ. Die Überschrift seines Artikels: "Gerechtere Schulen - für alle".

Die Kultusminister könnten sich bei strittigen Fragen die Deutungshoheit zurückholen

Aber es sind auch diese überbordenden Heilsfantasien früherer Bildungspolitiker oder Bildungsforscher, die die Kultusminister in Wagenburgstellung gehen lassen. Sie haben die Sorge, der Bund könnte sie mit dem Bildungsrat und der öffentlichen Wirkung, die dieser womöglich erzielt, vor sich hertreiben. Karliczek hat das erkannt und bemühte sich am Freitag, die Erwartungen zu dämpfen. Die föderale Struktur sei "sehr wertvoll", sagte sie, und "das, was uns in diesem Land so weit gebracht hat".

Tatsächlich wäre es falsch, das neue Gremium mit Erwartungen zu überfrachten, positiv wie negativ. Der Rat wird nicht die große Bildungsrevolution bringen. Er wird aber auch nicht die Kulturhoheit der Länder unterminieren, weil er ohnehin nur Empfehlungen geben kann. Die Kultusminister können getrost mit dem Bremsen aufhören. Gerade ihnen - Stichwort: öffentliche Meinung - könnte der Bildungsrat sogar den Rücken stärken.

Das Hin und Her zwischen G 8 und G 9 - erst Verkürzung, dann Verlängerung der Gymnasialzeit in vielen Ländern - ist auch so zu erklären, dass den zuständigen Ministern oft das politische Standing fehlt. Da verkündete etwa der damalige bayerische Ministerpräsident Seehofer die Rückkehr zu G 9, unabhängig davon, was sein Minister dachte oder was die meisten Bildungsexperten rieten. Wäre Seehofer auch dann so vorgeprescht, wenn zuvor Bund, Länder, Bildungsforschung und weitere einflussreiche Persönlichkeiten in einem Bildungsrat eine gemeinsame Haltung zu der Frage beschlossen hätten?

Auch die Deutungshoheit über aktuelle Bildungsprobleme könnten sich die Kultusminister über den Rat zurückholen. Beispiel Bertelsmann-Stiftung: Ständig veröffentlicht sie neue Studien zu Kitaqualität, Ganztagsschulen oder Lehrermangel. Und liefert selbstverständlich die Interpretation gleich öffentlichkeitswirksam mit. Ein Bildungsrat könnte selbst die nötigen Analysen in Auftrag geben. Und dann, anders als die zwangsläufig parteiisch erscheinende KMK, von allen Seiten respektierte Schlussfolgerungen ableiten. Das wiederum könnte den Ministern helfen, selbst unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Ein Eindruck, betont Baden-Württembergs CDU-Kultusministerin Susanne Eisenmann, dürfe sich aber nicht festsetzen: "Dass die Länder in ihrer Hilflosigkeit bislang nichts gemacht hätten und bildungspolitisch erst in Bewegung kommen, wenn der Bund einsteigt. Das wäre absurd angesichts von 100 Milliarden Euro, die wir jedes Jahr für Bildung ausgeben." Wie will man solche Befürchtungen überwinden? Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll das jetzt versuchen.

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