Schule:Zwei Lehrerinnen, zwölf Schüler und ein paar Schafe

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Cosima Blassmann, Lehrerin an der Stohrenschule (Foto: Kostas Maros)

Cosima Blassmann unterrichtet an einer der letzten Zwergschulen Deutschlands, auf dem Stohren im Schwarzwald. Ein Besuch.

Von Barbara Vorsamer

Wäre die Geschichte von Cosima Blassmann ein Film mit dem Titel "Die Bergschullehrerin" - der Plot wäre sogar für den Sonntagabend im ZDF dick aufgetragen. Seit fünf Jahren unterrichtet sie in 1000 Meter Höhe an der Stohrenschule, einer der letzten Zwergschulen Deutschlands. Sie war hier selbst Schülerin. Zum Klassenzimmer musste sie nur in Hausschuhen die Treppe hinunterlaufen, denn damals waren ihre Eltern die Lehrer auf dem Stohren im Schwarzwald.

So kurz sind die Wege der Schüler heute nicht. Maira und Rebecca laufen jeden Tag eine Stunde zu Fuß vom Ortsteil Hofsgrund hierher. Das ist immer noch kürzer als die Fahrt ins Tal, wo die nächste Schule wäre. "Wenn Schnee liegt, sind wir schneller, da nehmen wir den Poporutscher", erzählen die Zweitklässlerinnen.

Die Höfe hier oben auf dem Berg sind dann von der Außenwelt fast abgeschnitten, ein Schulbus würde die steile Straße nicht schaffen. Derzeit lernen acht Mädchen und vier Buben zwischen sechs und elf Jahren gemeinsam in Cosima Blassmanns Klassenzimmer.

Gerade unterrichtet sie Mathematik, sie wirft einen roten Schaumstoffwürfel: "Welche Zahl fehlt noch zur Zehn?" Sophie fängt den Würfel, er zeigt zwei Augen. Die Erstklässlerin überlegt. Und überlegt. Die Älteren werden schon unruhig. "Lasst sie nachdenken, sie schafft das", hält Blassmann die Kinder zurück. "Acht", freut sich Sophie.

Große Leistungsunterschiede in einer Klasse finden die meisten Lehrer schwierig. Blassmann auch. Im Referendariat hat sie an einer Werkrealschule gearbeitet, 28 Schüler, sieben Nationen, viele unterschiedliche Bedürfnisse: "Da habe ich nicht gewusst, wie ich allen gerecht werden soll." Jetzt bringt sie den einen gerade die ersten Buchstaben bei, die anderen stehen kurz vor dem Übertritt. Doch bei nur zwölf Schülern ist das mit dem unterschiedlichen Leistungsniveau gar kein Problem, findet die Lehrerin. Im Laufe der Mathestunde setzt sie sich ein paar Minuten neben jeden Schüler, so merkt sie sofort, ob ein Kind alles verstanden hat oder nur so tut: "Ein Kind aus den Augen zu verlieren, kann uns hier oben nicht passieren."

Um so unterrichten zu können, steigt die 36-Jährige, die seit ihrem Abitur in Freiburg lebt, jeden Morgen um kurz nach sieben ins Auto. Sie hat sich extra eins mit Allradantrieb zugelegt, damit sie auch bei Schnee auf den Berg kommt. Die Stohrenschule von ihren Eltern zu übernehmen sei nie geplant gewesen, beteuert sie. Erst als sich abzeichnete, dass sie genau zu deren Pensionseintritt ihr Referendariat beenden würde, habe sie nach der Stelle gefragt.

Die Schule bedeutet Cosima Blassmann viel. Sie ist ihr Elternhaus, hier feierte sie ihre Hochzeit. Sie liebt die sanften Wiesen, das grandiose Panorama. Noch wichtiger ist ihr aber das Miteinander. Die Schüler kommen so zügig durch den Stoff, dass trotz Unterrichtsende um halb eins viel Zeit für andere Dinge bleibt. Jedes Kind hat ein Beet im Schulgarten. Es gibt Schulschafe, deren Wolle die Schüler filzen. Und alle lernen das altertümliche Saiteninstrument Psalter, eine Urform von Zither und Harfe. Über einer Tür hängen fünf Holzigel, einen davon hat Cosima Blassmann selbst als Schulkind gebastelt: "Die Igel symbolisieren, dass wir wehrhaft sind."

Dass die Stohrenschule bald schließe, hieß es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder - Zwergschulen sind teuer. Im Moment sieht es aber nicht danach aus. Zum Abschluss übt die Klasse ein Psalterstück. Alle Kinder haben ihre Stimme drauf, nur beim Zusammenspielen hakt es noch. "Hört aufeinander, damit nicht einer schneller wird als die anderen", sagt Cosima Blassmann.

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