Schule:Welches Gymnasium hätten's denn gern?

Abitur

Das Gymnasium bleibt der direkteste Weg zum Abitur.

(Foto: Tobias Kleinschmidt/dpa)

Die Reform in Bayern weckt unterschiedliche Hoffnungen. Ein Blick nach Norden zeigt aber: Die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren ist nicht einfach.

Von Susanne Klein und Paul Munzinger

Was Bayern jetzt bevorsteht, hat in Niedersachsen bereits begonnen: der Umbau des Gymnasiums vom G 8 zum G 9. Niedersachsen kehrte 2015 zum Abitur nach neun Jahren zurück. Die rot-grüne Landesregierung ging damit auf die nicht enden wollenden Proteste von Eltern und Lehrern ein. Bislang verlaufe die Rückkehr "sehr geräuschlos", heißt es aus der Kultusbehörde. Schüler und Eltern seien froh, dass der Stress nachgelassen habe. Wie erfolgreich die Reform wirklich ist, wird sich aber erst in ein paar Jahren zeigen, wenn die ersten Jahrgänge aufs Abitur zugehen.

Es gibt Ähnlichkeiten zwischen dem neuen G 9 in Bayern und Niedersachsen. So sinkt in beiden Ländern die Zahl der Unterrichtsstunden pro Woche je nach Jahrgang von 34 auf bis zu 30. Inhaltlich bestehen jedoch große Unterschiede. Während etwa die zweite Fremdsprache in Bayern weiter in Klasse sechs beginnt, streckt Niedersachsen den Stoff nicht nur, es stellt den Schulen auch frei, die zweite Sprache durch ein anderes Fach zu ersetzen. "Wenn ich der Schule ein Jahr länger gebe, ihr aber mehr Inhalte aufbürde, dann verändere ich ja nicht die Belastung", verteidigt die sozialdemokratische Bildungsministerin Frauke Heiligenstadt das Konzept.

Der schulpolitische Sprecher der CDU, Kai Seefried, ist damit nicht glücklich: "Grundsätzlich stehen wir hinter G 9, aber bei den Details gibt es viel Enttäuschung", sagt er. Fächer wie Musik, Kunst, Erdkunde hätten profitieren können, werden aber weiterhin nur einstündig unterrichtet. Mehr Gewicht bekommen Informatik und die Berufsorientierung. Bis zum ersten Abiturjahrgang 2020/21 muss das Land 1300 Lehrer einstellen. Doch der Markt ist leergefegt, schon jetzt heuert Niedersachsen viele Quereinsteiger an, laut Ministerium sind 100 Stellen unbesetzt. Wenn die Abkehr vom CDU-Erbe weiter geräuscharm verlaufen soll, bleibt viel zu tun.

Viele Oppositionspolitiker in den Ländern setzen im Wahlkampf auf Kritik am G 8

Nach Niedersachsen ist Bayern nun erst das zweite Bundesland, das komplett zum G 9 zurückkehrt. Doch mit Ausnahme von Ostdeutschland, wo das G 8 auf eine lange DDR-Tradition zurückblickt, haben fast alle Länder die Reform aufgeweicht - auf die eine oder andere Weise. Wer Vorurteile gegen die Länderhoheit in der Bildung hegt, den wird ein Blick auf die Übersichtskarte zur Gymnasialzeit eher nicht bekehren.

In Hessen etwa können die Gymnasien selbst entscheiden; die meisten wählen G 9. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben G-9-Modellversuche gestartet, in Schleswig-Holstein gibt es 15 Gymnasien, an denen Schüler in neun Jahren zum Abitur geführt werden. Einen ganz eigenen Weg ist Rheinland-Pfalz gegangen, wo Schüler 12,5 Jahre bis zum Abitur brauchen. Ein lupenreines G 8 gibt es im Westen nur noch in Hamburg, Bremen, im Saarland und - bislang - in Bayern.

Hat Bayerns Entscheidung Signalwirkung für NRW?

Das achtjährige Gymnasium, im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends in ganz Deutschland eingeführt, ist ein Dauerstreitthema, das spätestens dann hochkocht, wenn Wahlen anstehen. Viele Oppositionspolitiker setzen auf Kritik am G 8, welcher Partei sie angehören, ist dabei fast egal.

Besonders kurios ist die Situation in Schleswig-Holstein, wo am 7. Mai gewählt wird. Die SPD-geführte Regierung verteidigt dort das G 8 gegen jene Partei, die es vor zehn Jahren eingeführt hat: die CDU. Deren Spitzenkandidat Daniel Günther hat sich im Februar, zur Überraschung vieler und zum Entsetzen der Regierung, dem Kampf für das G 9 verschrieben. "Bayerns Entscheidung für mehr Zeit auf dem Gymnasium zeigt endgültig das Scheitern von G 8 in Deutschland", sagt Günther nun. Die CDU verweist dazu auf eine aktuelle Umfrage, derzufolge 74 Prozent der Wähler in Schleswig-Holstein für eine Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren sind.

Während viele Politiker, dem Ruf des Wahlvolks folgend, für G 9 mit dem Antistress-Argument werben, hegen Gymnasiallehrer ganz andere Hoffnungen: mehr vertiefenden Unterricht zum richtigen Zeitpunkt. Goethes "Faust" wäre früher in der Abiturklasse gelesen worden, sei im G 8 aber oft schon in der Zehnten dran, erklärt Heinz-Peter Meidinger. Für den Chef des Philologenverbands ein fundamentaler Unterschied: "Wo Zehntklässler eine verunglückte Liebesgeschichte lesen, erkennen 18-Jährige die philosophische Perspektive." Aber nicht jeder Widerstand gegen G 8 sei rational begründbar, gibt der Gymnasialdirektor zu: "Immer wenn ein Schüler am Gymnasium ein Problem hat, sagen die Eltern, es liegt am G 8."

Der Bildungsforscher Olaf Köller vom Kieler Leibniz-Institut kann belegen, dass viele Eltern damit falsch liegen. Er hat zur Wirkung von G 8 und G 9 auf Schüler soeben eine Studie abgeschlossen. Das Ergebnis: Es gebe keine Unterschiede, weder bei den Leistungen noch bei der Belastung. "Der Cortisolspiegel in den Haaren, ein Parameter für Langzeitstress, ist bei beiden Gruppen gleich", sagt Köller. G-8-Schüler gingen auch nicht seltener in Sportvereine, das sei ein "Mythos". Den Druck, den viele beklagen, mache das Gymnasium ganz generell, ob in acht oder neun Jahren.

Marcus Hohenstein hält von Studien dieser Art nichts. Die Erfahrungen von Eltern und Lehrern sähen ganz anders aus. Der 50-Jährige, selbst Lehrer und Vater einer Tochter in der 6. Klasse, ist Sprecher der Elterninitiative "G 9 jetzt", die seit Januar Unterschriften für ein Volksbegehren in Nordrhein-Westfalen sammelt. Hohenstein will die Rückkehr zu einem "echten" G 9, wie er sagt, ohne Nachmittagsunterricht. Von der Entscheidung in Bayern erhofft Hohenstein sich nun Rückenwind für seine Kampagne. Einerseits. Andererseits hält er die bayerische Lösung für ein Beispiel, "wie man es nicht machen soll" - eben weil der Nachmittagsunterricht nicht restlos abgeschafft wird. Fast 5000 Sammler seien derzeit auf Stimmenfang, sagt Hohenstein.

Auch NRW ist mitten im Wahlkampf, und dass die Diskussion über das G 8 eines der Hauptthemen ist, schreibt Hohenstein auch seiner Initiative zu. Eigentlich haben sich die großen Parteien nämlich schon vor Jahren auf einen Schulkonsens geeinigt, um solche Debatten zu beenden. Über das Gymnasium wird trotzdem schon seit Monaten gestritten. Die Entscheidung in Bayern könnte die Diskussion nun auch in Nordrhein-Westfalen weiter anheizen.

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