Schule:Was sich im Sportunterricht ändern muss

Schule: Noch unsanierte Turnhalle im Münchner Wilhelmsgymnasium

Noch unsanierte Turnhalle im Münchner Wilhelmsgymnasium

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Ruf ist mies, Stunden fallen aus, Lehrkräfte geben sich wenig Mühe: Deutschlands Schulsport ist in keinem guten Zustand.

Von Matthias Kohlmaier

Viele Forderungen sollten die Schulen in den vergangenen Jahren erfüllen. Ernährung sei ja extrem wichtig, warum also nicht ein Schulfach daraus machen? Und Wirtschaft, wegen dieses Tweets mit der Steuererklärung; und Programmieren, megawichtig, am besten flächendeckend ab Klasse 1. Um bestehende Fächer geht es in der Diskussion kaum, und wenn doch, dann um die Frage: Wie könnte man mehr digitale Lehrmittel in Englisch, Mathe oder Geschichte unterbringen?

Über ein anderes Schulfach gibt es keine breite Debatte, obwohl immer wieder auch fachfremde Experten dessen Relevanz betonen. So wichtig den Deutschen ihre Bundesliga ist, als Unterrichtsfach hat der Sport keine Lobby. Und so hat er über die Jahre nicht nur an Bedeutung, sondern vielerorts auch an Qualität verloren. Und das liegt nicht nur an maroden Hallen aus Turnvater Jahns Zeiten.

"Nur im Sportunterricht erreichen wir jedes Kind und können so motivieren, dass die Schüler auch außerhalb der Schulzeit Sport treiben können und wollen", klagt Helge Streubel, Vizepräsident des Deutschen Sportlehrerverbandes. Dass immer mehr Stunden mangels qualifizierten Personals entfallen müssen oder nur von Lehrkräften fachfremd gehalten werden können, empfindet er als umso traurigere Entwicklung.

Nun ist es nicht verwunderlich, dass ein Verbandsmitglied wie Streubel sich mehr Aufmerksamkeit für sein Fach wünscht. Überraschend aber ist, dass er nicht nur aus den diversen Sportverbänden Unterstützung dafür bekommt, sondern sogar aus Hirnforschung und Psychologie. Dort ist längst erforscht, wie positiv sich Bewegung auf die Gedächtnisleistung und auch auf die Entwicklung des Gehirns auswirkt. Etwas plakativ hat das der bekannte Psychologe Manfred Spitzer formuliert: "Die wichtigsten Schulfächer sind Musik, Kunst, Theaterspielen, Handarbeiten und Sport."

Eindeutige Belege gebe es, dass regelmäßige körperliche Aktivität - vor allem koordinative Bewegungsaufgaben - eine Zunahme der Synapsen im Gehirn zur Folge hätten, hat Helmut Altenberger, Ordinarius für Sportpädagogik an der Uni Augsburg, im Gespräch mit der Welt gesagt. "Bis zum zwölften, 13. Lebensjahr bilden sich die Nervenbahnen im Gehirn aus, damit ist es in dem Alter besonders notwendig, regelmäßig Sport zu treiben." Mehr Sport fördere den Erfolg in Sprachen und auch anderen Fächern.

"Ein guter Lehrer darf keinen Schüler lächerlich machen"

Kurzum: Sport sollte kein lästiges Anhängsel im schulischen Stundenplan sein, sondern als wichtiger Teil ganzheitlicher Bildung wahrgenommen werden. Dass das derzeit kaum der Fall ist, hat einen zentralen Grund: Sport ist längst nicht in allen Bundesländern und Klassenstufen versetzungsrelevant. Ergo gibt es für weniger sportliche Schüler auch oft keinen Anlass, Zeit in Training und eine Verbesserung ihrer Leistungen zu investieren. "Wird ein Fach nicht bewertet oder ist es nicht versetzungsrelevant, gilt es als unwichtig", sagt Helge Streubel.

Dass der Sport im Fächerkanon kein allzu gutes Standing hat, liegt auch am mangelnden pädagogischen Verständnis mancher Lehrkräfte und lässt sich täglich in vielen Schulturnhallen live erleben. Der Sport, der in jeder Hinsicht integrativ wirken kann, bewirkt dort häufig das Gegenteil. Auf der einen Seite stehen die Supersportler, auf der anderen die, die immer zuletzt drankommen, wenn die Mannschaften fürs Fußballspiel gewählt werden. Dabei verlangen sogar die einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur, "Rücksicht zu nehmen, Stärkere anzuerkennen, Schwächere zu unterstützen und sie zu integrieren".

Sportlehrer Streubel nimmt hier seine Kollegen in die Pflicht. Es sei doch kein Problem, bei der Mannschaftswahl auch mal die Schwächsten wählen zu lassen oder sich Spiele auszudenken, wo sportliche und weniger sportliche Schüler Teams bilden müssen und nur so zum Erfolg kommen können. Trotzdem sei es natürlich auch im Sport erlaubt, eine schwache Leistung als solche anzusprechen. "Eine schlechte Leistung können Kinder, wenn man sie auf der Sachebene betrachtet und Kompensationsmöglichkeiten anbietet, ohne Probleme einschätzen", erklärt Streubel. "Natürlich darf ein guter Lehrer dabei keinen Schüler lächerlich machen. Das gilt für den Mathematik- wie für den Sportunterricht."

Bleibt die Frage, wie der Schulsport (wieder) zugleich Unterstützer für den Breitensport und angesehenes Unterrichtsfach sein kann. Ein guter Anfang wäre eine halbwegs einheitliche Stundentafel. Wer sich aktuell die Lehrpläne der Bundesländer ansieht, findet beim Sport einen noch weitaus größeren föderalen Flickenteppich als in anderen Bereichen.

"Es wäre viel gewonnen, wenn deutschlandweit über alle Schulformen und Klassenstufen hinweg gelten würde, dass wöchentlich mindestens drei Stunden Schulsport stattfinden müssen, gehalten von dafür ausgebildeten Lehrkräften", sagt Helge Streubel. Wenn diese Lehrkräfte dann neben einer breiten sportpraktischen schon vor dem Staatsexamen eine umfangreichere pädagogische Ausbildung - im Idealfall mit direktem Schülerkontakt - erhalten, umso besser. Jedenfalls müssten sich dann deutlich weniger unsportliche Kinder vor der Mannschaftswahl in der nächsten Sportstunde fürchten.

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