Schule und Stress:Wenn Schulleiterinnen Hausmeisterjobs erledigen müssen

Lehrerin in der SCHULE

Leerkräfte: Immer mehr Pädagogen fühlen sich im Schulalltag überfordert.

(Foto: Liesa Johannssen/photothek)

Der Lehrerberuf ist auch wegen Integration und Inklusion so anspruchsvoll wie noch nie und die Stimmung vielerorts im Keller. Ein Beispiel aus Niedersachsen.

Von Thomas Hahn

Auf einmal liegt über dem Büro der Kultusministerin eine Stimmung von leiser Ergriffenheit, die man an diesem Ort gar nicht vermutet hätte. Frauke Heiligenstadt von der SPD hat gerade noch in der Manier einer souveränen Ressortchefin über Niedersachsens Schulen gesprochen. Sie hat deren Nöte in Zusammenhang gestellt, die ersten Ergebnisse einer groß angelegten Online-Umfrage unter Lehrern eingeordnet und dabei natürlich auch die Arbeit der rot-grünen Landesregierung nicht zu schlecht aussehen lassen. Aber beim Thema Integration ist sie irgendwann auch auf die Leistungen der Lehrerinnen und Lehrer im Land gekommen, und ihre Rede hat dabei einen anderen Ton bekommen.

Die Ministerin wirkt jetzt ehrlich berührt. 36 000 Kinder aus Flüchtlingsfamilien sind zwischen März 2015 und Juni 2016 zusätzlich an Niedersachsens Schulen gegangen. "Das ist eine riesengroße Zahl", sagt Frauke Heiligenstadt. Trotzdem können diese Kinder dort ohne falsche Widerreden in die deutsche Gesellschaft hineinwachsen: die Sprache lernen, Freundschaften schließen, das neue Land erleben. "Man merkt, dass die Kinder das genießen, in Frieden und Freiheit zur Schule gehen zu können, und die Lehrkräfte nehmen sie auf", sagt Frauke Heiligenstadt. "Unsere Lehrkräfte leben tatsächlich eine Willkommenskultur, von der Politiker schon gar nicht mehr so gerne sprechen. Und das machen sie in den absolut überwiegenden Fällen mit einer Haltung, die diesen Kindern Chancen gibt wie allen anderen Kindern auch."

Toleranz beginnt an den Schulen. Die Errungenschaften einer aufgeklärten Gesellschaft fließen dort ins Bewusstsein junger Menschen und prägen deren Handeln für die Zukunft. Und gerade wenn es um Integration und Inklusion geht, also um die Eingliederung von Ausländern und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, sind Komplimente von oben wertvoll für die Lehrkräfte, damit niemand vergisst, wie wichtig sie sind bei diesen großen gesellschaftlichen Aufgaben.

Allerdings kann das Kollegium die Komplimente nicht so einfach an die hohe Politik zurückgeben. Das zeigt besagte Onlinebefragung mit dem Titel "Mehr Zeit für gute Schule", welche die Landesregierung bei der Universität Lüneburg in Auftrag gegeben hat und die sich gerade in der Phase der Auswertung befindet. Die Politik ringt immer noch um den richtigen Rahmen, in dem Lehrer den bestmöglichen Unterricht erteilen können. Niedersachsen steht dabei exemplarisch für die Suche nach einer Schule der Gegenwart, die mehr denn je ein Sammelbecken der verschiedensten Talente und Hintergründe sein soll. Und die ersten Eindrücke der Onlinebefragung zeigen: Die Landesregierung hat dabei noch viel zu tun.

Manche Ergebnisse empfindet Heiligenstadt als "Bestätigung"

Die Online-Umfrage folgt einer Niederlage, die Niedersachsens Kultusministerium im vergangenen Jahr vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg einstecken musste. Da kippte das Gericht nämlich die Verfügung aus dem Hause Heiligenstadt, die Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden zu erhöhen, "wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht". "Bitter" nannte Heiligenstadt das Urteil damals, aber nahm den Einwand des Gerichts zur Kenntnis: Das Ministerium brauche erst mal mehr Informationen über die Belastung von Gymnasiallehrern, ehe es ihnen mehr Arbeit zumutet. Auch deshalb erging der Auftrag für die Online-Umfrage. Verbände und Gewerkschaften waren eingebunden in das Projekt.

Ungefähr elf Prozent aller Lehrkräfte im Land haben sich beteiligt, rund 10 000 Einsendungen sind zu bearbeiten zu den Themenfeldern Unterricht, Inklusive und interkulturelle Bildung, Sprachförderung, Ganztag, Zusammenarbeit, Schule verwalten. So umfassend war der Fragebogen, dass es noch bis zum Frühjahr dauern wird, bis er komplett ausgewertet ist. Und natürlich hat Frauke Heiligenstadt in den ersten Ergebnissen auch das Gute gesehen. Die Lehrkräfte sind offensichtlich grundsätzlich damit einverstanden, dass die Landesregierung mit Reformen Inklusion, Integration und Ganztagsunterricht fördert sowie die Rückkehr zum neunstufigen Gymnasium (G 9) eingeleitet hat. "Das empfinde ich als Bestätigung", sagt sie.

"Die Rahmenbedingungen stimmen nicht"

Die schlechte Nachricht: "Mit der Unterstützung durch die Behörden sind die Lehrkräfte unzufrieden." Was das genau heißt, muss sich erst noch herausstellen, denn die Schulverwaltung ist vielschichtig. Aber klar ist, dass sich viele Lehrer bei der Menge der Aufgaben überfordert fühlen. Die Interessenverbände sehen sich bestätigt. Als die ersten Ergebnisse Ende August bekannt wurden, wiederholte Niedersachsens Philologenverband seine Forderung, die Arbeitszeit der Lehrer zu senken. Und für den Verband für Bildung und Erziehung (VBE) liest dessen Vorsitzende Gitta Franke-Zöllmer aus der Befragung: "Die Rahmenbedingungen stimmen nicht."

Der VBE ist selten auf einer Wellenlänge mit dem konservativen Philologenverband, und Gitta Franke-Zöllmer beteiligt sich auch nicht am Heiligenstadt-Bashing, das die Opposition im Landtag mit CDU und FDP ausdauernd betreibt. Für sie zeigt die Umfrage jetzt die Auswirkungen einer Reformtätigkeit, die CDU-geführte Regierungen maßgeblich mitgeprägt haben. Immerhin war es der Christdemokrat Bernd Busemann, der 2007 die sogenannte eigenverantwortliche Schule in Niedersachsen einführte: Dadurch bekamen Lehrkräfte Aufgaben zugewiesen, die sonst Verwaltungsfachkräfte in den Schulabteilungen der Bezirksregierungen übernommen hatten.

Schulinspektionsprogramme wie das länderübergreifende Projekt VERA zur Lernstandserhebung und die Einführung selbstverwalteter Schul-Girokonten machen zusätzlich Mühe. "Die Schulleitungen sind darüber zusammengebrochen", sagt Gitta Franke-Zöllmer, "vor allem an den kleinen Grundschulen, wo es keinen Konrektor gibt und man nichts delegieren kann, weil das Personal nicht da ist." An kleinen Grundschulen übernehmen Rektorinnen manchmal sogar Hausmeister-Jobs, weil es nicht anders geht. Und kleine Grundschulen gibt es in Niedersachsen viele, weil die Träger dort die Kommunen sind und kein Dorf auf seine Schule verzichten will.

So anspruchsvoll wie heute war der Lehrerberuf wahrscheinlich noch nie. Lehrkräfte sollen Kinder mit Lernschwäche neben Hochbegabten unterrichten, weil die Förderschulen zusehends verschwinden. Sie sollen Ausländer integrieren, Eltern einbinden, regulären Unterricht abhalten und auch noch den vielfältigen Bürokram abarbeiten. Der von vielen begrüßte Ausbau des Ganztagsunterrichts, den Frauke Heiligenstadt betrieben hat, macht die Belastung nicht geringer. Und wenn das alles an den kleinen Schulen eigentlich gar nicht geht, machen es manche Grundschullehrerinnen trotzdem. "Die beuten sich aus", sagt Gitta Franke-Zöllmer, "weil sie immer ihre Schulkinder im Auge haben."

Immerhin, Frauke Heiligenstadt scheint die ersten Botschaften aus der Online-Umfrage verstanden zu haben. Sie will das Verwaltungsdickicht an den Schulen überprüfen. Sie will auch prüfen, ob die Beratung und Unterstützung der Schulen zum Beispiel bei der Inklusion effektiv genug ist. Gitta Franke-Zöllmer hätte dazu noch eine radikalere Idee, um die Lehrkräfte zu entlasten: Sie würde die Kommunen auf Mindestgrößen für die Grundschulen verpflichten, um die Energien besser zu bündeln. "Aber da wagt sich keiner dran." Auch Frauke Heiligenstadt nicht: "Wir werden nicht steuernd in die Selbstverwaltung reinreden", sagt sie.

Schule bleibt ein mächtiges, schwer zu greifendes Reformmonstrum. Frauke Heiligenstadt will es "Schritt für Schritt" bändigen. Und Gitta Franke-Zöllmer ist gespannt, was die Ministerin sich einfallen lässt, wenn erst mal die gesamte Umfrage ausgewertet ist. Vorerst ist für sie nur eines klar: "Handeln muss sie. Wenn sie keine Konsequenzen zieht, werden die Lehrerinnen und Lehrer in hohem Maße verärgert sein, weil eine solche Onlinebefragung natürlich Hoffnungen weckt." Lobreden reichen auf Dauer eben nicht, um der Anerkennung für einen komplizierten Beruf Ausdruck zu verleihen.

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