Schule:Schüler müssen "von Anfang an erleben, was Menschenrechte bedeuten"

Demo World Refugee Day DEU Deutschland Germany Berlin 20 06 2015 Schueler mit Plakat Kein Mensch

Am Weltflüchtlingstag im Jahr 2015 demonstrieren Schüler auf einer Demo in Berlin für die Rechte von Flüchtlingen

(Foto: imago/IPON)

Denn bisher kommt das Thema in der Schulbildung viel zu kurz, findet Beate Rudolf vom Deutschen Institut für Menschenrechte.

Interview von Markus C. Schulte von Drach

In seinem Bericht an den Deutschen Bundestag hat das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert, dass an den Schulen die Themen Menschenrechtsverletzungen und Fluchtursachen zu wenig thematisiert werden. Fragen an die Direktorin des Instituts, Beate Rudolf.

SZ: In der Debatte um Flüchtlinge sind zunehmend rassistische Einstellungen vertreten, heißt es im jüngsten Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Sie halten Bildung, genauer gesagt, Schulbildung, für eine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun.

Beate Rudolf: Wir leben in Zeiten von wachsendem Rassismus, von Gewalt gegen Flüchtlinge, es gibt Angriffe auf die Menschenrechte - denken Sie an die unsägliche Diskussion über Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge an der Grenze. Wer so etwas ausspricht, der stellt Menschenrechte grundlegend infrage.

Deshalb braucht es in der Schule das Arbeiten auf der Grundlage der Menschenrechte. So dass Kinder und Jugendliche von Anfang an erleben, was Menschenrechte bedeuten, und dass es gut ist, sie zu beachten und sich dafür einzusetzen, dass sie auch für andere gelten.

Kinder und Jugendliche erfahren in der Schule doch, was es mit diesen Rechten auf sich hat.

Es gibt überall ein großes Bekenntnis zu den Menschenrechten und der entsprechenden Bildung. Aber wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest, dass sie nicht so gut vermittelt werden, wie es nötig ist. Nur etwas über die Menschenrechte zu lernen, reicht nicht. Es braucht mehr als das Wissen, dass es das Grundgesetz und Menschenrechtsverträge gibt und welche Menschenrechte dort stehen.

Schülerinnen und Schüler sollten gewissermaßen auch für die Menschenrechte lernen und ihre Anwendung im schulischen Alltag selbst erleben. Menschenwürde, Gleichbehandlung aller Menschen, Diskriminierungsfreiheit, Respekt vor dem Anderen, Einsatz für die Rechte Anderer - das lässt sich in der Schule einüben. Deshalb spielt sie eine ganz wichtige Rolle.

Wenn da noch zu wenig passiert, woran liegt das? An den Bildungsplänen? Den Schulbüchern? Oder den Lehrenden?

In allen drei Bereichen besteht Verbesserungsbedarf. Wir haben die Bildungspläne der 16 Bundesländer analysiert und festgestellt, dass die Themen Rassismus, Flucht und Asyl nur selten behandelt werden, und wenn, nur in höheren Klassen. Flucht und Migration werden miteinander vermischt. Außerdem wird beides meist negativ konnotiert. Da wird immer nur von Problemen gesprochen, die durch Flüchtlinge entstehen. Themen wie Diskriminierung und strukturelle Ungleichheiten, unter denen Flüchtlinge leiden, sind nicht Teil der Bildungspläne.

Sie haben für Ihren Bericht auch auf die "Schulbuchstudie 2015" zurückgegriffen. Die Integrationsbeauftragte Aydan Özğuz (SPD) hat nach der Veröffentlichung die Fortschritte gelobt, die es in Schulbüchern in Bezug auf das Thema "Integration" gibt.

Es ist gut, dass Integration dort jetzt so ein wichtiges ein Thema ist. Aber es muss immer im Kontext gesehen werden: Flucht oder Migration. Diese Themen werden aber leider sehr einseitig dargestellt. Migration etwa wird in eine Reihe gestellt mit Armut, Terrorismus und Klimawandel.

Das Thema Integration selbst wird in den Schulbüchern fast immer als Anpassungsleistung behandelt, die Flüchtlinge oder Migranten zu erbringen haben. Es sollte aber auch darüber gesprochen werden, dass diese Menschen auch ein Recht auf Bildung haben, ein Recht zu arbeiten, ein Recht auf Wohnen. Und dass der Staat hier eine Verpflichtung hat. Außerdem sollten neben den Problemen, die es natürlich gibt, auch die Chancen angesprochen werden, die Einwanderer und Asylbewerber für eine Gesellschaft darstellen können.

"Das bedeutet, auch etwas auszuhalten, was man für sich nicht gut findet"

Sylvia Löhrmann (Grüne) hat als Vertreterin der Kultusministerkonferenz gesagt, an vielen Schulen würden Lehrerinnen und Lehrer schon sensibel mit den Themen Migration, Flucht und Asyl umgehen und interkulturelle Werte vermitteln.

Es geht bei den Menschenrechten um mehr als um interkulturelle Werte. Es geht darum, dass andere Menschen tatsächlich die gleichen Rechte haben wie ich selbst. Dass ich sie als Menschen mit gleichen Rechten anerkennen muss - und sie mich ‑, unabhängig davon, ob ich es gutheiße, wie sie sich verhalten.

Prof. Dr. Beate Rudolf, Deutsches Institut für Menschenrechte

Prof. Dr. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

(Foto: DIMR/S. Pietschmann)

Das bedeutet, sogar etwas auszuhalten, was man für sich nicht gut findet. Religiöse Praktiken beispielsweise, solange sie den Boden des Grundgesetzes nicht verlassen. Dann gehe ich mit anderen Menschen auch anders um.

Werden Ihre Forderungen eigentlich gehört? Wie reagieren die zuständigen Institutionen?

Wir sind im Gespräch mit einzelnen Ländern, beteiligen uns an Anhörungen zu Bildungsplänen, machen Vorschläge und versuchen, die Verantwortlichen zu Pilotprojekten zu bewegen. Wir entwickeln Unterrichtsmaterialien und bringen sie über Workshops in die Aus- und Fortbildung. Auch in den Kultusministerien gibt es engagierte Personen, die versuchen, Menschenrechtsbildung in einzelnen Bereichen zu verankern.

Wir erleben eine Offenheit gegenüber unserer Forderung, aber es gibt keine systematische, auch von den Kultusministern getragene Initiative. Die Mühlen mahlen da sehr langsam.

Befürchten die Schulen, dass ihnen noch weiterer Stoff aufgebürdet wird?

Das ist eine zentrale Schwierigkeit. Bildungsverwaltungen und Schulen fragen sich, was sie dann weglassen sollen. Wir müssen da noch Überzeugungsarbeit leisten, dass es um etwas anderes geht als weitere Fächer wie etwa Volkswirtschaft zu vermitteln.

Es geht um etwas Grundsätzliches: Menschenrechte als Fundament für die Demokratie und unser friedliches Zusammenleben zu verankern. Der Ansatz muss deshalb grundlegender sein. Das wird nicht von heute auf morgen gelingen, aber wir müssen heute damit anfangen.

Bislang werden die Menschenrechte in bestimmten Fächern wie Politik, Sozialkunde oder Ethik behandelt. Wie sieht dagegen Ihr Ansatz aus?

Für alle Fächer könnten sich die Lehrkräfte überlegen, wo Menschenrechte thematisiert werden können. In Geschichte etwa lässt sich das Thema Flucht und Menschenrechte ansprechen und aufzeigen, dass es historisch falsch ist, wenn jemand behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Wir müssen die Ursachen für die Wanderungs- und Fluchtbewegungen in den Blick nehmen und fragen, was das auch mit uns zu tun hat.

Im Englischunterricht könnten die Kinder einen Brief an die Vereinten Nationen aufsetzen, in dem es um Menschenrechtsverletzungen in Deutschland geht. Sie lernen Englisch dabei und dass sie selbst Rechte geltend machen können.

Es geht also nicht nur um die Rechte anderer, sondern auch um die eigenen?

Ja. Die Kinder sollten lernen, dass sich jeder gegen Diskriminierung und andere Beeinträchtigungen - auch an der Schule - wehren kann, indem er oder sie die Menschenrechte einfordert - die sie notfalls auch einklagen können. Das ist etwas anderes, als sich nur über eine schlechte Behandlung zu beklagen, und darüber, dass sich jemand anderes unmoralisch verhält.

Die Schülerinnen und Schüler erleben, dass sie nicht machtlos sind, sondern das Recht auf ihrer Seite steht. Sie könnten auch lernen, was sie selbst tun können, um ihr Lebensumfeld zu gestalten. Schule sollte da viel stärker partizipativ sein. Das ist ein besserer pädagogischer Ansatz als nur Wissen zu vermitteln. Denn wer mitwirken kann, der erlebt: Ich kann etwas verändern!

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