Schule:Inklusion ja - aber kaum an Gymnasien

Behinderung Toleranz-Recherche

Die Inklusionsquote ist in Deutschland deutlich gestiegen.

(Foto: dpa)
  • Die Bertelsmann Stiftung hat in einer neuen Studie den Stand der Inklusion an Deutschlands Schulen untersucht.
  • Die Inklusionsquoten sind in den vergangenen Jahren deutschlandweit angestiegen. Es wird jedoch auch bei immer mehr Kindern ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert.
  • Weiterhin schaffen es kaum Schüler mit Förderbedarf in eine Realschule oder ein Gymnasium.

Von Matthias Kohlmaier

In der UN-Behindertenrechtskonvention steht, dass Kinder "nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden" dürfen. Da Deutschland den Vertrag 2009 ratifizierte, gilt auch hierzulande das Inklusionsprinzip, sollen Kinder mit und ohne Behinderung an den Schulen gemeinsam lernen. Wie die Umsetzung läuft, hat nun Forscher Klaus Klemm anhand von Zahlen der Kultusministerkonferenz analysiert.

"Inklusion bleibt an vielen weiterführenden Schulen ein Fremdwort", ist die Pressemitteilung der auftraggebenden Bertelsmann Stiftung überschrieben. Sie zeigt, dass es beim Weg zu flächendeckendem inklusiven Unterricht zwar an vielen Stellen hakt, aber auch Forschritte zu erkennen sind. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Die Inklusionsquoten steigen

Die guten Neuigkeiten zuerst: In allen Bundesländern sind die Inklusionsquoten gestiegen. Für ganz Deutschland wurden im Schuljahr 2013/14 laut Studie 31,4 Prozent der Schüler mit speziellem Förderbedarf inklusiv unterrichtet - die höchste Quote seit Inkrafttreten der UN-Konvention. Fünf Jahre zuvor waren es nur 18,4 Prozent.

Klemms Forschung macht jedoch auch deutlich, was ob des Bildungsföderalismus in vielen Bereichen gilt: Die Lage in den einzelnen Bundesländern entwickelt sich sehr unterschiedlich. So hat sich die Inklusionsquote in Niedersachsen seit 2008 zwar fast vervierfacht, mit einem Gesamtwert von 23,3 Prozent liegt das Land deutschlandweit dennoch auf dem vorletzten Platz. Noch weniger Schüler werden nur in Hessen inklusiv beschult, nämlich 21,5 Prozent. Spitzenreiter in Sachen Integration förderbedürftiger Schüler in Regelklassen sind Bremen (68,5 Prozent), Schleswig-Holstein (60,5) und Hamburg (59,1).

"Mit Blick auf die Inklusion gleicht Deutschland einem Flickenteppich. Unterschiedliche Förderpolitiken in den Bundesländern erschweren den Weg zum gemeinsamen Lernen und verhindern vergleichbare Chancen für alle Förderschüler in Deutschland", beurteilt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, die Studienergebnisse.

Mehr Kinder werden als förderbedürftig eingestuft

Geringe Inklusionsquote an Gymnasien

Je früher die im deutschen Bildungssystem betrachtete Phase, desto höher ist der Inklusionsanteil - in den Kitas beträgt er mehr als zwei Drittel, in den Grundschulen sind es noch knapp 47 Prozent. Leider setzt sich der Trend fort, wonach mit fortschreitendem Alter immer weniger förderbedürftige Kinder mit solchen ohne speziellen Förderbedarf lernen. So beträgt die Inklusionsquote in der Sekundarstufe nur noch 29,9 Prozent.

Weiterhin bleibt es auch dabei, dass es nur wenige Schüler mit Behinderung in einen höheren Bildungsgang schaffen. Von den inklusiv beschulten Kindern wird nur etwa jedes zehnte an einer Realschule oder einem Gymnasium unterrichtet. Die meisten Föderschüler an Bildungseinreichtungen der Sekundarstufe verteilen sich auf die Gesamt- (33,4 Prozent) und die Hauptschulen (26,6). "Je höher die Bildungsstufe, desto geringer sind die Chancen auf Inklusion", fasst die Bertelsmann Stiftung das in ihrer Mitteilung zusammen.

Exklusionsquote sinkt nur leicht

Immer mehr förderbedürftige Kinder werden inklusiv beschult. Logisch müsste daraus folgen, dass die Anzahl der Schüler an Sonderschulen deutlich zurückgegangen ist. Das ist jedoch nicht so, die Exklusionsquote hat sich von 2008 bis 2013 fast nicht verändert (4,9 zu 4,7 Prozent). Das liegt hauptsächlich daran, dass bei immer mehr Kindern ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert wird, der Anteil ist in fast allen Bundesländern, verglichen mit 2008, gestiegen. Kurzum: Die vorhandenen Inklusionsanstrengungen der Länder können mit dem gestiegenen Förderbedarf kaum mithalten.

"Das stellt das Bildungssystem vor erhebliche Herausforderungen und zeigt, dass Investitionen in Inklusion nicht nachlassen dürfen", sagt Dräger. Zu oft scheitere gemeinsames Lernen an mangelhafter Infrastruktur und unzureichender Ausbildung der Lehrer. Dazu kommt laut einer Befragung von Forsa der grundsätzliche Zweifel vieler Pädagogen am System: 41 Prozent der Lehrer halten es demnach selbst unter idealen Rahmenbedingungen (verkleinerte Klassen, bessere finanzielle Ausstattung etc.) für besser, wenn Kinder mit speziellem Förderbedarf in passenden Förderschulen unterrichtet werden.

Den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention ist diese Einstellung gewiss nicht zuträglich.

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