Ich war, in grauer Vorzeit, einmal Lehrer. Haupt- und Realschullehrer mit zweitem Staatsexamen. Aber da ich nur zwei Monate an einer Hauptschule gearbeitet habe, bin ich wohl der am schnellsten ausgebrannte Lehrer dieser Republik. Grund dafür war ein einschneidendes Erlebnis: Ich musste fachfremd in der 9. Klasse einer Hauptschule in Hessen Sport unterrichten. Pah, nichts einfacher als das! Sport.
Ich habe lange Wasserball gespielt, weshalb ich gut zielen, werfen und treffen kann. Aber Wasserball spielt man nicht an Schulen, daher unterrichtete ich nur die Sportarten, die ich zu Schulzeiten selbst gut gekonnt hatte: Fußball und Völkerball. Also spielten die Schüler, als ich Lehrer war, eine Unterrichtsstunde Fußball und die andere Völkerball. Dann wieder Fußball, dann wieder Völkerball. Ich war Schiedsrichter.
Dass es beim Fußball zu Situationen kommen kann wie anno 14. August 1981, als Norbert Siegmann an Ewald Lienen das wohl übelste Foul der Bundesligahistorie verübte, hatte ich dabei nicht auf dem Schirm. In meiner Klasse gab es gleich mehrere Siegmanns, die es immer auf die Beine statt auf den Ball abgesehen hatten. Ein großer und kräftiger 16-Jähriger, der mehrfach sitzen geblieben war, zeichnete sich durch besondere Brutalität aus. Nach drei Ermahnungen reichte es mir. Zufällig hatte ich einen Tennisball in der Hand. Der Junge stand an einer Holzwand, ich holte aus, zielte direkt neben ihn und warf. Doch was machte er? Legte seinen Kopf zur Seite, genau in den Ball, der ihn direkt auf die Nase traf. Ein Schrei, Nasenbluten und schon sah ich die imaginären Blaulichter des Einsatzwagens vor mir, der mich gleich abholen würde. In meiner Not versuchte ich es mit dem billigsten Trick: mit Bestechung. Ich holte ein Snickers, ein Mars und eine Dose Cola für ihn.
Er nahm alles, hielt sich ein blutiges Taschentuch vor die Nase und grinste gequält. Bis zur Sportstunde eine Woche später schlief ich unruhig. Mir drohten Verhöre der Eltern, der Schulleitung, des Staatsanwaltes. Eine Anzeige wegen Körperverletzung schwebte über mir. Meine gerade erst begonnene schulische Laufbahn schien bereits wieder beendet. Plötzlich standen mir in der Turnhalle der 16-Jährige und drei seiner Mitschüler gegenüber. Jeder der Jungs war mit einem Tennisball bewaffnet. Ein Erwerfungskommando? Nein. Auch sie wollten von mir beworfen werden und verlangten nach Snickers, Mars und Cola. Wir lachten und ich gab der ganzen Klasse Süßigkeiten und Getränke aus. Doch spätestens in diesem Moment wusste ich, dass es Zeit war, meinen erlernten Beruf an den Nagel zu hängen.
Lars Langenau