Schule:Baden-Württemberg sackt in Bildungsstudie deutlich ab

Schule

Der IQB-Bildungstrend 2015 hat vor allem Kenntnisse in Deutsch und Englisch getestet.

(Foto: Marijan Murat/dpa)
  • An der Studie IQB-Bildungstrend 2015 haben etwa 37 000 Neuntklässler aus mehr als 1700 Schulen der 16 Bundesländer teilgenommen.
  • Baden-Württemberg fällt im Vergleich zur vorhergehenden Erhebung deutlich zurück, Bayern und Sachsen belegen die Spitzenplätze.

Die baden-württembergischen Schüler haben in Deutsch und Englisch ihre einstige Spitzenstellung im Vergleich der Bundesländer verloren. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die von der baden-württembergischen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Freitag vorgestellt wurde.

Demnach schneidet Baden-Württemberg im Leistungsvergleich der beiden Fächer über alle Schularten hinweg überraschend schlecht ab, während Bayern und Sachsen weiter an der Spitze stehen - zu der Baden-Württemberg in der vor sechs Jahren veröffentlichten Studie auch noch gehörte. Die unter Grün-Rot eingeführte Gemeinschaftsschule beteiligte sich nicht an der aktuellen Studie, da Neuntklässler geprüft wurden und die Gemeinschaftsschulen zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch keine neunten Klassen hatten.

Die Studie - eine regionale Ergänzung zum internationalen PISA-Test der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) - vergleicht aktuelle Daten mit dem ersten Neuntklässler-Test in Deutsch und Englisch, dessen Daten im Schuljahr 2008/2009 erhoben wurde. Das neue Ranking dürfte die Debatte über die schon lange vermuteten Qualitätsmängel im baden-württembergischen Bildungswesen erheblich befeuern.

Bayern und Sachsen führen in den meisten Kategorien

In der vorherigen Erhebung lag Baden-Württemberg noch in fast allen Bereichen auf dem zweiten Platz hinter Bayern: beim Hörverstehen und bei der Orthografie in Deutsch und beim Lesen und Hörverstehen in den Fremdsprachen. Nur beim Lesen im Fach Deutsch landeten die Schüler im Südwesten hinter Bayern und Sachsen auf dem dritten Platz. Die Studie ergab aber auch, dass der Schulerfolg im Südwesten stark von der sozialen Herkunft der Schüler abhing. Auch aus diesem Grund führte Grün-Rot die Gemeinschaftschule ein.

Das CSU-regierte, in der Bildungspolitik stark leistungsorientierte Bayern platziert sich im Fach Deutsch wie schon vor acht Jahren durchweg unter den besten drei, im Kompetenzbereich Rechtschreibung sogar deutlich vor dem CDU-geführten Sachsen, dem SPD-geführten Schleswig-Holstein und den anderen Ländern. Sachsen belegt den Spitzenplatz in den Bereichen Lesen und Zuhören. Schleswig-Holstein ist in Deutsch immer weit oben mit dabei und macht insgesamt den deutlichsten Sprung nach vorn im Vergleich zu 2008/2009.

Im Fach Englisch haben die neuen Bundesländer teilweise immer noch Rückstände aufzuweisen. Diese Beobachtung wurde bisher damit erklärt, dass es wegen der untergeordneten Rolle des Englischunterrichts in der DDR dort weniger ausgebildete Lehrer gebe. Top-Ergebnisse in der Fremdsprache (Hör- und Leseverständnis) schaffen Bayern und Schleswig-Holstein, über dem bundesdeutschen Durchschnitt in Englisch liegen teilweise Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Insgesamt, so die KMK, seien in der Fremdsprache "große Fortschritte im Vergleich zu 2009 erzielt" worden.

In beiden Fächern - Deutsch und Englisch - liegen vor allem die Stadtstaaten Bremen und Berlin mit einer hohen Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund auf hinteren Rängen. Nordrhein-Westfalen ist weiterhin nur mäßig bis schwach bei den Deutsch-Kompetenzen (Lesen, Zuhören, Rechtschreibung) seiner Schüler der neunten Klasse - und liegt auf den Ranking-Plätzen 12 beziehungsweise 13.

Philologenverband fordert leistungsorientierte Bildungspolitik

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, warnt vor einem "massiven Niveauverlust" an den Schulen durch eine nicht leistungsorientierte Bildungspolitik. Für ihn sei der offenkundige Absturz Baden-Württembergs im Länder-Ranking daher "keine Überraschung". "Im Gegenteil, ich hätte darauf wetten können", sagte Meidinger. "Jeder, der die schul- und bildungspolitischen Entwicklungen in Baden-Württemberg in den letzten fünf Jahren mitverfolgte, musste mit einem massiven Niveauverlust rechnen." In diesem Zeitraum regierte in Stuttgart eine grün-rote Regierung, seit Mai bilden Grüne und CDU eine Koalition.

Der Chef der Gymnasiallehrer-Gewerkschaft nennt aus seiner Sicht mehrere Ursachen: "Die massive Umgestaltung der Schulstruktur (in Baden-Württemberg) mit der Umwandlung von Haupt- und Realschulen beziehungsweise der Neugründung von 270 Gemeinschaftsschulen hat wertvolle Ressourcen für den Erhalt von Bildungsqualität gebunden oder von den anderen Schularten abgezogen."

Zudem habe "die massive Sparpolitik im Bildungsbereich insbesondere an den herkömmlichen Schularten, was Lehrerstellen, Klassengrößen, pädagogische Rahmenbedingungen anbetrifft, deutliche Spuren hinterlassen". Vor allem führe "die Abschaffung jeglicher Orientierung an Leistungskriterien beim Übergang an weiterführenden Schulen zu einem Anstieg von Sitzenbleibern, Schulwechslern, zu einer Zunahme der Heterogenität", kritisierte Meidinger.

Bis 2012 hatten Viertklässler in Baden-Württemberg eine verbindliche Empfehlung von ihren Lehrkräften erhalten, wenn der Übergang an eine weiterführende Schule bevorstand. Grün-Rot schaffte diese Praxis ab, seitdem haben die Eltern das letzte Wort bei der Schulwahl für ihr Kind. Kritiker, wie auch Meidinger, monieren, dass so auch ungeeignete Schüler an die Gymnasien kommen - einfach, weil ihre Eltern das unbedingt wollen.

Über die Studie

Wer nahm an der Erhebung teil?

Am IQB-Bildungstrend 2015 nahmen etwa 37 000 Neuntklässler aus mehr als 1700 Schulen der 16 Bundesländer teil. Die teilnehmenden Schulen wurden nach dem Zufallsprinzip ermittelt, ebenso die geprüfte Klasse jeder einzelnen Schule, falls es mehrere neunte Klassen dort gab. Die Daten wurden zwischen April und Juni 2015 erhoben.

Was wurde getestet?

Der Schwerpunkt lag auf den sprachlichen Fähigkeiten der Schüler und hier auf den Fächern Deutsch und Englisch. In einigen Bundesländern wurden auch Französischkenntnisse überprüft.

In Deutsch mussten die Schüler Aufgaben aus den von der Kultusministerkonferenz (KMK) definierten Kompetenzbereichen "Lesen - mit Texten und Medien umgehen", "Sprechen und Zuhören" sowie "Schreiben" bearbeiten. Die Studie konzentrierte sich dabei auf die Bereiche "Lesen", "Zuhören" und "Orthografie". In den Fächern Englisch und Französisch wurden jeweils Aufgaben zum "Leseverstehen" und zum "Hörverstehen" vorgelegt.

Welche Aufgaben mussten bearbeitet werden?

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