Rolle der Uni im Fall Schavan:Täuschen und Verschleiern

Die Uni Düsseldorf macht für eine missglückte Doktorarbeit allein deren Autorin verantwortlich. Doch damit lenkt die Hochschule von ihrer eigenen Nachlässigkeit ab. Der Entzug des Doktortitels von Annette Schavan ist zugleich eine vernichtende Selbstkritik - leider im Verborgenen.

Von Thomas Steinfeld

Die Universität Düsseldorf hat, nach langer Bedenkzeit, in der Dissertation Annette Schavans eine Täuschung erkannt und ihr den Doktorgrad entzogen. Das kann sie tun, weil auch eine Promotion ein Verwaltungsakt ist, für den es feste Regeln gibt, und von einer Doktorarbeit verlangt wird, dass man sie allein und selbständig schreibt. Und doch verbirgt die formale Korrektheit, mit der sich jetzt die Universität Düsseldorf gegen ihre ehemalige Studentin wendet, dass an dieser Dissertation nicht nur das Maß nicht ausgewiesener Zitate anfechtbar ist.

"Person und Gewissen" heißt diese Arbeit, und der Untertitel "Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" ist nicht dazu angetan, größere Klarheit in die Frage zu bringen, worum es auf diesen gut 350 Seiten gehen soll. Das Thema dieser Dissertation ist vage angelegt, und es setzt sehr viel Mut, sehr viel Können oder beides voraus, nicht an seiner schieren Größe zu scheitern.

Verantwortlich für die Wahl des Gegenstandes für eine Promotion ist aber nicht die Kandidatin, sondern der Betreuer. Die Kandidatin kann allenfalls ein Thema vorschlagen, über das dann der Betreuer entscheidet. Dass aber in der Betreuung dieser Arbeit ein gravierender Fehler geschehen sein muss, offenbart ein längerer Blick in das Buch: Es enthält, nach den üblichen Einführungen und Prämissen, ein gutes Dutzend Überblicksartikel darüber, was eine - offenbar kaum systematisch ausgewählte - internationale Prominenz aus Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Theologie zum Thema "Gewissen" zu sagen hatte: "Freud und das Gewissen" oder "Bildung und Gewissen bei Josef Derbolav" heißen diese Kapitel, denen jeweils nur ein paar Seiten zugewiesen sind.

Achtzig Seiten mit eigenen Thesen

Kann man aber auf sieben Seiten über C. G. Jung oder 22 Seiten über Martin Heidegger einen wissenschaftlich erschöpfenden Einblick in das jeweilige Weltbild bekommen? Daran ließe sich zweifeln, vor allem, weil all diese Kapitel als Referat, also als unselbständige Beiträge zu einem offenbar nicht recht zu definierenden Gegenstand angelegt sind. Wenn innerhalb dieser Referate plagiiert wurde, kann es sich bei dieser Dissertation also, streng genommen, nur um verschiedene Formen der Aneignung fremden Gedankenguts handeln.

Und wenn am Ende der Arbeit achtzig Seiten eigenen "Thesen zu einem pädagogischen Begriff des Gewissens" gewidmet werden, wird die Sache nicht besser: Denn wissenschaftliche Arbeit kann ja nicht im Aufstellen von "Thesen", sondern muss in deren Begründung bestehen.

Das Argument des Doktorvaters, die Arbeit habe dem damaligen Stand der akademischen Arbeit entsprochen, hilft da nicht weiter: Denn zum einen verschwanden die kleinen und oft nur lose gedachten Promotionen, mit denen die deutschen Universitäten über Jahrhunderte hatten leben können, in den sechziger und frühen siebziger Jahren, als sich die Geisteswissenschaften in Methoden teilten und mit dem Mittel formaler Korrektheit den Naturwissenschaften nacheiferten. Zum anderen war eine unselbständige Arbeit auch im Jahr 1980 schon eine solche. Das gilt auch für die Pädagogik, das Fach, in dem Annette Schavan promovierte, obwohl diese Disziplin - weil sie mit der Vermittlung von Wissen, nicht aber mit diesem selbst zu tun hat - traditionell zu den besonders weichen Fächern an der Universität zählt.

Im Vergleich zur Diskussion um die Plagiate Karl-Theodor zu Guttenbergs fällt beim Fall Annette Schavans auf, dass die Begutachtung der Arbeit, das Promotionsverfahren und die Rollen von Fakultät und Universität nur eine geringe Rolle spielten. Zwar sagte der Doktorvater Annette Schavans, dass es sich bei seiner früheren Kandidatin um eine "integre Person" handele. Und gewiss erscheint das Maß, in dem plagiiert wurde, bei Annette Schavan als ungleich geringer. Dieser Unterschied kann indessen nicht erklären, warum sich die eine Universität - nämlich Bayreuth - so offen und engagiert um die Klärung aller Vorgänge bemühte, die Guttenberg sein Plagiat erlaubten. An der Universität Düsseldorf hingegen geht es immer wieder nur um eine eher missglückte Arbeit und deren Autorin. Aber auch sie waren Teil eines akademischen Verfahrens, und ein Versagen im Kleineren ist immer noch ein Versagen - zumal, wenn es zum selben Ergebnis führt wie der größere Fall.

Versagen von Gutachtern und Fakultät

Dass Annette Schavans Arbeit in einigen Teilen aus Wiedergaben fremder Standpunkte besteht, hätte nun aber dem Betreuer - von dem ja erwartet werden muss, dass er der Kandidatin während der Arbeit an der Dissertation beratend zur Seite steht - auffallen müssen. Und wenn das nicht der Fall war, so hätte spätestens der Zweitgutachter reagieren müssen. Und wenn auch dieser das Problem nicht hätte erkennen wollen: Das Urteil der Gutachter über eine Dissertation gewinnt erst Kraft, nachdem die Arbeit zwei Wochen in der zuständigen Fakultät auslag. Und schließlich dient die in Deutschland geltende Pflicht, dass jede Dissertation zu veröffentlichen sei, auch dem Zweck, sie nicht nur nutz-, sondern auch überprüfbar zu machen.

Wenn die Universität Düsseldorf nun feststellt, Annette Schavan habe unlauter gearbeitet, so verschleiert sie, je mehr sie auf den Kriterien formaler Korrektheit besteht, mit welcher Nachlässigkeit in ihrer Philosophischen Fakultät geforscht und gelehrt wurde. Das Urteil des Fakultätsrats, Annette Schavan den Doktorgrad zu entziehen, ist also in der Sache zugleich eine vernichtende Selbstkritik der Universität - leider im Verborgenen.

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