Referendare:Der Willkür der Ausbilder ausgeliefert

Schleswig-Holstein sucht online nach Lehrern

Nicht so sehr die Schüler als vielmehr ihre Ausbilder machen vielen Referendaren den Berufseinstieg schwer.

(Foto: dapd)

Leidenszeit zwischen Studium und Staatsexamen: Referendare sind vom Wohlwollen ihrer Ausbilder abhängig. Viele von ihnen machen dabei negative Erfahrungen. Eine Lehrerin, die im Referendariat aufbegehrte, durchleuchtet in ihrem Buch das Machtsystem.

Von Tanjev Schultz

Das laue Lehrerleben, wenn es so etwas überhaupt geben sollte, ist für Referendare nur ein sehnsüchtiger Traum. Sie haben Stress und Angst, sie zittern und leiden. Sicher, es gibt auch halbwegs entspannte Referendare. Doch die wenigsten lässt es kalt, dass sie nach dem Uni-Studium unter strenger Beobachtung stehen - unter Beobachtung der Schüler, der Kollegen und vor allem der Ausbilder. Im kleinen Kreis oder im Schutz der Internet-Anonymität bricht es aus den Nachwuchspädagogen heraus: "Aaaarrggghh!" So begann vor ein paar Jahren eine Serie virtueller Frustschreie in einem Online-Forum für Referendare. Vor wenigen Tagen schrieb dort wieder jemand: "Aaaaahhhhh!" (in Wirklichkeit mit viel mehr As und hs). Ein anderer klagte über die Abwärtsspirale, die kein Ende nehme. Das Referendariat sei ein einziger "Albtraum".

Gefühlsausbrüche dieser Art ähneln sehr dem Gestöhne und Gejammer, das man auch von Schülern, vorzugsweise den pubertierenden, zur Genüge kennt. Deshalb wird es manchmal nicht so ernst genommen, wie es vielleicht nötig wäre. Umso eindrucksvoller ist das Traktat, mit dem Caroline Heinrich ihre Zeit als Referendarin aufarbeitet - und dabei von der Sprechakttheorie bis zur Philosophie Kants, Foucaults und Baudrillards schwerste philosophische Geschütze auffährt.

Furioser Versuch

Das Buch, erschienen 2011 im Passagen Verlag, soll demnächst neu aufgelegt werden. Es ist ein furioser Versuch, aus der Analyse des persönlich erlebten Leidens im Referendariat eine "Mikrophänomenologie der Macht" zu entwickeln. Das ist, wie die Autorin selbst einräumt, ein riskantes Unterfangen. Allzu leicht kann man es abtun als die pseudoüberhöhte Traumabewältigung einer Gescheiterten. Als einen verschnörkelten Akt der Rache.

Der sogenannte Vorbereitungsdienst nach dem Studium, der meist eineinhalb oder zwei Jahre dauert, soll künftige Lehrer in die Schulpraxis einführen. Er ist geprägt von Lehrproben und Prüfungen. Am Ende steht ein (zweites) Staatsexamen, dessen Note oft darüber entscheidet, ob und wann ein Referendar übernommen wird. Den Ausbildern zu widersprechen, muss man sich in dieser Lage erst mal trauen.

Willkür und Unterwerfungsgesten

Caroline Heinrich mag keine ganz einfache Referendarin gewesen sein - weil ihr Gehorsam ohne Einsicht nicht liegt. Mit einem Ausbilder geriet sie heftig aneinander, am Ende schaltete sich sogar das Ministerium ein. In welchem Bundesland die Geschichte spielt, darauf kommt es hier nicht an. Entscheidend ist die Willkür, über die Referendare vielerorts klagen. Entscheidend sind die Unterwerfungsgesten, die dem Nachwuchs abverlangt, und die indirekten Drohungen, mit denen die Machtverhältnisse klargestellt werden ("Überlegen Sie sich genau, welche Rolle Sie haben und welche wir haben!").

Wollen Referendare passabel über die Runden kommen, sind sie gut beraten, den Moden und Marotten zu folgen, denen ihre Ausbilder anhängen. Caroline Heinrich hatte das Lehramt für Deutsch und Philosophie studiert und sich vorgenommen, äußerlich gehorsam und innerlich frei zu bleiben. Doch das war nicht so einfach. Im Referendariat kann jede Handlung, jeder Satz, jede Geste hinterfragt werden, alles unterliegt permanenter Analyse und Kontrolle. "Irgendwann", schreibt Heinrich, "wird jede Handlung unter dem Gesichtspunkt möglicher Beobachtung vollzogen."

Keine Möglichkeit zur Verständigung

Wer robust und nicht zu empfindsam ist, mag damit irgendwie klarkommen und dem Prinzip folgen: Augen zu und durch! Ein Typ jedoch, der ohnehin dauernd reflektiert und sich daran gewöhnt hat, auch im Berufsleben nach Logik, Vernunft und guten Gründen zu suchen, kann dieses Spiel nicht lange durchhalten, ohne dass es Ärger gibt. So kam es auch.

Ein Fachausbilder erzählte und fragte offenkundig wirres Zeug; das jedenfalls ist Heinrichs Version, die mit dem Buch die Deutungshoheit über die Situation gewonnen hat (und damit nun ihrerseits Macht ausübt). "Was denkt ein New Yorker, wenn er in einen Hamburger beißt?" - Das ist nicht nur der rätselhafte Titel des Buches, sondern so lautete eine der Fragen, die der Ausbilder mit Blick auf ein Gedicht gestellt haben soll, um anschließend zu behaupten, "Hamburger" sei ein "Bruchwort, wo Kultur sich zeigt und verschwindet". Bitte?

Heinrich, die den Umgang mit komplizierten Begriffen, wie ihr Werk zeigt, gewiss nicht scheut, hielt das Gerede ihres Ausbilders für abstruses Zeug. Sie fühlte sich einem Mann ausgeliefert, der verrückte Fragen stellte und sich an seiner Macht ergötzte. "Es gab keine Möglichkeit für eine sprachliche Verständigung."

Eskalation in der Lehrprobe

Zur Eskalation führte ein Streit über eine Lehrprobe. In ihrem Unterrichtskonzept hatte es Heinrich gewagt, die Interpretation eines Romans, wie sie in einer Rezension der Zeit stand, zu hinterfragen. "Der Fachausbilder schäumte. Der Schulausbilder tobte: ,Als Referendarin sind Sie nicht befugt, den Redakteur einer angesehenen Wochenzeitung zu kritisieren!'"

Es kann natürlich überall vorkommen, dass zwei Menschen sich nicht verstehen. Und manchmal ist einer von beiden eben der Ausbilder oder der Chef. Muss man deshalb gleich ein philosophisches Buch darüber schreiben? Heinrich räumt ein, dass es auch positive Erfahrungen gab und zumindest ihr Fachleiter in Philosophie sie damals "gerettet" habe.

Sie glaubt aber, dass sich angehende Lehrer generell einem besonders perfiden System unterwerfen müssten: Solche Strukturen, so die Autorin, fänden sich sonst nirgendwo - es sei eine Form der Macht, die überhaupt keine Haltung mehr erkennen lasse. Tatsächlich kann man fragen, ob es gut sein kann, wenn Wohl und Wehe der Referendare so sehr von den Eigenheiten einzelner Ausbilder abhängen.

Irgendwie hat Caroline Heinrich das Referendariat dann doch abgeschlossen. Das ist nur wenige Jahre her; anschließend hat sie eine Weile als Lehrerin gearbeitet (dass sie dabei mit ihren Schülern ausschließlich in Form eines herrschaftsfreien Diskurses kommunizierte, kann man übrigens bezweifeln). Mittlerweile lehrt sie in Paderborn als Juniorprofessorin die Didaktik der Philosophie. In ihren Seminaren sitzen Lehramtsstudenten. Über ihr Buch spricht Caroline Heinrich aber nur, wenn sie jemand darauf anspricht.

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