Professoren protestieren gegen Ranking:"Veröffentliche oder krepiere!"

Mehr als 250 BWL-Professoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz wenden sich in einem offenen Brief gegen eine Rangliste des "Handelsblatts". Die Wissenschaftler werfen der Zeitung falsche Maßstäbe bei der Bewertung ihrer Fähigkeiten vor: Es gehe allein um die Zahl veröffentlichter Aufsätze - statt Klasse werde Masse honoriert.

Johann Osel

Dass die Sache solche Wellen schlagen wird, hat Alfred Kieser nicht erwartet. Der emeritierte Professor für Betriebswirtschaft der Universität Mannheim, der nun in Friedrichshafen lehrt, hat mit Kollegen einen offenen Brief verfasst. Es geht um das Betriebswirte-Ranking, das die Zeitung Handelsblatt am 10. September hier veröffentlicht, um Forschungsleistungen von Professoren zu kategorisieren - mit Personenlisten der besten deutschsprachigen Betriebswirte nach Ergebnissen der vergangenen fünf Jahre, nach dem Lebenswerk sowie die besten Nachwuchsforscher.

Siegertreppe

Ein Zehntel aller BWL-Professoren im deutschsprachigen Raum hat den offenen Brief gegen das Ranking des Handelsblatts unterschrieben.

(Foto: Marqs / photocase.com)

Und es geht um das "Prinzip Dünnpfiff" - so witzelt man in vielen Fakultäten darüber, dass Forscher immer mehr Aufsätze, oft kurz und enorm spezialisiert, nur um des Publizierens willen publizieren.

Ermittelt wird die Rangliste auf der Basis in Zeitschriften veröffentlichter Aufsätze. Ohne mich, sagt Kieser, die Maßstäbe seien falsch, und das habe fatale Auswirkungen. Mehr als 250 BWL-Professoren haben sich dem Boykott angeschlossen - von Universitäten quer durch die Republik sowie aus Österreich und der Schweiz.

Buchveröffentlichungen bleiben außen vor

Die Protestnote steht online. Das Ranking ziele nur auf die Publikation von Aufsätzen ab, Bücher blieben außen vor, beklagen die Initiatoren. Und: Die Lehre und Betreuung von Studenten oder die Mitwirkung in der Selbstverwaltung der Hochschulen gehörten doch auch zum Profil der "besten Professoren", würden aber ausgeblendet.

Methodische Mängel sieht man zudem darin, dass Aufsätze in verschiedenen Zeitschriften aufgrund der "Qualität" des Mediums unterschiedlich gewichtet werden - was längst nichts über den Wert des einzelnen Aufsatzes aussage. Vor allem aber erregen die "falschen Anreizwirkungen zum Schaden für die Wissenschaft" Unmut, wie es in dem Brief heißt. Sie veranlassten Wissenschaftler, nicht mehr das zu erforschen, "was für den Fortschritt wichtig ist, sondern das, was Ranking-Punkte bringt".

"Keine Risiken mehr"

Fazit: Innovativität nehme ab. Professoren verfolgten "keine riskanten Projekte mehr, sondern variieren in einem hohen Maße das Bewährte"; und sie würden dazu verleitet, aus ihren Projekten "so viele Aufsätze wie möglich zu pressen, indem sie identische oder fast identische Textpassagen in mehreren Aufsätzen verwenden".

Am Ende, so die Angst, könnten Berufungskommissionen an Unis sich nicht mehr inhaltlich mit den Bewerbern beschäftigen, sondern nur aufs Ranking spechten.

Beitrag gegen "extreme Klüngelwirtschaft"

Bei den Machern des Rankings heißt es: "Wir nehmen diese Kritik sehr ernst." Festzuhalten sei aber, dass die Methodik in den Wirtschaftswissenschaften international gängig sei - etwa, dass von der Qualität einer Zeitschrift auf die Qualität eines Aufsatzes geschlossen wird. Ansonsten würden Forscher ja nicht versuchen, Arbeiten zuerst in den renommiertesten Journalen zu lancieren.

Das Ranking konzentriere sich bewusst "auf die Messung der Forschungsleistung, die eine der Kernaufgaben schlechthin von Hochschullehrern ist". Man erhebe dabei nicht den Anspruch, die "besten" Betriebswirte zu benennen, sondern die "forschungsstärksten". Letztlich seien Rankings ein "Beitrag zur Transparenz". Auch gegen "extreme Klüngelwirtschaft", die es zumindest früher in der BWL bei Berufungen gegeben haben soll.

Der Druck zum permanenten Veröffentlichen wird tatsächlich, auch unabhängig von diesem Fall, als Problem registriert. "Publish or perish!", "Veröffentliche oder krepiere!", heißt eine Devise in der Wissenschaft, oft geht Quantität vor Qualität. Denn die Währung Veröffentlichungszahlen ist nicht zuletzt auch für die Einwerbung von Fördergeldern relevant.

Das "Prinzip Durchfall" kann etwa so aussehen: Ein Forscher veröffentlicht die Einzelergebnisse A, B und C, dann eine neue Publikation mit B und C mit D, danach schreibt er über C, D und E einen Aufsatz.

Ein Zehntel aller Professoren protestiert

Die bisherige Unterzeichner-Zahl des offenen Briefs stellt gut ein Zehntel aller Professoren des Fachs im deutschsprachigen Raum dar. Über die 2009 erstmals erhobene Rangliste wurde schon früher in der Fachwelt diskutiert; sie schien jedoch in der Breite akzeptiert zu sein, hat auch viele Befürworter. Manche argumentieren, dass es auf den Umgang mit Rankings ankomme - also dass man sich bei Berufungsverfahren nicht daran orientierten solle.

Kieser sieht dagegen einen Trend zur Abkehr vom Ranking-Denken. In seiner Mannheimer Abschiedsvorlesung 2010 hatte er bereits die "Tonnen-Ideologie der Forschung" gerügt, die Orientierung an Leistungskennziffern. Auf der Strecke blieben dabei Eigenheiten verschiedener Fachbereiche: "Die Feststellung, dass der eine Nummer eins und damit besser als die Nummer zwei ist, wäre so sinnvoll wie die, dass Tiger Woods im Vergleich mit Roger Federer der bessere Sportler ist."

Auch Soziologen rebellieren

Kürzlich hatte auch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie eine Rangliste ins Visier genommen - das Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Sie tadelte die Methodik der Entscheidungshilfe für Studenten, die bundesweit die Standorte einzelner Fächer analysiert.

Problematisch wirke sich das CHE-Ranking politisch aus, da es Ministerien "zu simplifizierenden Lesarten einladen" könne. Etwa zu Sparmaßnahmen bei einem vermeintlich schlechten Studiengang.

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