Poetry-Slam in Leipzig:"Die Leute hier lachen nicht über ganz dummes Zeug"

Andre Hermann

Andre Hermann

(Foto: Clemens Haug)

André Herrmann hatte keine Lust auf einen Bürojob, also feilte er neben dem Studium an einer Karriere als Slam-Poet. Heute schreibt er Skripte für TV-Comedy. Im Interview erzählt er, wie man in Leipzig Witzemachen zum Beruf macht.

Von Clemens Haug

Leipzig ist Dichterstadt: Schon Goethe vernachlässigte sein Jurastudium und besuchte lieber Poetikvorlesungen. Heute würde man ihn vielleicht bei einem der zahlreichen Poetry-Slams in der Stadt treffen. Dort beginnen moderne Dichter ihre Karriere. Julius Fischer und Christian Meyer zum Beispiel. Sie moderieren inzwischen im MDR die Sendung "Comedy mit Karsten". Die Witze werden hinter den Kulissen produziert: André Herrmann ist einer der Autoren, die für die Sendung arbeiten. Doch Herrmann scheut auch das Rampenlicht nicht, zusammen mit Julius Fischer tritt er als "Team totale Zerstörung" regelmäßig bei Poetry-Slams auf. Im Interview erzählt er, wie er vom Studenten zum Drehbuchschreiber wurde und was die Slam-Szene in Leipzig ausmacht.

SZ.de: André, wie bist du zum Fernsehen gekommen?

André Herrmann: Ich bin ja nicht wirklich beim Fernsehen, ich schreibe für die Leute dort. Unterbewusst stand dahinter wohl immer schon ein Wunsch: Ich wollte nie morgens um acht Uhr im Büro sein müssen. Das hatte ich vor meinem Studium schon einmal, damals habe ich als Programmierer gearbeitet. Das brauche ich nicht wieder.

War also deine Karriere als Autor schon geplant, als du in Leipzig dein Politikstudium begonnen hast?

Ich bekam kein Bafög. Um wenigstens ein bisschen Geld zu haben, habe ich den ganzen Monat Poetry-Slams gemacht und für meine acht bis zehn Auftritte etwa 400 Euro bekommen. Ein Kollege von mir hat mal gesagt, man kann von Slam leben. Pro Veranstaltung bekommt man fünfzig Euro, bei 30 Slams im Monat käme man auf 1500 Euro. Ob das das Richtige ist, ist die andere Frage.

Man muss die Witze dann wie ein Maschinengewehr abfeuern.

Und sehr viel Kondition haben - und Lust, die ganze Zeit herumzureisen. Zu Beginn hat man die auf jeden Fall. Ich bin auch wie ein Bescheuerter durch ganz Deutschland und bis in die Schweiz gefahren. Das mache ich immer noch gerne, aber nicht jeden Tag.

Du lebst und arbeitest in Leipzig. Wie dankbar ist das Slam-Publikum dort?

Ich mag es sehr gern. Die Leute lachen hier viel, aber nicht über alles, nicht über ganz dummes Zeug. Ein paar kluge Gedanken müssen schon hinter einer Pointe stecken. Im Laufe der Zeit hat sich in Leipzig eine gute Infrastruktur entwickelt. 2007, als ich angefangen habe, gab es hier nur einen kleinen Slam im Club "Ilses Erika", außerdem ein paar offene Bühnen.

Wie kommt man von der Slam-Bühne zu einem Job beim MDR?

Julius und Christian haben irgendwann den Westslam im Neuen Schauspiel gestartet. Dorthin kam der Unterhaltungschef vom MDR, fand die beiden zusammen toll und hat sie gefragt, ob sie nicht eine Sendung zusammen machen wollen. Mich haben die Leute vom Sender auf einer anderen Veranstaltung kennengelernt und mir angeboten, die Texte für die Sendung zu schreiben. Ich hatte also einfach Glück.

Der MDR hat sich auf Leipzigs Slam-Bühnen umgeschaut

Poetry-Slam als Sprungbrett funktioniert also wirklich?

Ja, man sieht das an den vielen Kabarett- und Comedy-Wettbewerben. Bei fast jeder Runde ist jemand dabei, der vom Slam kommt. Auch in den Verlagsvorschauen stammt immer häufiger jemand aus der Szene.

Der MDR hat sich zuvor nicht gerade durch Subkultur profiliert. Warum interessieren sich die Redakteure plötzlich für Slam-Poetry?

Wahrscheinlich genau deswegen: Der Sender hat realisiert, dass ihm die Gunst der jungen Zuschauergruppen verloren geht. Deshalb haben sie vor ein, zwei Jahren angefangen, ihre Fühler auszustrecken. Und weil die Fernsehabteilung nun mal in Leipzig sitzt, haben sie sich hier umgeschaut.

Haben junge Studenten, die heute neu nach Leipzig kommen, immer noch die Möglichkeit, in dem Bereich Fuß zu fassen?

Na klar. Die Szene wächst, zum Beispiel ist der Slam-Organisator LivelyriX aus der kleinen Ilse in die große Distillery umgezogen. Aber auch kleine Bühnen gibt es noch, etwa beim Westslam im Neuen Schauspiel. Ich glaube sogar, dass es einfacher geworden ist, Geld mit Slam-Poetry zu verdienen - auch als Anfänger.

Warum?

Die Szene hat sich professionalisiert. Es gibt Leute, die das alles aufgebaut haben und die nun Geld für Jobs bezahlen können. Inzwischen findet ein Best-of-Slam sogar in der Musikalischen Komödie, also in einer staatlichen Kultureinrichtung, statt. Die haben ein richtiges Budget für die Künstler.

Dann gibt es bald mehr professionelle Slam-Poeten?

Ich wäre da vorsichtig. Manchmal gewinnen Leute 200 Euro beim Slam und denken: Krass, davon kann man ja leben. Dann brechen sie ihr Studium ab, und stellen fest, sie müssen plötzlich wesentlich mehr für ihre Krankenversicherung zahlen. Man sollte sich ganz sicher sein, ob es sich wirklich lohnt, für die Kunst das Studium abzubrechen.

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