Plagiats-Affäre:Wie schwer die Vorwürfe gegen von der Leyen wiegen

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Textvergleich: Auszug aus der Doktorarbeit von Ursula von der Leyen und einer ihrer Quellen. (Foto: SZ-Grafik: Michael Mainka; Quelle: Vroniplag Wiki)
  • Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begegnet den Vorwürfen bezüglich ihrer Doktorarbeit mit harschem Ton.
  • Hinter der Webseite VroniPlag Wiki stehen aber einige namhafte Wissenschaftler.
  • Auf 27 von 62 Seiten der Dissertation finden sich Plagiate. Die Vorwürfe werden jetzt von einer Kommission der Medizinischen Hochschule Hannover überprüft.

Von Roland Preuß, München

Der Ton ist gereizt, und er lässt bereits ahnen, wie Ursula von der Leyen mit den Vorwürfen umgehen will. "Es ist nicht neu, dass Aktivisten im Internet versuchen, Zweifel an Dissertationen namhafter promovierter Politiker zu streuen", ließ sie am Samstag einen Sprecher des Verteidigungsministeriums verbreiten. Nun hätten "dieselben Aktivisten" auch ihre Doktorarbeit "ins Visier genommen". Am Sonntag dann legte sie selbst mit fast den gleichen Worten nach. Aktivist, das klingt nach unprofessionellen Zottelbärten, die politische Ziele verfolgen - und das auch noch im anarchischen Internet, wo Politiker ja ohnehin gerne und ungestraft mit Dreck beworfen werden.

Diese Aktivisten allerdings haben einen Namen, und zwar keinen schlechten: die Mitarbeiter von Vroniplag Wiki haben bereits zahlreiche Dissertationen gründlich auf Plagiate hin untersucht, unter ihnen die der FDP-Europapolitikern Silvana Koch-Mehrin und ihres früheren Parteikollegen im Europaparlament, Jorgo Chatzimarkakis. Beide mussten auf ihre Doktortitel verzichten. Eine Prüfung durch ihre Universitäten hatten die Plagiatsvorwürfe bestätigt. Im Kernteam der grundsätzlich offenen Vroniplag-Plattform arbeiten einige Wissenschaftler, unter ihnen mehrere Professoren. Nichtsdestotrotz setzt Ursula von der Leyen nun auf ihre Alma Mater, die Medizinische Hochschule Hannover, die die Vorwürfe durch eine "fachkundige und neutrale Ombudsstelle" überprüfen solle, wie sie sagte.

Auf 27 von 62 Seiten wurden Plagiate gefunden

Die Vorwürfe, mit denen sich die Hochschule bereits beschäftigt, sind gravierend: 62 Seiten umfasst der Hauptteil der Dissertation, auf 27 davon haben die Mitarbeiter des Wikis nach eigenen Angaben Plagiate gefunden und dokumentieren diese im Netz. Dies entspricht einem Anteil von 43,5 Prozent aller Seiten, also annähernd die Hälfte. Nimmt man die Textlängen als Maßstab, so stuft Vroniplag rund zwölf Prozent des Hauptteils der Dissertation, ohne Einleitung und Literaturverzeichnis, als Plagiat ein. Auf den ersten Blick mag vieles als Kleinkram erscheinen, einzelne, übernommene Sätze oder sogar nur Satzteile. Anschaulicher werden die unsauberen Textübernahmen auf drei Seiten, die laut Vroniplag zu mehr als der Hälfte aus Plagiatstext bestehen, auf fünf weiteren Seiten sind es mehr als drei Viertel des Textes.

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Auf einer dieser Seiten, Seite 22 der Doktorarbeit, werden demnach zum Beispiel Formulierungen aus einem Aufsatz des Wissenschaftlers Jörg Fehr von 1988 großzügig übernommen, ohne dass von der Leyen diese Stellen zitiert oder ihn auch nur nennt ( siehe Darstellung). Lediglich auf der Seite davor wird Fehr kurz erwähnt, jedoch wird für den Leser damit das Ausmaß der Übernahmen nicht deutlich. Nach den gängigen Maßstäben ist dies ein Verstoß gegen die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens und ein Plagiat.

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Grundsätzlich geht es darum, dass die Autorin an zahlreichen Stellen wörtliche Formulierungen, zum Teil abgewandelt, übernimmt, ohne den Urheber dafür zu nennen. Die geistige Arbeit anderer wird im Plagiat als eigene Leistung verkauft. "Es ist eine Arbeit, die wissenschaftlichen Maßstäben nicht genügt", sagt Gerhard Dannemann von Vroniplag Wiki. Der Professor lehrt an der Berliner Humboldt-Universität Englisches Recht sowie Britische Wirtschaft und Politik. Laut Dannemann rechtfertigt es der Befund, dass von der Leyen ihren Doktortitel verliert. "Vroniplag stellt nichts auf die Homepage, wenn eine Aberkennung des akademischen Grades nicht grundsätzlich gerechtfertigt wäre."

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Hinzu kämen viele Fehler, etwa wenn die Autorin Aussagen mit Quellen belege, die das Gesagte gar nicht untermauerten. Auf Seite 22 der Arbeit findet sich auch hierzu ein Beispiel: Dort führt von der Leyen als Beleg für ihre Ausführungen über Proteine die Veröffentlichung von Irving Kushner und weiteren Autoren an. Darin sei jedoch "an keiner Stelle" von diesem Thema die Rede, heißt es trocken bei Vroniplag Wiki. "Auffällig ist die Kombination von Abschreiben und dem Übernehmen von Fehlern, denen die Autorin weitere hinzufügt", sagt Dannemann.

Doktorarbeiten im Fach Medizin haben schlechten Ruf

Der Juraprofessor wirft der Verteidigungsministerin weitere Irrtümer vor, die gravierendere Folgen haben könnten als mangelhafte Quellennachweise an sich. So schreibe sie in einem Szenario davon, dass Fieberzacken ein Symptom seien, also rasch an- und abschwellendes Fieber. Tatsächlich sei jedoch in der als Nachweis genannten Quelle lediglich von Fieber die Rede, das Symptom sei also falsch beschrieben. "Wer sich an dieser Dissertation orientiert, könnte eine falsche Diagnose stellen", sagt Dannemann.

Ursula von der Leyen hatte ihre Dissertation über die Diagnose von Krankheiten vor der Geburt an der Medizinischen Hochschule Hannover 1990 vorgelegt und im Jahr darauf ihre Doktorprüfung bestanden. Der Haupttext umfasst lediglich 62 Seiten, was aber für sich genommen keinen Qualitätsmangel darstellt. Bei vielen Wissenschaftlern haben Doktorarbeiten im Fach Medizin einen schlechten Ruf, sie enthielten oft zu wenig Substanz und seien im Vergleich zu anderen Fächern mit wenig Aufwand zu erstellen. Auch über die Wissenschaftlichkeit der Texte wird mitunter gelästert. Dies spiegelt sich auch in öffentlich gewordenen Plagiatsfällen wider: Unter den 151 bei Vroniplag dokumentierten Arbeiten stammen 85 aus dem Bereich Medizin. Grundsätzlich gelten dort freilich dieselben Regeln für wissenschaftlich sauberes Arbeiten wie in anderen Fächern auch; Plagiate lässt keine Disziplin zu, trotz unterschiedlicher Zitierkulturen.

Im Fall Schavan hatte sich die Untersuchung monatelang hingezogen

Nun hängt viel von der Medizinischen Hochschule Hannover ab. Dort ist bereits eine Ombudsperson damit befasst, die Vorwürfe zu prüfen. Dies findet vertraulich statt, wie ein Sprecher der Hochschule versichert. Am Ende dieser Vorprüfung geht ein Bericht an die Hochschulleitung. Dieser wird bereits in den nächsten Tagen erwartet. Danach ist laut Hochschule damit zu rechnen, dass eine Kommission zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis eine förmliche Untersuchung einleitet. Das heißt, die Vorwürfe würden dann durch mehrere Wissenschaftler gründlich untersucht. Diese Kommissionen sprechen in der Regel eine Empfehlung aus, über die dann Hochschulgremien befinden. Jene wiederum können dann den Verlust des Doktortitels einleiten - oder die Vorwürfe als nicht schwerwiegend genug einstufen.

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Die Jagd nach Plagiaten macht er zu Geld: Martin Heidingsfelder lässt sich dafür bezahlen, dass er die Dissertationen von Politikern auf wissenschaftlichen Betrug hin untersucht. Mit der Seite Politplag nimmt er die Kandidaten der Bundestags-und Landtagswahlen 2013 ins Visier.

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Im Fall der früheren Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte sich diese Untersuchung monatelang hingezogen, zudem war der vertrauliche Bericht des Vorprüfers an die Öffentlichkeit gelangt. Schavan hatte die zuständige Universität deshalb scharf kritisiert. Am Ende jedoch verlor sie ihren Doktortitel und ihr Amt in Berlin.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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