Plagiatsaffären:Nur die Wissenschaft weiß, was Wissenschaft ist

Die jüngsten Skandale des akademischen Betriebs künden von einer Gefahr: Durch die Dominanz des juristischen Diskurses geraten wissenschaftliche Selbstverständlichkeiten in den Hintergrund. Dabei ist die Wissenschaft selber der einzig sinnvolle Gerichtshof der Wissenschaft.

Von Johan Schloemann

Der Rat der Philosophischen Fakultät der Düsseldorfer Universität - niemand anders - hat Annette Schavan ihren Doktortitel entzogen. Die Unselbstständigkeit von diversen Passagen in der Dissertation, deren Unselbstständigkeit die Autorin aber nicht explizit ausgewiesen hatte - eine Mindestanforderung wissenschaftlichen Arbeitens -, liegt auf der Hand. Allerdings legt die Entscheidung des Düsseldorfer Fakultätsrates die Latte ziemlich hoch. Wenn dieselben Maßstäbe, was den Anteil an Unselbstständigkeit, an Paraphrasieren und Kompilieren angeht, an alle existierenden Dissertationen in allen Fächern angelegt würden, müsste wohl auch so manch anderer Text auf den Prüfstand, und die Prüfung wäre auch konsequenter als bisher auf nicht- prominente Promovierte anzuwenden. Noch besser wäre es allerdings, würden weniger mittelmäßige Dissertationen überhaupt entstehen, also weniger Promotionsverfahren veranstaltet.

So gesehen, gibt es auch viel unangenehmen populären Hochmut im Fall von hervorgehobenen Persönlichkeiten mit Doktortitel, die man gerne fallen sieht. Für solchen moralischen Triumphalismus gibt es keinen Anlass und keinen Bedarf. Zudem darf man nicht vergessen: Auch ohne Zitierfehler muss eine Doktorarbeit, die an der Universität Düsseldorf im Jahr 1980 entstand, nicht unbedingt ein Meisterwerk sein - diese Einrichtung, ehemals Medizinische Akademie Düsseldorf, war damals nicht gerade berühmt für eine Ballung wissenschaftlicher Exzellenz, und es gab damals in Nordrhein-Westfalen genug angesehenere Universitäten in der Nähe - Köln, Bonn, Bochum, Münster, Bielefeld.

Zur Ansicht der Plagiatsstellen in Schavans Doktorarbeit in die Grafik klicken.

Das eigentlich Fatale an dem Fall ist aber das Verhalten von Annette Schavan. Sie ist die Wissenschaftsministerin dieses Landes. Wenn sie ihre Anwälte ein paar Minuten nach der Bekanntmachung der Entscheidung der Fakultät ankündigen lässt, dagegen eine Klage vor dem Verwaltungsgericht anzustrengen, spricht das der Autonomie der Universität Hohn. Auf dieser Autonomie fußt aber das ganze Ansehen von Lehre und Forschung in Deutschland, wofür die Wissenschaftministerin ja eigentlich einzustehen hat.

Damit setzt sich ein gefährlicher Trend fort, der auch im Fall Guttenberg zu beobachten war: die Verrechtlichung von inhaltlichen Entscheidungen, die eigentlich in den Bereich der akademischen Freiheit, in den Bereich von fachlicher Reputation gehören. Der Öffentlichkeit wird seit der Causa Guttenberg der falsche Eindruck vermittelt, dass die Entscheidung über Qualifikationsarbeiten und akademische Grade auch von Anwälten und Gerichten gefällt werden könnte.

Schiefe Überlegungen über Vorsatz und der Pleonasmus "absichtliche Täuschung" - als gäbe es in der Forschung eine unabsichtliche Täuschung! - dringen so in einer wissenschaftsfremden Weise in die Wissenschaft ein. So wie die Verrechtlichung, nicht selten zur Erlangung eigener Vorteile, überhaupt in Bereiche der Gesellschaft eindringt, in denen sie als dominantes Denken nichts zu suchen hat: Familie, Religion, Bildungseinrichtungen. Jürgen Habermas hat diese Neigung zur Verrechtlichung - als individuelles Anspruchsdenken und Formalisierung sozialer Beziehungen - in seiner "Theorie des kommunikativen Handelns" von 1981 eingehend untersucht.

Vergessene Selbstverständlichkeiten

Die Dominanz des juristischen Diskurses in der Plagiats-Diskussion führt dazu, dass man inzwischen Selbstverständlichkeiten wieder wortreich bewusst machen muss: Bei einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit kann es keine unabsichtliche Täuschung geben, weil die Erkenntnis über die Täuschungsfreiheit des Textes selber Teil der geprüften wissenschaftlichen Leistung ist. Das heißt: Das Verständnis, dass bestimmte Zitate im eigenen Text nicht korrekt ausgewiesen sind - was man spätestens beim letzten Korrekturdurchgang durch die eigene Arbeit merkt -, dieses Verständnis gehört zu der wissenschaftlichen Qualifikation, die mit dem Text der Arbeit nachgewiesen werden soll.

Studenten feiern Abschluss in Bonn

Der Doktor ist zum öffentlichen Streitfall geworden. Diesen Studenten der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn ist das zumindest für den Moment egal - sie feiern ausgelassen ihren Abschluss.

(Foto: dpa)

Am Ende stellt sich, wenn verdächtige Passagen auffallen, nur die Frage, wie die Zitierfehler im Verhältnis zur Gesamtleistung der Arbeit, zu ihrer Qualität oder Originalität zu bewerten sind. Diese Bewertung kann allein die Institution abgeben, die sich selbst ihre wissenschaftlichen Maßstäbe setzt, die Universität also und ihre jeweilige Fakultät als Gemeinschaft der Lehrenden und Forschenden - also die Leute, die ihren wissenschaftlichen Ruf durch regelmäßiges Unterrichten und Publizieren unter Beweis stellen. Die Wissenschaft selber ist der einzig sinnvolle Gerichtshof der Wissenschaft.

Diente die Dissertation in Deutschland nur der akademischen Laufbahn wie in anderen Ländern, dann käme es nicht zu den Konflikten in der Öffentlichkeit, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Aber der Doktortitel dient eben hierzulande auch als bürgerliche Zusatzqualifikation und als Kompensation für den mäßigen Ruf einzelner Universitäten und ihrer einfachen Studienabschlüsse. Das wird man nicht auf einen Schlag ändern können oder wollen.

Aber wenn nun einmal das Doktorat auf diese Weise zu einem öffentlichen Streitfall werden kann - besonders, wenn es um die persönliche Glaubwürdigkeit von Politikern geht -, dann sollten die entscheidenden Akteure nicht den Irrglauben verbreiten, es gäbe in Fragen wissenschaftlicher Qualifikationen eine juristisch ermittelbare Wahrheit, die unabhängig von den Institutionen und Usancen der Wissenschaft zu ermitteln wäre. Diese Unterstellung, die von den angekündigten juristischen Schritten von der Wissenschaftsministerin ausgeht, ist für das Ansehen und die Autonomie der deutschen Universität und Wissenschaft sehr viel bedrohlicher als irgendeine einzelne, unerhebliche erziehungswissenschaftliche Doktorarbeit aus Düsseldorf.

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