Pläne zur Vereinheitlichung des Abiturs:Beruhigungsmittel für die Eltern

Die Kultusminister bemühen sich seit Jahren, etwas an der Kluft zwischen den Abschlüssen in den einzelnen Bundesländern zu ändern. Der nun vermeldete Durchbruch ist aber wahrlich keine Bildungsrevolution in den Klassenzimmern der Kinder - er zielt vor allem auf die Eltern.

Johann Osel

Wenn auf bayerischen Abiturbällen zu später Stunde und vielleicht weinselig höhere Küchenphilosophie betrieben wird, kann durchaus ein spottendes Wort über die Gymnasiasten anderer Bundesländer fallen. Dann behaupten stolze Eltern schon mal, dass ihr Sprössling das Abiturniveau von Bremen oder Nordrhein-Westfalen bereits mit dem Stoff der zehnten Klasse erfüllt habe. Lässt man den Dünkel im Süden beiseite, so bleibt doch, dass Abiturprüfungen stark variieren.

Die Argumente dafür, die Tests bundesweit zu vereinheitlichen, sind nicht von der Hand zu weisen. Wenn der Lernabstand zwischen Ländern ein oder gar zwei Jahre beträgt, wenn junge Leute mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen an die Universitäten gehen, wenn bei einem Umzug Kinder Klassen wiederholen müssen, dann ist das - Bildungsföderalismus schön und gut - ein Missstand.

Die Kultusminister bemühen sich seit Jahren, hieran etwas zu ändern. Nun melden sie einen "Durchbruch"; und viele Bürger glauben, es werde sich alsbald eine veritable Bildungsrevolution in den Klassenzimmern ihrer Kinder abspielen. Dem aber ist nicht so. Der Beschluss ist ein sachter Schritt zu mehr Einheitlichkeit. Die Minister wollen die Einführung bundesweiter Standards beim Abitur forcieren, sodass sich die Länder in fünf Jahren freiwillig aus einem gemeinsamen Aufgaben-Pool bedienen können. Eine Gruppe von fünf Ländern will früher damit starten. Aber Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat nicht einmal ein landesweites Zentralabitur.

Die Erarbeitung gemeinsamer Bildungsstandards, die Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllen sollen, hat für verschiedene Schultypen schon nach dem ersten Pisa-Schock vor zehn Jahren begonnen. Wären die Minister von solchen Standards abgerückt, hätten sie die Kultusministerkonferenz gleich auflösen können.

Der länderübergreifende Aufgaben-Pool soll erst einmal Eltern beruhigen, die ausweislich von Umfragen mehrheitlich für ein zentraleres Abitur plädieren. Zu viel an dem Vorschlag ist bislang schwammig. Der Pool ist nur sinnvoll, wenn auch die Lehrpläne angeglichen werden und der Weg zum Abitur überall gleich lange dauert - was beides heikel werden dürfte. Hinzu kommt, dass in den jetzigen Plänen die Pool-Aufgaben zusätzlich zum normalen Abitur erledigt werden sollen. Den Sturmlauf der Lehrer, die dann mehr zu korrigieren hätten, und der Schüler, auf die zusätzliche Test zukämen, will man sich noch gar nicht ausmalen. Nicht zuletzt untergräbt die Freiwilligkeit das Projekt. Die jetzigen Zweifler werden ihre Meinung ohnehin kaum ändern. So ist der Beschluss ein Grundstein, mehr nicht.

Am Ende steht und fällt das Schulsystem freilich nicht mit einem einheitlicheren Abitur. Vielen gelten das Gymnasium und die Reifeprüfung zwar nach wie vor als Eintrittskarte in die bildungsbürgerliche Gesellschaft, die bei Debatten um Schulreformen stets besonders vehement verteidigt wird. Die emotionale Aufladung des Abiturs passt aber nicht mehr in die Zeit. Gut die Hälfte der 20- bis 30-Jährigen besitzt derzeit die Hochschulreife. Die ist keineswegs gleichbedeutend mit dem herkömmlichen Abitur, es zählen auch Abschlüsse von Oberschulen dazu. Zudem boomt das Studium etwa beruflich qualifizierter Handwerker.

Wenn zum Ende dieses Jahrzehnts die Studienanfängerwelle der geburtenstarken Jahrgänge abflaut und eine ganze Generation in Rente geht, wird die Nachfrage nach akademisch gebildetem Personal weiter steigen. Deshalb sind die Hochschulzugänge vielfältig geworden, und ein Studium ist - zu Recht - keine exklusive Sache mehr. Viele Hochschulen haben auch den Abschluss zu einem Faktor unter vielen bei der Studentenauswahl gemacht und prüfen lieber selber, was ein Bewerber kann. Bildungsromantik beim Abitur und Fachkräftemangel passen immer schlechter zusammen.

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