Petition gegen Homosexualität im Unterricht:Wider die Toleranz

Gymnasium in Niedersachsen

Bislang kommt die Aufklärung über alternative Lebens- und Liebesformen im Unterricht zu kurz - auch deshalb ist Homophobie in der Schule ein Problem. (Symbolbild)

(Foto: dpa)

Mehr als 68.000 Menschen haben eine Online-Petition unterzeichnet, die sich gegen Homosexualität als Unterrichtsthema wendet. Dabei wären die Pläne der baden-württembergischen Landesregierung wichtig, um die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" an Schulen zu fördern - "Schwuchtel" ist eine gängige Beleidigung auf Pausenhöfen.

Von Johanna Bruckner

Spätestens in der Schule lernen Kinder Toleranz, im Umgang mit Mitschülern und Lehrern, gegenüber Themen, Weltanschauungen und Lebensstilen. Manchmal hört die Toleranz in der Schule aber auch auf. Zumindest drängt sich dieser Eindruck auf angesichts einer Petition, die ein Realschullehrer aus Baden-Württemberg gestartet hat. Der Pädagoge wendet sich gegen die Pläne der grün-roten Landesregierung, die "Akzeptanz sexueller Vielfalt" an den Schulen zu fördern. Unter dem Schlagwort "Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens" wirbt er im Internet um Unterstützer. Bis heute haben sich mehr als 68.000 Menschen für die Petition eingetragen, die seit Ende November online ist.

Darin propagiert Initiator Gabriel Stängle, der auch Leiter des Referats Erziehung, Bildung und Schulpolitik im baden-württembergischen Realschullehrerverband ist, ganz offen homophobes Gedankengut. So kritisiert er unter anderem, dass laut Bildungsplan im Unterricht künftig "verschiedene Formen des Zusammenlebens von/mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Transsexuellen und Intersexullen (LSBTTI)" thematisiert werden sollten, wobei die "negativen Begleiterscheinungen eines LSBTTIQ-Lebensstils" (das Q steht noch zusätzlich für das englische "queer") vernachlässigt würden. Als solche benennt der Lehrer beispielsweise eine "höhere Suizidgefährdung unter homosexuellen Jugendlichen" und eine "erhöhte Anfälligkeit für Alkohol und Drogen".

Stängle, der in einer christlichen Gemeinschaft aktiv ist, musste seine Äußerungen auf Anweisung der Betreiber der Petitionsplattform "Open Petition" bereits entschärfen. Auch eine Strafanzeige wegen Verunglimpfung und Volksverhetzung ging gegen ihn ein. Diese ist zwar vom Tisch: Der zuständigen Staatsanwaltschaft in Tübingen zufolge sind Stängles Äußerungen in der jetzigen Form von der Meinungsfreiheit gedeckt. Doch die Diskussion um schulische Toleranzlehre hat vor dem Hintergrund des Coming-outs von Ex-Fußballprofi Thomas Hitzlsperger gerade erst begonnen.

Homophobie auf dem Schulhof

Wie aufgeklärt darf Schule sein? Wie viel Aufklärung muss sie leisten, damit Jugendliche sich ohne Angst vor sozialer Ausgrenzung zu ihrer Sexualität bekennen können? Einsamkeit sei ein großes Problem für junge Homosexuelle, sagt Diplom-Soziologe Rainer Schütz, Geschäftsführer des Vereins "Nummer gegen Kummer". Vielleicht mehr noch als im Sport ist Homophobie in der Schule ein Problem - vor allem, aber nicht nur in ländlichen Regionen. "Schwuchtel" ist nach einer Studie der Humboldt-Universität Berlin ein gängiges Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen.

Die mangelnde Sensibilität unter Schülern hängt auch damit zusammen, dass zu wenig über das Thema gesprochen wird. In Baden-Württemberg, aber beispielsweise auch in Bayern herrscht nach wie vor ein sehr konservatives Verständnis von Sexualerziehung. Meist wird irgendwann in der Mittelstufe im Biologieunterricht über die körperlichen Aspekte von Sexualität geredet, die Thematisierung von sozialen Konzepten wie Liebe und Beziehung ist in den Religions- bzw. Ethikunterricht ausgelagert. Ob und wie dort auch über Homosexualität gesprochen wird, liegt im Ermessen der einzelnen Schulen und Lehrer. Bislang.

"Schritt zur Normalität"

"Unser Ziel ist eine Schule, in der Offenheit und Toleranz noch stärker gelebt werden", bekräftigt Stängles oberster Dienstherr, Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Der neue Bildungsplan favorisiere dabei nicht, wie im Rahmen der Petition impliziert, die Interessen von Lesben und Schwulen vor denen anderer gesellschaftlicher Gruppen. Jedoch sei das Thema Homosexualität in der Vergangenheit im Schulkontext manchmal "weggedrückt worden, nach dem Motto: Gibt es nicht und darf es nicht geben". Dass der neue Bildungsplan Lehrer nun dazu anhalte, die Thematik fächerübergreifend in angemessener Form zu behandeln, sei im Vergleich zum Stand in anderen Bundesländern ein "Schritt zur Normalität".

Stoch ist "wütend" über die populistische Petition, die einzig dazu da sei, "bei Eltern Ängste zu schüren". Das schafft sie auch deshalb, weil Initiator Stängle die an Menschenverachtung grenzenden Passagen geschickt weiter unten auf der Seite platziert hat. Weiter oben suggerieren Sätze wie "Wir unterstützen das Anliegen, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle nicht zu diskriminieren" einen differenzierten Umgang mit dem Thema.

Davon hat sich augenscheinlich auch die baden-württembergische CDU täuschen lassen. Fraktionschef Peter Hauk sagte in Richtung der Landesregierung, es gebe keinen Anlass, die Petenten zu kritisieren. "Wenn man diese Diskussion um Toleranz im Bildungsplan führt, muss man auch tolerant gegenüber denjenigen sein, die dort andere Auffassungen vertreten."

Kritik an der Petition kommt mittlerweile nicht nur vom Kultusministerium, an breiter Front formiert sich Widerstand gegen den Widerstand. Unter anderem der Realschullehrerverband hat sich von seinem Mitglied Stängle und dessen Äußerungen ausdrücklich distanziert. Gegen den Pädagogen läuft außerdem eine Dienstaufsichtsbeschwerde: Beamte müssen sich an bestimmte Regeln halten - dazu gehört auch das Mäßigungsgebot.

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