Noten in der Schule:"Eine hingeklatschte Fünf ist nicht hilfreich"

Zeugnisse sind geschrieben

"So aussagekräftig wie nur möglich"; Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Philologenverbands, über Noten.

(Foto: dpa)

Viele Schüler fragen sich nicht nur vor der Zeugnisvergabe: Wie gerecht sind die Zensuren? Gibt es Alternativen? Der Chef des Philologenverbands kennt kein System, das so "praktikabel und transparent funktioniert".

Von Johann Osel

Kurz vor den Zeugnistagen an vielen Schulen in Deutschland und dem Noten-Schluss in Bayern hat sich der Vorsitzende des Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, für den Erhalt von Schulnoten ausgesprochen. Die Zensuren seien "so aussagekräftig wie nur möglich" und "über die Summe hinweg sicherlich gerecht", sagte Meidinger im Interview mit der Süddeutschen Zeitung: "Dass ein Schüler ein Zeugnis erhält, das insgesamt nicht seinen Leistungen entspricht, ist kaum vorstellbar." Noten müssten aber "pädagogisch vermittelt werden, ein Lehrer muss sich mit dem Schüler hinsetzen und erläutern, wie er sich verbessern kann. Eine hingeklatschte Fünf ist nicht hilfreich. Eine Benotung, die Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigt und klarmacht, dass jemand nicht als Fünferkandidat abgestempelt ist, dagegen schon".

In Wissenschaft und Politik steht das klassische Noten-System immer wieder in der Kritik. Die Zensuren abzuschaffen und durch sogenannte Leistungsstand-Gespräche und Textzeugnisse zu ersetzen - das ist in Politik und Wissenschaft längst keine Einzelmeinung. Einige Länder wie Schleswig-Holstein, und Bremen verzichten schon auf Noten in bestimmten Stufen, vor allem in der Grundschule, beziehungsweise räumen Schulen Flexibilität ein. "Die meisten Schüler haben ein gesundes Verhältnis zu Noten - realistischer als mancher Politiker, Experte oder Erziehungsberechtigter. Ich kenne kein System, das so praktikabel und transparent funktioniert wie Noten, obwohl ich mich seit Jahren auch mit den Alternativen beschäftige", sagte Meidinger, angesprochen auf den Trend im System. "Schule hat die Pflicht zur Bewertung. Aus Noten werden Zeugnisse, aus Zeugnissen werden Abschlüsse, darum geht es am Ende."

Sitzenbleiben als "pädagogisches Mittel"

Der Philologen-Chef, der Schulleiter eines Gymnasiums im bayerischen Deggendorf ist, warnte vor den gesellschaftlichen Folgen eines Noten-Verzichts: "Die Bewertung ist nicht der Kern von Schule, aber gehört dazu. Wenn es nicht die Schule tut, dann tun es andere; und dann greifen knallharte Mechanismen, wenn es um die Zukunft der jungen Leute geht und um Chancen: klassischer gesellschaftlicher Konkurrenzkampf. Mit gerechter Bewertung und Pädagogik hat das nichts mehr zu tun." In dem Moment, wo Schule sich aus der Leistungsbewertung zurückziehe, "werden wieder alte Muster greifen, wenn es zum Beispiel um eine Stelle geht - das Elternhaus mit seinem Status, mit sozialem Kapital wie Manieren und Kontakten, auch echtes Kapital, das in teure Sprachreisen fließen könnte".

Meidinger rügte in dem Zusammenhang auch die zunehmende Abschaffung des Sitzenbleibens, eine Klassenwiederholung sei "keine Strafmaßnahme, sondern ein pädagogisches Mittel. Wenn ein Schüler trotz oft zusätzlicher Förderung das Klassenziel in gleich mehreren Fächern nicht schafft, braucht er Hilfe. Etwa die Chance, den Stoff in Ruhe aufzuholen". Seit Jahren streiten die Länder über Alternativen zum Sitzenbleiben, bundesweit setzt sich aber immer stärker der Gedanke durch, Wiederholer-Quoten zu senken und stattdessen individuelle Förderung auszubauen.

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