Notebooks in Problemschulen:Interaktiv statt lustlos

Lernen am Rechner ist längst kein Privileg reicher Gymnasiasten mehr. In Berlin setzt eine Problemschule auf digitale Technik. Die Noten der Schüler sind zwar noch nicht besser geworden - doch die Lehrer verzeichnen erste Fortschritte.

Carsten Janke

Sie seien ihrer Zeit weit voraus, schrieb Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) den Schülern und Lehrern der Heinrich-Mann-Schule ins Gästebuch, als er vor einem Monat in Berlin-Neukölln zu Besuch war. Vor einem Jahr galt dieser Ort noch als Problemschule. Die Lehrer hatten sich in einem Brief an den Bildungssenator gewandt und unter anderem die "Respektlosigkeit" der Schüler beklagt.

"Horror-Schule" dichtete daraufhin eine Boulevardzeitung, die Opposition sprach von "Rütli 2011", in Anspielung auf den Brandbrief aus der Rütli-Schule fünf Jahre zuvor. Um die Entwicklung dieser Schule zu verstehen, muss man nur einen Tag als Gast in der letzten Reihe einer Berliner Notebook-Klasse verbringen.

"Die Schüler klicken immer noch schneller als ich", sagt Sabine Lemke, Klassenlehrerin in einer der neunten Klassen, die mit Notebooks ausgestattet wurden. Zwar hat sie in den letzten Jahren aufgeholt, aber bei der Geschwindigkeit, mit der ihre Schüler den Computer bedienen, kann sie nicht mithalten. Deren Finger sausen über die digitale Tafel, das sogenannte Whiteboard. Durch die Verbindung einer berührungsempfindlichen Tafel mit Computer und Projektor entsteht ein zwei mal zwei Meter großer Touchscreen, gewissermaßen ein Riesen-iPad.

Und das nutzen die Schüler natürlich gern. Vorn am Whiteboard können sie mit ihren Händen Kästchen verschieben, geometrische Figuren bearbeiten, Videos starten oder einfach Antworten schreiben, und die Klasse hilft ihnen bei der Lösung. Ihre Rechner benutzen sie, um die Aufgaben selbständig zu bearbeiten.

Die Digitalisierung der Schule steckt in einer Sinnkrise. Neue Medien wie Whiteboards und Tablet-PCs lösten vor drei Jahren eine Euphorie aus. Das Ende von Kreide und Schulbüchern schien gekommen zu sein. Doch das ist vorüber, die erwarteten Leistungsverbesserungen der Schüler fallen gering aus. Wissenschaftler stellen die Vorteile infrage, einige warnen sogar vor "digitaler Demenz", dem Verlust von Gedächtnisleistung, weil sich die Schüler auf Computer verlassen. Dass neue Techniken helfen können, das Schicksal einer Schule zu wenden, zeigt das positive Beispiel der Heinrich-Mann-Schule in Berlin-Neukölln.

Zu Beginn der Stunde fahren alle Schüler ihre Rechner hoch und legen ihre Mathe-CD ein. Zuerst werden die Hausaufgaben in Potenzrechnung kontrolliert. Sabine Lemke weiß bereits, wer seine Hausaufgaben gemacht hat und mit welchen Ergebnissen. Weil die Schüler mit ihren Notebooks auf einem Lernportal im Internet arbeiten, kann ihre Lehrerin jederzeit sehen, wie sie sich dabei anstellen. Während des Unterrichts kann sie dann auf die Probleme jedes Einzelnen eingehen. Wer bereits alle Aufgaben gelöst hat, macht auf "Level 2" weiter und löst schwierigere Aufgaben. Auf dem Whiteboard sehen die Schüler, wie weit die anderen sind.

Die Technik ist mehr als die Umstellung von Kreide auf Pixel. Der Medienpädagoge Stefan Aufenanger von der Universität Mainz sagt: "Wenn Lehrer die interaktiven Möglichkeiten des Whiteboards nutzen, dann ändert sich auch ihre Rolle. Sie sind dann nicht mehr Held auf der Bühne, sondern sie beobachten und beraten ihre Schüler bei deren eigenen Lernprozessen."

Das Image hat sich verbessert

Mittlerweile entfällt ein Computer auf sechs Berliner Schüler, ein guter Wert im nationalen und internationalen Vergleich. Außerdem gibt es an der Hälfte aller Berliner Schulen bereits Whiteboards. An der Heinrich-Mann-Schule sollen sie bald in allen Räumen hängen. Gute Nachrichten, findet der Direktor der Schule, Rudolf Kemmer. "Neue Technik anzuschaffen, hilft aber nur, wenn auch ein neues pädagogisches Konzept dahintersteckt."

Kemmer ist dabei, sich mit den Lehrern gemeinsam ein neues Profil zu erarbeiten. "Ein Schwerpunkt sind beispielsweise Naturwissenschaften und Technik. Und wir achten auf die Vielfalt verschiedener Angebote." Es geht um die richtige Mischung aus Unterricht, Projektarbeit und selbstständigem Lernen. Die Schüler sollen in bestimmten Phasen ihr Lerntempo selbst bestimmen. Aber auch in den "Pubertätsklassen" einer Sekundarschule scheinen die neuen Konzepte zu fruchten. Berlin hat vor zwei Jahren seine Gesamt-, Real- und Hauptschulen in solchen Sekundarschulen zusammengefasst. Schrittweise bekommt der Unterricht einen modernen Rahmen, auch an der Heinrich-Mann-Schule.

In der nächsten Stunde diskutieren die Schüler nach einem kleinen Videoausschnitt über den Fallschirmsprung des Österreichers Felix Baumgartner. Auch wenn das Interesse groß ist, kann man von hinten beobachten, wie sich einige Schüler durch die Google-Bildersuche klicken. Eine der wenigen Ablenkungen, denn die meisten Seiten sind im Schulinternet gesperrt. Manchmal schaffen sie es für ein paar Sekunden, Autorennen zu spielen. Doch Sabine Lemke bekommt das schnell mit. Wenn sie möchte, kann sie vom Lehrer-Rechner aus schauen, was die Schüler gerade auf ihren Notebooks machen. "Solche Kontrollen sind wichtig, sonst wären wir hier schnell unterlegen." Sie kennt die Tricks der Schüler. Manchmal schreiben die sich Zettelchen über Bluetooth, eine Funkverbindung zwischen zwei benachbarten Rechnern, auch wenn das eigentlich verboten ist. "Wenn sie das schaffen, freuen sie sich", sagt Lemke gelassen.

Die Ausstattung der Klasse mit Notebooks hatte noch weitere Effekte: Weil die Notebooks den Schülern gehören, gibt es kaum Vandalismus. Da sich die Eltern an der Finanzierung der Rechner beteiligen mussten, achten sie nun verstärkt darauf, was ihre Kinder in der Schule lernen. Das Image der Schule hat sich verbessert. In den neuen Jahrgängen gab es mehr Anmeldungen für die Notebook-Klassen, als Plätze zur Verfügung standen. Das Wichtigste sei aber, sagt Sabine Lemke, dass den Schülern der Unterricht wieder mehr Spaß mache - und ihr auch.

Bessere Noten hat die Notebook-Klasse im Vergleich zu anderen Klassen allerdings nicht, auch wenn Aussagen dazu wegen des Pilotcharakters noch schwierig sind. Lemke sieht das so: "Es ist ein großer Erfolg, dass sich niemand mehr dem Unterricht verweigert." Und die Schüler? Sie haben sich längst an die neue Technik gewöhnt. "Uns macht es einfach Spaß", sagt die 16-jährige Melissa, "nur die Lehrer fühlen sich dabei immer so furchtbar cool."

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