Neue OECD-Studie:Vom Pisa-Schock zum Praxistest

Pisa

Ein wenig mehr als Buchstaben malen muss man schon können, um in der demnächst neu aufgelegten Pisa-Studie zu glänzen.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Die Ergebnisse der internationalen Schülerstudie werden wieder verkündet - und sie wird sofort wieder angegriffen und verdammt werden. Dabei ist sie viel besser als ihr Ruf.

Von Roland Preuß

Vor drei Jahren präsentierte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD, zuletzt ihren Pisa-Überblick, an diesem Dienstag will sie die neue Großstudie über die Leistungen von Schülern vorstellen. Ein Konsortium internationaler Bildungsforscher hat dazu in 72 Ländern Hunderttausende Jugendliche im Alter von 15 Jahren durch diverse Tests geschickt. Nun wird es wieder ein plakatives Länder-Ranking geben, Analysen, warum wer auf- oder abgestiegen ist. Und dann werden wieder Wissenschaftler, Journalisten und Verbandsvertreter auftreten, welche die Studie mit ebenso viel Akribie angreifen. "Bildung" sei nicht messbar, die Untersuchung methodisch zweifelhaft, und überhaupt sei doch der Ansatz, 15-Jährige international zum Wettbewerb gegeneinander antreten zu lassen, der staatlich verordnete Einzug des Kapitalismus in die Klassenzimmer, also neoliberales Teufelszeug. Was für ein Irrtum!

Es ist ein leichtes, die Pisa-Studie an einer selbstformulierten Definition von Bildung zerschellen zu lassen. Wer sich etwa auf den Geist Humboldts bezieht, Deutschland macht das ja gerne, wird eine humanistische Bildung fordern, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Bildung gilt als Voraussetzung für Freiheit. Wie aber soll man diesen Geist messen? Die Definition ist für das ganze System Schule weitgehend ungeeignet. Schon dort wird nicht zwingend Bildung, sondern in erster Linie Wissen und Kompetenz vermittelt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Natürlich misst Pisa nicht "Bildung", die OECD selbst schreibt auch nicht von einer "Bildungsstudie", sondern von einer "Schulleistungsstudie". Und diese testet, inwieweit Schüler mit 15 Jahren in der Lage sind, an der Wissensgesellschaft teilzuhaben. Etwa, und damit kommt man zu den Tests, indem sie Texte lesen, verstehen und eigene Schlussfolgerungen ziehen können. Man mag dies noch nicht für Bildung halten, durchaus aber für eine ihrer Voraussetzungen, für den Teil eines Grundkanons, den man länderübergreifend anerkennt. Umgekehrt muss man fragen: Inwiefern darf man Jugendliche als gebildet bezeichnen, die einigermaßen anspruchsvolle Texte nicht verstehen?

Die Pisa-Studie umfasst 72 Teilnehmer, von Kanada bis Rumänien, von Peru bis Shanghai. Es gilt, sehr unterschiedliche Lernkulturen auf einen Nenner zu bringen, die unterschiedliche Motivation der Testteilnehmer zu berücksichtigen, Mogeleien zu verhindern. Und natürlich ist diese riesige Studie angreifbar, wie könnte es auch anders sein? Die Wissenschaftler sollen die Leistung einheitlich messen. Sie nutzen in vielen Fällen Multiple Choice, ein Format, das Schülern je nach Land unterschiedlich vertraut ist. Oder man nehme das Beispiel des französischen Mathematikunterrichts, der großen Wert auf eigene Beweisführung legt - was Pisa aber grundsätzlich nicht prüft und damit nicht honoriert. Die Forscher können hier nur den Weg vieler Studien gehen, die über Ländergrenzen hinausgreifen: Man muss Kompromisse schließen - und sich entscheiden. Hätte das Konsortium Aufgaben nach französischer Tradition vorgezogen, wäre die Studie methodisch mindestens so angreifbar, wie sie es jetzt ist. Entscheidend ist, bei allen handwerklichen Schwierigkeiten, ob die Pisa-Erkenntnisse in eine falsche Richtung weisen. Das ist nicht so, Pisa ist nicht widerlegt. "Die Pisa-Ergebnisse sind von vielen anderen Untersuchungen bestätigt worden", sagt Hans Pant, Professor für Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin.

Pisa ist auch ein großer Wettbewerb. Auch wenn Andreas Schleicher, der deutsche Kopf der Pisa-Studie, das Ranking nach Ländern und Regionen als "geringen Teil der Ergebnisse" herunterdimmt. Man kann dennoch einwenden, so werde das Wettbewerbsprinzip, das ohnehin Wirtschaft und Gesellschaft durchdringt, auch noch in der Bildung forciert.

Hinter diesen Skrupeln steckt der alte Traum, das Schulsystem einem Wettbewerb nach Leistungskriterien zu entziehen, ja, die Schüler selbst nicht nach Leistung zu beurteilen. Doch wie vereinbar ist dies mit den Anforderungen einer globalisierten Welt, in der die Menschen nun einmal eine gute Ausbildung brauchen, um ihre Chancen zu bekommen? Einer Welt, in der Wirtschaft, Hochschulen, Behörden auf die Fähigkeiten der Menschen mehr denn je angewiesen sind? Oder, lebensnäher: Wie klug ist es, Schulen vom internationalen Wettbewerb da draußen abzuschotten und den Schülern das Risiko aufzubürden, später da draußen zu scheitern?

Der Wettbewerb bei Pisa hat abseits dieser Fundamentalkritik greifbare Verbesserungen bewirkt. Wettbewerb muss nicht in giftige Konkurrenz münden. Pisa hat den Horizont erweitert, hat den Anreiz gesetzt, ins Ausland zu blicken und von erfolgreichen Rezepten dort zu lernen. Nach dem Pisa-Schock 2001 fuhren Bildungsexperten, Politiker und Journalisten reihenweise zum Pisa-Gewinner nach Finnland und auch nach Schweden, um von den dortigen Schulmodellen zu lernen. Das hat sicher nicht geschadet.

Es ist aber auch kein Imperativ, Pisa-Performer zum Vorbild zu nehmen. Im Fall von asiatischen Gewinnern wie Shanghai kann die Studie auch der Selbstvergewisserung dienen, wie viel Leistungsdruck man Kindern zumuten will für hohe Kompetenzwerte. In Deutschland hat dieses chinesische Modell nie Fürsprecher gewonnen, Spitzenplatz hin oder her. Pisa-Punkte sind eben nicht alles.

Pisa räumte mit dem Mythos auf, dass kleinere Klassen viel helfen

Aufschlussreicher als der Blick nach außen ist bei Pisa der Blick nach innen, auf die deutsche Debatte. Der Bildungsdiskurs vor Pisa war geprägt durch ideologische Kämpfe und Diskussionen, in denen Theoriemodelle aufeinanderprallten, weniger durch empirische Studien mit Schülern oder Lehrern. Natürlich gab es solche Studien schon damals, aber sie waren kleiner und regional beschränkt, Kritiker konnten sie leichter vom Tisch wischen.

Die Empirie erdet diese Debatten, sie ist der Praxistest zum pädagogischen Modell. Pisa und weitere Studien räumten mit so manchem Mythos auf, etwa, dass kleinere Klassen viel helfen oder mehr Mathestunden bessere Matheleistungen bringen. Es ist nicht so. Pisa lenkte den Blick vielmehr auf drängendere Probleme: Wie hängt Schulerfolg von Elternhaus und sozialer Lage ab? Was tun, um Kinder aus Migrantenfamilien besser zu fördern? Eine der guten Botschaften von Pisa ist: Es gibt Länder, die gute Leistungen hervorbringen und gleichzeitig schwache Schüler nicht zurücklassen. Solche Erkenntnisse sind es durchaus wert, in Deutschland alle drei Jahre gut 6000 Schüler zu testen.

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